Der Wolf, die Justiz und die hohe Politik

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche

 

Liebe Leserinnen und Leser,

 

viele Menschen in deutschen Großstädten kennen Mallorca und die Türkei besser als den Bayerischen Wald oder die Lüneburger Heide. Für sie sind die Verhältnisse im ländlichen Raum gefühlsmäßig weit weg. Was in den Dörfern oder kleineren Städten geschieht, scheint manche Großstädter in keiner Weise zu tangieren. Umso erschrockener sind diese Bürger, wenn sie auf unangenehme Weise plötzlich mit Problemen konfrontiert werden, unter denen viele Bürger im ländlichen Raum schon seit längerem leiden. Stichwort Wölfe und Wildschweine. In Berlin tummeln sich mittlerweile viele Schwarzkittel in den Vorgärten von ganz „normalen“ Wohngegenden. Und in der Hansestadt Bremen ist jetzt erstmals ein Wolf gesichtet worden – ein Wildtier, das viele Städter verklärten, solange es nicht den eigenen Lebensraum berührte. Doch mit dieser Illusion dürfte es nicht nur in Bremen bald vorbei sein. Denn Wölfe nehmen in Deutschland mittlerweile überhand.
 

Jürgen Wermser
Jürgen Wermser

Viele Eltern auf dem Land sorgen sich um den sicheren Schulweg ihrer Kinder, Weidetierhalter fürchten um ihre Existenz. So hat beispielsweise in dieser Woche ein renommierter Pferdezüchter aus Sande (Friesland) laut Bild-Zeitung aus Protest die Verleihung des Niedersächsischen Staatsehrenpreises für hervorragende tierzüchterische Leistungen abgelehnt. Der Grund: Aufgrund zweier Wolfsrudel könnten seine Pferde nicht mehr Tag und Nacht draußen sein. Er sei zutiefst frustriert, das eigene Land nicht nutzen zu können ohne die ständige Gefahr, dass die Pferde von Wölfen angegriffen würden, erklärte der Züchter. In Großstädten wurde und wird eine solche Problematik zumeist nicht wirklich ernst genommen. Doch Ereignisse, wie jetzt die Wolfssichtung in Bremen zeigen einmal mehr, wie eng, ja bedrohlich die Verhältnisse in Wahrheit miteinander zusammenhängen können. 

 

Abschuss von Problemwölfen 

 

Das Ringen um den Abschuss von Problemwölfen wird regelmäßig vor Gericht ausgetragen. Meistens mit ungewissem Ausgang. Weil das Bundesumweltamt eine realistische Antwort auf die Frage verzögert, ob es nicht längst genug Wölfe in Deutschland gibt. Solange die Tiere nach EU-Recht den höchstmöglichen Schutz als vom Aussterben bedrohte Art genießen, können sich Richter auf den europäischen Schutzstatus der deutschen Wölfe berufen. Wie gerade wieder die Verwaltungsgerichte in Kassel und Würzburg, die eine Abschussgenehmigung der zuständigen Behörden aufgehoben haben. In unserem Politblog können Sie in der kommenden Woche lesen, warum die EU-Kommission noch immer auf aktuelle Zahlen aus Berlin wartet und warum die Rechtsunsicherheit bleiben wird, wenn der Wolf ins Jagdrecht käme.

 

Lassen Sie mich nun zur großen Politik kommen. Wohl selten haben Bürger und Politiker aus dem ländlichen Raum so gespannt nach Berlin geschaut wie Anfang der Woche auf das Treffen der Ministerpräsidenten mit dem Kanzler in Sachen Migration. Denn der Druck wegen der hohen Zahl ankommender Flüchtlinge und Asylbewerber ist immens: Zu wenige Unterkünfte, volle Schulklassen und Kindertagesstätten, hohe finanzielle Belastungen in den Gemeindehaushalten und eine zunehmende Kritik aus der Bevölkerung am politischen Umgang mit dieser großen Herausforderung. Kurzum, die Regierenden stehen in der Verantwortung, endlich konkrete Lösungen für praktische Probleme zu präsentieren.

