Wie die Ernährungsfrage zur Modefrage wird

Der Trend zur fleischlosen Ernährung steht offensichtlich in Zusammenhang mit einem gesellschaftlich zunehmenden Verhaltensmuster

Foto: Divily
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Von Jost Springensguth 

 

„Deutschland, wie es isst.“ So lautet der Ernährungsreport 2023 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Der damit zuständige Minister Cem Özdemir formulierte dazu anspruchsvoll: „Viele wollen beim Einkauf wissen, was in den Lebensmitteln steckt. Diesem Wunsch nach Transparenz kommen wir nach.“ Das vermittelt den Eindruck eines umfassenden Bildes, das diese bei Forsa beauftragte Studie transportiert. Dabei geht es natürlich auch um das Thema Fleisch.

 

Unbestritten ist, dass der Fleischkonsum in Deutschland von Jahr zu Jahr leicht sinkt. Dafür mag es auch gute Gründe (besser noch: Erklärungen) geben. Der Pro-Kopf-Verzehr ist nach einer Berechnung des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft (BLZ) von 2021 auf 2022 um 4,2 Kilogramm gesunken. Daraus ergibt sich dann die Bemerkung in der entsprechenden Erklärung des BLZ, dass der durchschnittliche Fleischverzehr mit noch 52 Kilogramm pro Person „so niedrig ist wie noch nie seit Beginn der Verzehrberechnung im Jahre 1989“. Das ist richtig, wirkt aber offensichtlich mit der dazugehörigen Überschrift „Fleischverzehr 2022 auf Tiefstand“ trendverstärkend. Wie war das mit dem Wasserglas – halb voll oder halb leer?

 

Bei Özdemirs Ernährungsreport 23 und der Kommentierung des Ministers muss man schon genau hinschauen, um erwünschte Tendenzwirkungen zu erkennen, die nach allem Anschein auch bewusst in der zusammenfassenden Wortwahl, aber auch durch die Formulierung der Fragestellungen ausgelöst werden. So kommt wohl auch der immer unterstellte Verdacht bei Befragungen auf, dass ein Auftraggeber solcher Studien Ergebnisse erhält, die er gerne hätte. Die Formulierung der Fragen ist dann jeweils wohl der Schlüssel. 

 

Auf die genaue Formulierung kommt es an

 

Die Frankfurter Rundschau (14. 10. 2023) fasst das Papier nachrichtlich so zusammen: „Ein stetig sinkender Pro-Kopf-Fleischverzehr“ ist das Ergebnis des Ernährungsreports 23 des BMEL. Schaut man dort genau hinein, ist festzustellen, dass es durchgängig in der telefonischen Befragung der Meinungsforscher von 1000 repräsentativ ausgewählten Menschen um das Wort „täglich“ geht. Etwa: „Was wird täglich oder mehrmals täglich gegessen?“ Die Fragestellung ist in den Grafiken und Fließtexten korrekt so wiedergeben. Bei kritischer Betrachtung fällt aber schon auf, dass es dabei nicht generell um die Ablehnung oder Akzeptanz von Fleisch oder Wurst geht, sondern eben um den täglichen Konsum. Es werden aber durchgängig allgemeine Schlussfolgerungen daraus gezogen. So wie etwa die Frankfurter Rundschau in ihrem Bericht Özdemirs kommentierende Anmerkung hinzufügt: „Viele Bürger sind deutlich weiter als der ein oder andere Verbandsfunktionär oder Ministerpräsident“. Das kann man schon als eine sehr weit ausgeholte Interpretation auffassen. 

 

Da das Gesamtthema vielschichtige Betrachtungsweisen zulässt, könnte man damit beginnen, dass sich auf der anderen Seite nach der aktuellen Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse für dieses Jahr 8,12 Millionen Deutsche selbst als Vegetarier einordnen. Auch das sind 220.000 Personen mehr als im Vorjahr – also den Trend, aber in relativ kleinen Schritten bestätigend. Die absoluten Zahlen jedoch spiegeln die Größenordnung wider: Irgendwie müssen die zitierten gut acht Millionen Vegetarier danach - grob gerechnet – knapp zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen. Und zählt man die etwa drei Prozent Veganer hinzu, sind wir bei insgesamt gut zwölf Prozent der Menschen, die in ihrer Ernährungs- und Lebensweise generell auf den Konsum von Fleisch und Fisch verzichten. 

 

Nicht „täglich“, aber Flexitarier gibt es auch…

 

Wer verschiedene Studien zum selben Thema liest, muss zu dem Schluss kommen, dass der Eindruck nicht stimmen kann, der gern vermittelt wird und wonach die Ablehnungsfront gegenüber tierischen Produkten vermeintlich breiter gesellschaftlicher Konsens ist. Nach einer anderen Forsa-Studie, die der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH) zum Thema „Pflanzenbetonte Ernährung“ auch in diesem Jahr in Auftrag gegeben hat, gaben erst einmal 41 Prozent der ebenfalls gut 1000 Befragten an, Flexitarier zu sein – also nur gelegentlich Fleisch zu essen. 

 

Blickt man zur vergleichbaren und zitierten Ernährungsstudie des Ministeriums, so müssen das diejenigen sein, die nicht täglich Fleisch oder Fisch essen, das damit auch nicht generell ablehnen. Da schließt sich dann die Lücke in den Interpretationen verschiedener Studien und Befragungen. Der Fächer ist breit. So hat das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung eine wissenschaftliche Arbeit veröffentlicht, nach der statistisch betrachtet unser Fleischkonsum von unserem Bildungsgrad und zum Teil auch vom Einkommen abhängen. „Höhere Bildung bedeutet weniger Fleischkonsum; Menschen mit kleinen, aber interessanterweise auch mit sehr hohen Einkommen essen mehr Fleisch als Menschen mit mittleren Einkommen.“

 

Somit kann der Eindruck doch nicht falsch sein, dass der Trend zur fleischlosen Kost in Kampagnen immer wieder angeschoben wird. Da kann man Verbraucher- und Tierrechtsorganisationen von Peta über Greenpeace bis zum exotischen Beispiel des „Vereins Aktion Kirche und Tiere“ als christlichem Tierschutzverein nennen. Andere appellieren aus politischen Motivationen zur fleischlosen oder -armen Kost. So wie etwa Politikerinnen und Politiker. Svenja Schulze (SPD) hat zum Osterfest im letzten Jahr dazu aufgerufen, den Fleischkonsum einzuschränken; der zitierte und für die Landwirtschaft zuständige Vegetarier Özdemir (Grüne) hat das ähnlich getan und für einen vegetarischen Speiseplan in der Hausgastronomie seines Ministeriums gesorgt. Solchen Aktionen folgen in der Regel mediale Verstärkungen und führen damit zu breiter Wirkung mit gefühltem Vorbildcharakter.

 

In diesen Zeiten ist die Frage „Wie ernähre ich mich?“ en vogue – wie ein Trend in der Mode. Letztlich hat sie aber doch jeder selbst zu beantworten.

 

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