Über Mindestlohn und Praxis in der Arbeitswelt…

Grünen-Chefin Ricarda Lang will mal eben den Mindestlohn auf gut 14 Euro anheben. Das entspräche einem Anstieg von 34 (!) Prozent innerhalb von 15 Monaten

Grünen-Chefin Ricarda Lang. (Foto: Elias Keilhauer)
Grünen-Chefin Ricarda Lang. (Foto: Elias Keilhauer)

 

Von Hugo Müller-Vogg

 

Man tritt Ricarda Lang nicht zu nahe, wenn man ihr unterstellt, keine Expertin für Betriebswirtschaft zu sein. Wer 14 Semester lang Jura studiert hat, um dann ohne Abschluss in den Bundestag einzuziehen, hat beim Thema Arbeitskosten kaum praktische Erfahrung.

 

Wer als Politiker die Arbeitswelt nur vom Hörensagen kennt, hat einen großen Vorteil: Er überlegt gar nicht lange, wem seine wirtschaftspolitischen Forderungen und Vorschläge nützen und wem sie schaden. Woher soll er das auch wissen? 

 

So hat die Co-Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, kein Problem damit, mal eben einen Mindestlohn von gut 14 Euro in der Stunde zu fordern. Den Beschluss der Mindestlohnkommission, den Satz von derzeit zwölf Euro in den kommenden zwei Jahren auf 12,82 Euro zu erhöhen, nennt sie einen „Schlag ins Gesicht“ der Menschen mit geringem Einkommen. Das sei angesichts der Inflation viel zu niedrig. 

 

Was die Grüne offenbar vergessen hat: Der Mindestlohn ist erst vor einem Jahr, nämlich zum 1. Oktober 2022, von 10,45 Euro auf zwölf Euro erhöht worden – ein Anstieg um 15 Prozent. Würde er zum 1. Januar 2024 um weitere zwei Euro auf 14 Euro erhöht, entspräche das einem Anstieg von 34 (!) Prozent innerhalb von 15 Monaten. 

 

Es geht um Lohnerhöhungen um 34 Prozent

 

So drastische Lohnerhöhungen haben die Gewerkschaften in keinem Wirtschaftszweig gefordert. Aus gutem Grund: Lohnerhöhungen um 34 Prozent bedeuteten das Aus für viele Betriebe und erzwängen einen Stellenabbau in anderen.

 

Selbst ohne vertiefte betriebswirtschaftliche Kenntnisse müsste die Abgeordnete Lang mitbekommen haben, wie stark die Diäten der Bundestagsabgeordneten in diesem Jahr gestiegen sind – um 2,6 Prozent auf 10.591,70 Euro im Monat oder rund 127.000 Euro im Jahr. Ganz nebenbei: Lang zählt damit zu den oberen zehn Prozent der Einkommensteuerpflichtigen. 

 

In der mäßigen Anhebung der Diäten spiegelt sich nicht besondere Sparsamkeit der Parlamentarier in eigener Sache wider. Ihre Bezüge sind nämlich an den Nominallohnindex gekoppelt. Der bildet die allgemeine Lohnentwicklung in Deutschland ab. 

 

Der Anstieg des Mindestlohns auf zwölf Euro hatte mit der Lohnentwicklung dagegen nichts zu tun. Es war die Einlösung eines Wahlversprechens der SPD, also eine politische Lohnerhöhung. Lang hat nie in einem Unternehmen gearbeitet, das heftiger Konkurrenz ausgesetzt ist, in dem die Lohnkosten ebenso eine wichtige Rolle spielen wie die Bezugspreise für Vorprodukte.

 

Ohne private Vermieter wäre der Wohnungsmangel noch größer

 

Die Grünen-Politikerin weiß folglich nicht, wie es in vielen kleinen und mittleren Unternehmen aussieht. Da fällt es ihr leicht, etwas zu fordern, was andere zu bezahlen haben – sofern sie noch lange zahlungsfähig sind.

 

Für Lang fällt das unter die Rubrik „soziale Gerechtigkeit“. Wie sie Unternehmen zwingen will, ihren Arbeitnehmern gegebenenfalls mehr zu zahlen, als sie können, so will sie auch die Vermieter zur Kasse bitten. 

 

So soll die Mietpreisbremse ebenso verschärft werden wie die Begrenzung von Mieterhöhungen innerhalb von drei Jahren. Ob Vermieter dann noch auf ihre Kosten kommen, scheint sie nicht zu interessieren. 

 

Was Lang völlig übersieht: Jede weitere staatlich verordnete Begrenzung der Mieten veranlasst private Investoren, sich noch stärker vom Wohnungsmarkt zurückziehen. Doch Lang sollte wissen: Ohne private Vermieter wäre der Mangel an bezahlbaren Wohnungen in bestimmten Regionen Deutschlands noch größer. 

 

Alle Experten hatten 2021 davor gewarnt, den Mindestlohn zum Spielball der Wahlkämpfer zu machen. Ihre Befürchtung: Werde diese Lohnuntergrenze nicht entsprechend der allgemeinen Lohnentwicklung angepasst, sondern allein unter dem Aspekt der Stimmenmaximierung, dann werde der Politisierung der Lohnfestsetzung Tür und Tor geöffnet. Genauso ist es gekommen. Und die Co-Vorsitzende der Grünen scheint sich zuzutrauen, genau zu wissen, was der Beschäftigung guttut und was ihr schadet – und ebenso dem Wohnungsmarkt.

 


Unser Gastautor

Dr. Hugo Müller-Vogg, ehemaliger F.A.Z.-Herausgeber, zählt zu den erfahrenen Beobachtern des Berliner Politikbetriebs. Als Publizist und Autor zahlreicher Bücher analysiert und kommentiert er Politik und Gesellschaft: www.hugo-mueller-vogg.de und www.facebook.com/mueller-vogg

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Goevert (Dienstag, 07 November 2023 15:45)

    Dem kann ich voll und ganz voll zustimmen. Ricarda Lang ist ein Paradebeispiel dafür, dass Politiker, die nicht einmal eine Ausbildung in dem Metier, dem sie als Minister vor stehen absolviert haben, gänzlich nichts verloren haben.

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