Über „Donut“-Dörfer und die neue Landlust

Der Zuzug auf dem Land ist eine Herausforderung und eine Chance. Autoren einer Studie geben Empfehlungen, damit der Wandel gelingt

Foto: Andreas Hermsdorf / pixelio.de
Foto: Andreas Hermsdorf / pixelio.de

 

Von Christian Urlage

 

Nicht Kreuzberg, sondern Gillamoos sei Deutschland, formulierte CDU-Chef Friedrich Merz auf Bayerns großem Jahrmarkt – und verärgerte damit die Hauptstadtmedien. Diesen Unmut hätte Merz leicht vermeiden können, wenn er zwischen die Worte „nicht“ und „Kreuzberg“ noch ein „allein“ gesteckt hätte. Inhaltlich aber hat der Sauerländer mit seiner politischen Wertschätzung Recht: Die meisten Deutschen leben auf dem Land, und das ist in den vergangenen Jahren attraktiver geworden.

 

Eine neue Landlust macht sich seit etwa 2017 breit, Dörfer und Kleinstädte verzeichnen Wanderungsgewinne. Mehr Menschen als vor einem Jahrzehnt lockt das Landleben und oft empfinden sie die Stadt als laut, dreckig, hektisch und unsicher. Zu diesen Ergebnissen kommt die lesenswerte Studie „Neu im Dorf – Wie der Zuzug das Leben auf dem Land verändert“, veröffentlicht vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung zusammen mit der Wüstenrot-Stiftung. Speckgürtel um Metropolen herum und klassische Urlaubsregionen klammern die Wissenschaftler in ihrer Analyse bewusst aus, um verzerrte Ergebnisse zu vermeiden.

 

Im Vergleich der Zeiträume 2008-2010 mit 2018-2020 stellen sie einen Wandel fest: Nicht mehr die Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohnern registrieren im Saldo einen Zuzug, sondern vielmehr kleine Orte, selbst abgelegene. Auch im Osten Deutschlands ist die Landflucht somit vorbei. Die Arbeit im Homeoffice begünstigt diesen Trend, Corona hat ihn beschleunigt, die schnelle Internetverbindung macht es möglich. Wenn Pendler nicht mehr jeden Tag ihr Büro ansteuern müssen, sondern nur noch zweimal die Woche, ist der längere Arbeitsweg weniger lästig und anstrengend. 

 

Die Entwicklung betrifft fast alle Altersgruppen, abgesehen von den 18- bis 24-Jährigen, den sogenannten „Bildungswander:innen“, wie sie die Studie nennt. Diese jungen Erwachsenen zieht es nach wie vor in die großen Städte. Doch das Land hat inzwischen auch Anziehungskraft für die 25- bis 29-Jährigen, die „Berufswander:innen“. Und Erwachsene zwischen 30 und 49 mit minderjährigen Kindern bevorzugen ebenso wie die Älteren das Land, und das vor allem wegen der Immobilienpreise: Hier ist das Haus mit Garten anders als in den teuren Großstädten noch erschwinglich.

 

Trotz Zuzug schrumpfen viele Landgemeinden

 

Die Autoren der Studie haben einen optimistischen Blick auf das neue Landleben. In den Veränderungen durch den Zuzug sehen sie zwar Herausforderungen, mehr noch aber Chancen für Dörfer und Kleinstädte. So sorgen Familien mit Nachwuchs dafür, dass Dörfer nicht veröden, sondern Kita und Schule erhalten bleiben. Auch kommunale Haushalte profitieren von den wachsenden Steuereinnahmen.

 

Und trotzdem schrumpfen viele ländliche Gemeinden: Es sterben mehr Menschen als Kinder geboren werden – die Wanderungsgewinne gleichen den Rückgang nicht aus. Die Verantwortlichen in den Gemeinden sind daher gefragt, wie sie mit der Schrumpfung umgehen. Den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern misst die Studie im Wandel der ländlichen Orte eine große Rolle bei. 

 

Eigeninitiative ist gefragt

 

Das Gelingen hängt davon ab, wie ideenreich die Kommunalpolitiker agieren, wie sehr sie bereit sind zu Innovationen und sie sich auf die demographische Entwicklung einstellen. Eine Aufgabe liegt darin, kleinere, altersgerechte Wohnungen für ältere Menschen zu schaffen – und eine andere, „Donut-Dörfer“ zu vermeiden, in denen Ortskerne mit verfallenden Häusern veröden. 

 

Doch nicht alles kann die kommunale Hand leisten. Zusätzlich ist daher Eigeninitiative gefragt. Zum Beispiel beim Förderverein, der das örtliche Schwimmbad betreibt, bei der Nachmittagsbetreuung für Grundschulkinder oder als Vorstand im Verein.

 

Empfehlungen für Landgemeinden brauchen

 

Eine Herausforderung liegt darin, dass verschiedene Mentalitäten von Alteingesessenen und Neuzugezogenen mitunter aufeinanderprallen: Soziale Kontrolle kann „Stadtpflanzen“ abschrecken, die in der Anonymität der Großstadt aufgewachsen sind und diese Anonymität auf dem Land unbedingt beibehalten wollen, aber sich dadurch isolieren. Und wenn sich die neuen Dorfbewohner in den Neubaugebieten zurückziehen, vertieft sich der Graben. Dann bleibt es beim Nebeneinander statt Miteinander. Treffpunkte wie Kneipen und Bäckereien sowie Dorffeste und ein funktionierendes Vereinsleben im Sport- und Musikverein stärken hingegen den Zusammenhalt.

 

Am Ende ihrer Studie geben die Autoren Handlungsempfehlungen: Gemeinden und Regionen brauchen für vorausschauendes Planen präzise Datengrundlagen. Landkreise sollten Netzwerke schaffen, damit sich Kommunalpolitiker austauschen können. Gezielte Beratungsangebote sollten kleineren Gemeinden helfen, eine Schneise in den Dschungel der Fördermaßnahmen zu schlagen. Und für Alteingesessene wie Neuzugezogene ist die Bereitschaft nötig, aus der eigenen „Blase“ herauszutreten und neue Menschen und Lebensgewohnheiten zuzulassen.

 


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