„Wir schaffen das“ war eine gigantische Täuschung

Die „Willkommenskultur“ 2015/16 war blauäugig. Selten haben sich Politiker und Manager mit ihren Vorhersagen so getäuscht wie damals.

Angela Merkel, Bundeskanzlerin von 2005 bis 2021. (Foto: Tim Reckmann / pixelio.de)
Angela Merkel, Bundeskanzlerin von 2005 bis 2021. (Foto: Tim Reckmann / pixelio.de)

 

Von Hugo Müller-Vogg

 

„Wir schaffen das.“ So hatte 2015 die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Sorgen zerstreuen wollen, ihre Politik der weit geöffneten Grenzen und der unkontrollierten Zuwanderung werde das Land überfordern. In gewisser Weise hat Merkel Recht behalten: Millionen Menschen aus fremden Ländern und Kulturen wurden aufgenommen und versorgt. Folglich gilt die Bundesrepublik unverändert als attraktives Ziel für Kriegsflüchtlinge, für politisch Verfolgte wie für Menschen, die einfach besser leben wollen.

 

Integration vieler Zuwanderer haben „wir“ nicht geschafft

 

Etwas ganz Wichtiges, für den Zusammenhalt geradezu Existenzielles, haben „wir“ allerdings nicht geschafft: die Integration vieler Zuwanderer. Die Flüchtlingswelle nach 2015 hat die bestehenden Parallelgesellschaften vergrößert und neue entstehen lassen. „Unser Land wird sich ändern, und zwar drastisch“, hatte die damalige Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, zutreffend vorausgesagt. Nur hatte die Grüne das nicht als Warnung verstanden, sondern als positive Entwicklung. „Uns wurden plötzlich Menschen geschenkt“, schwärmte sie.

 

Göring-Eckardt war nicht die einzige Politikerin der Grünen, die den Eindruck erweckte, je mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen, umso besser. Doch viele der Zugewanderten dachten nie daran, den grünen Traum von der heilen Multi-Kulti-Idylle zu verwirklichen. Sie leben in Deutschland – aber nicht mit den Deutschen.

 

Merkels „Wir schaffen das“-Euphorie wurde von der SPD mitgetragen

 

Merkels „Wir schaffen das“-Euphorie wurde 2015/2016 von der SPD mitgetragen, dem damaligen Partner der CDU/CSU in der Großen Koalition. Sigmar Gabriel, SPD-Vorsitzender und Merkels Vizekanzler, trat sogar im Bundestag mit dem von BILD kreierten Button „Wir helfen – refugees welcome“ auf.

 

Genauso schwärmerisch äußerte sich 2016 der damalige Präsident des Europäischen Parlaments und spätere SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz: „Was die Flüchtlinge mit zu uns bringen, ist wertvoller als Gold. Es ist etwas, was wir in den letzten Jahren wohl irgendwo auf dem Weg verloren haben: Es ist die Überzeugung, ja der unbeirrbare Glaube an den Traum von Europa.“

 

Nicht nur viele Politiker bei den Grünen wie in der SPD und nicht zuletzt in der CDU haben sich damals die Welt schöngeredet. Auch die angeblich so nüchtern denkenden und handelnden Manager mutierten plötzlich zu Anwälten einer unbegrenzten Zuwanderung.

 

„Nächstes deutsche Wirtschaftswunder“ blieb aus

 

Nachdem 2015 bereits 800.000 Menschen nach Deutschland gekommen waren, sah Daimler-Chef Dieter Zetsche in ihnen „eine Grundlage für das nächste deutsche Wirtschaftswunder“. Seine Begründung: Wer sein komplettes Leben zurücklasse, sei hoch motiviert. „Genau solche Menschen suchen wir bei Mercedes und überall in unserem Land.“

 

Es gab damals geradezu einen Überbietungswettbewerb unter den Managern, wer dem ungeregelten Zustrom von Menschen die besten Seiten abgewinnen kann. Für den Chefvolkswirt der Deutschen Bank, David Folkerts-Landau, waren die Flüchtlinge, „nach der Wiedervereinigung das Zweitbeste, was Deutschland passieren konnte, um seine Perspektiven zu verbessern und zukunftsfähig zu bleiben“. Allerdings gibt es bisher keine Studie der Bank, die belegen könnte, ob und wie die Flüchtlinge von 2015/16 die Zukunftsfähigkeit Deutschlands verbessert haben. Es wäre wohl auch sehr schwer, dies mit seriösen Argumenten nachweisen zu wollen. 