 

Angela Merkels legendärer Satz von 2015 „Wir schaffen das“ stimmt heute bestenfalls sehr eingeschränkt, wenn er überhaupt jemals zutreffend war. Die Ampelregierung in Berlin hat dies mittlerweile auch begriffen. Gleichwohl war sie in den vergangenen Monaten eher zögerlich an die Thematik herangegangen. Denn einerseits weiß sie zwar um den Unmut in der Bevölkerung, aber zugleich gibt es gravierende Unterschiede innerhalb der drei Parteien über die Spannung zwischen Willkommenskultur und Abschottung. Während manche Grüne praktisch jede Frau und jeden Mann, die zu uns kommen, als Bereicherung für unser Land betrachten, sehen dies Liberale und auch Teile der SPD deutlich kritischer. 

 

Großer Wurf nicht erkennbar

 

Die Herausforderungen sind fraglos komplex. Deutschland muss einerseits Menschen in Not helfen, so wie sich dies aus internationalen Verträgen und aus dem Grundgesetz herleitet. Andererseits können wir allein nicht die Welt retten. Entsprechend wichtig ist es, Missbräuche zu bekämpfen und – besser noch – von vornherein unmöglich zu machen. Zu eben in diesem Zweck waren Vertreter von Bund und Ländern zusammengekommen, um praktische Lösungen zu beschließen. Doch das Ergebnis ist angesichts der hohen Erwartungen, die nicht zuletzt Kanzler Scholz geweckt hatte, eher dürftig. Denn vieles ist Zukunftsmusik – Stichwort Prüfaufträge – und anderes muss sich erst noch in der Praxis bewähren. Angesichts der bisherigen Erfahrungen muss man hier leider skeptisch sein. Es wird zwar an vielen kleinen Stellschrauben gedreht, aber ein großer Wurf ist nicht erkennbar. Und dieser kann nur darin bestehen, die Zahl der Ankommenden von vornherein drastisch zu begrenzen. 

 

Eine wirksame Verringerung der illegalen Einreisen geht nur in Absprache mit den Herkunftsländern, die unrechtmäßig nach Deutschland gelangte Menschen wieder zurücknehmen sollten. Die dafür erforderlichen internationalen Vereinbarungen kommen leider nicht so richtig voran. Auch das einstmals so gepriesene und auch erfolgreiche Abkommen mit der Türkei hat mittlerweile viel an Wirksamkeit verloren. Der Kanzler und seine Innenministerin waren zwar jüngst auf Werbetour in einigen afrikanischen Ländern. Aber ein Durchbruch zeichnet sich nicht ab. Das heißt für die Bürger in Stadt und Land: Es wird auch künftig vor allem darum gehen, die Symptome und Auswirkungen der Krise zu lindern statt sie zu kurieren.

 

Eine durchgreifende Wende zum Positiven – Stichwort europäische Lösung und Asylverfahren außerhalb der deutschen Landesgrenzen – ist zwar nicht grundsätzlich vom Tisch. Doch ob sie kommt und vor allem, wann sie kommen wird, ist weiterhin völlig offen. Bis dahin müssen sich die Bürger leider darauf einstellen, dass sich die Situation nicht grundlegend verbessert.