 

Arbeitsmarktzahlen sprechen eine andere Sprache

 

Die Arbeitsmarktzahlen sprechen jedenfalls eine andere Sprache. Nach Feststellung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bei der Bundesagentur für Arbeit hatten 2021 erst 54 Prozent der Flüchtlinge von 2015/16  einen Arbeitsplatz, davon zwei Drittel in Vollzeit. Das heißt: Nur 35 Prozent hatten eine Vollzeitstelle. Und ob sie davon leben können, ist zumindest bei denen zweifelhaft, die eine Familie zu versorgen haben.

 

Das mittlere Bruttomonatseinkommen dieser Vollzeiterwerbstätigen belief sich laut IAB auf gut 2.000 Euro – brutto! „Mittleres Einkommen“ heißt: Jeder Zweite verdient weniger als 2000 Euro brutto. Diese werden folglich ebenso wie die Teilzeitbeschäftigten als „Aufstocker“ vom Staat, das heißt den Steuerzahlern, unterstützt. Die große Mehrheit derer, die für ein neues Wirtschaftswunder sorgen sollten, können sich und ihre Familien nicht aus eigener Kraft ernähren.

 

Schönfärberei von Politikern, Managern und vielen Medien ist widerlegt

 

Natürlich gibt es viele Beispiele für eine gelungene Integration der Flüchtlinge von 2015/16 – beruflich wie menschlich. Doch die tatsächliche Entwicklung hat die Schönfärberei von Politikern, Managern und vielen Medien widerlegt. Es sind eben nicht die Fachkräfte gekommen, die wir schon damals gebraucht haben. Und es sind nicht nur die gekommen, die angeblich von einem Europa der Menschenrechte und der Toleranz geträumt haben. 

 

Den Weg nach vorn kann man nicht im Rückspiegel suchen. Aber es kann durchaus helfen, die Fehleinschätzungen der Vergangenheit nicht zu vergessen. Der Sozialdemokrat Kurt Schumacher sagte einst: „Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit.“ Und zur Wirklichkeit gehört, dass „wir“ es 2015/16 nicht geschafft haben, die negativen Seiten der unbegrenzten Zuwanderung wahrzunehmen und entsprechend zu handeln.

 

Der sich in migrantischen Kreisen manifestierende Judenhass, verbunden mit einer Ablehnung der diese Gesellschaft bisher tragenden und auszeichnenden Werte, ist nur eine Facette der „Refugees Welcome“-Illusion von 2015/16. Höchste Zeit, dass „wir“ es schaffen, daraus zu lernen.

 


Unser Gastautor

Dr. Hugo Müller-Vogg, ehemaliger F.A.Z.-Herausgeber, zählt zu den erfahrenen Beobachtern des Berliner Politikbetriebes. Als Publizist und Autor zahlreicher Bücher analysiert und kommentiert er Politik und Gesellschaft. www.hugo-mueller-vogg.de und www.facebook.com/mueller-vogg

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Sean le Carnet (Mittwoch, 08 November 2023 11:33)

    Auszug aus der Merkel-Biographie "Die Kanzlerin, die aus der Kälte kam"

    "Ein sehr umfangreiches Interview, das Hugo Müller-Vogg mit Merkel 2003 führt - oder vielleicht besser, das Merkel und Baumann mit Müller-Vogg führen - wird erstmals 2004 als Buch veröffentlicht und 2005 neu aufgelegt. Hierin sind neben Merkels biographischen Fertigbauteilen (Abitur-Intrige, Akademie der Wissenschaften, Demokratischer Aufbruch, CDU, etc,) sehr viele der damaligen politische Positionen von Merkels festgehalten und es ist überaus interessant zu sehen, wie wenig von diesen Positionen am Ende der Kanzlerschaft Merkels übrig bleibt.
    Wie man an Müller-Voggs Gesichtsausdruck ablesen kann, wenn er im Dokumentarfilm Merkel als „Kontrollfreak“ bezeichnet und in diesem Zusammenhang auch Beate Baumann erwähnt, hat auch dieses Interview die unerbittliche Zensur der beiden Damen hinter sich. Somit ist auch dieser Text mit Sicherheit meilenweit vom tatsächlich gesprochenen Wort entfernt und hat damit genau nicht jenen „unschätzbaren Vorteil“, den Müller-Vogg eingangs verspricht: „Die Aussagen sind authentisch, werden nicht von einem Dritten erklärt, gedeutet und bewertet.“ Wenn Müller-Vogg in seiner Einleitung dann auch noch über Merkels „kleinem Pöstchen als Kulturbeauftragte“ parliert, weiß man so ungefähr woran man bei ihm ist."

natur+mensch – der Blog ist eine Initiative der Stiftung natur+mensch

Copyright © 2023 Stiftung natur+mensch - Havixbeck - Alle Rechte vorbehalten.