 

Kommunen bei den wichtigen Beratungen außen vor

 

Auf die Kommunen kommen weiterhin große Belastungen zu. Umso ärgerlicher ist es, dass ihre Vertreter bei den wichtigen Beratungen in Berlin nicht mit am Tisch saßen. Oder zugespitzt gesagt: Bund und Länder haben über die Köpfe der Betroffenen hinweg entschieden. Dabei wissen die Vertreter der Kommunen, nicht zuletzt aus dem ländlichen Raum, am besten, was im Einzelnen getan werden muss, um den Unmut der Bürger zu besänftigen und um bessere Möglichkeiten zur Integration von Flüchtlingen und Asylbewerbern zu schaffen, die hierzulande ein Bleiberecht haben. Die Städte und Gemeinden sind die Hauptbetroffenen der aktuellen Entwicklungen. Denn hier werden die Folgen der Krise hautnah erlebt. Jetzt bleibt ihnen nichts anderes übrig, als weiterhin gute Miene zum für sie schwierigen Spiel zu machen – einem Spiel, das komplett nach den Regeln von Bund und Ländern abläuft. Mit einer bürgernahen politischen Kultur hat dies allenfalls eingeschränkt zu tun.

 

„Dieses Papier reicht bei weitem nicht aus, um die Zahlen der illegalen Migration einzudämmen.“
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann

 

Man muss davon ausgehen, dass nach dem Migrationsgipfel die Diskussion über den richtigen Umgang mit Flüchtlingen praktisch unvermindert weitergehen wird. Der vom Kanzler angestrebte überparteiliche Migrationspakt ist keineswegs näher gerückt, wie sich etwa aus der Kritik von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann an den Beschlüssen erkennen lässt: „Dieses Papier reicht bei weitem nicht aus, um die Zahlen der illegalen Migration einzudämmen.“ Zwar haben unionsgeführte Landesregierungen am Ende zugestimmt, aber die Union im Bundestag scheint davon nicht gerade begeistert zu sein. Wer will es ihr verdenken?

 

EU-Beitritt der Ukraine würde auch für deutsche Bauern teuer

 

Und noch ein anderes politisches Ereignis dieser Woche könnte langfristig gravierende Folgen speziell im ländlichen Raum haben: Die Empfehlung der EU-Kommission, Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zu beginnen. Gewiss, hier geht es zuallererst um Unterstützung für ein Land, das sich momentan mit militärischen Mitteln gegen einen aggressiven Nachbarn wehren muss. Insofern ist das Brüsseler Votum ein Akt der Solidarität unter Demokraten. Doch falls die Ukraine am Ende tatsächlich in die Europäische Union aufgenommen würde, müsste die bisherige EU-Agrarpolitik von Grund auf geändert werden. Denn vor dem Krieg dürfte die Ukraine etwa 30 bis 40 Millionen Hektar landwirtschaftlich genutzte Fläche gehabt haben. Die gesamte Agrarfläche der EU würde sich bei einem Beitritt um circa 20 bis 25 Prozent erhöhen. Eine wissenschaftliche Studie schätzt, dass die Ukraine im vergangenen Jahr fast 20 Milliarden Euro aus Brüssel erhalten hätte, wenn sie zu diesem Zeitpunkt bereits EU-Mitglied gewesen wäre. 

 

Diese gewaltige Summe würde zwangsläufig an anderer Stelle eingespart werden müssen. Was dies für die Kassen der deutschen Landwirte bedeutet, lässt sich natürlich jetzt noch nicht abschätzen. Aber dass auch für sie und für alle anderen Bauern in der EU die Karten finanziell neu gemischt würden, kann als sicher gelten

 

Doch lassen Sie sich von solch heiklen Perspektiven an diesem Wochenende nicht die gute Laune verderben, zumal heute am 11. November um 11:11 Uhr offiziell die fünfte Jahreszeit eingeläutet wird. Fast überall in Deutschland beginnt nun die Faschings- beziehungsweise Karnevalssession. Nur im Südwesten Deutschlands starten die „tollen Tage“ erst am 6. Januar, dem Dreikönigstag. Egal, ob Sie hier mitfeiern oder nicht, genießen Sie das Wochenende und freuen sich auf einen hoffentlich guten Start in eine positive Woche.

 

In diesem Sinne verbleibe ich mit den besten Grüßen 

Ihr

Jürgen Wermser

Redaktionsleitung/Koordination

 

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