Dicke Luft kann verhindert werden

Wenn sich der Umweltausschuss im EU-Parlament durchsetzt, stehen ab 2030 wieder Fahrverbote und Produktionsbeschränkungen an. Ein Abgeordneter versucht, das noch zu verhindern

Foto: Sandor Somkuti / pixelio.de
Foto: Sandor Somkuti / pixelio.de

 

Von Ludwig Hintjens  

  

Kein Europaabgeordneter kann später sagen, dass er nichts gewusst hätte. Die fatalen Folgen, die durch die Überarbeitung der Luftreinhaltungsrichtlinie in wenigen Jahren drohen, skizziert nämlich der Bericht des sozialistischen Abgeordneten Javi López. Ab 2030 würden EU-weit wieder Fahrverbote auf der Tagesordnung stehen. Industriebetriebe müssten ihre Produktion einstellen. Auch in der Landwirtschaft käme es zu neuen Auflagen – Verschärfungen über die bestehenden Regeln hinaus, etwa bei Ammoniak. Es wären nicht nur die einschlägig wegen dicker Luft bekannten Metropolregionen wieder fällig – in Deutschland etwa München wegen der Messstation an der Landshuter Allee, die Kruppstraße in Essen und die Schlossstraße in Ludwigsburg. Plätze, wo der Verkehr tobt und so gut wie keine Menschen leben, aber wo die klagefreudige Umweltlobby der DUH wegen Überschreitungen der Grenzwerte auf dem Gerichtswege Maßnahmen durchsetzen könnte.

 

Auch in Jüchen-Hochneukirch, im Krefelder Hafen, im sauerländischen Warstein in NRW und vielen weiteren nicht so großen Ansiedlungen EU-weit würde es zu Verboten kommen. Die Behörden müssten im Winter den Betrieb von Pelletheizungen und offenen Kaminen verbieten. Nicht nur Autos mit Verbrennungsmotor wären von Fahrverboten betroffen. Auch batterieelektrische Fahrzeuge dürften nicht mehr in die Umweltzone einfahren. Da E-Fahrzeuge wegen der schweren Batterie ein hohes Gewicht haben und der Abrieb von Reifen und Bremsen daher höher ist, würden sie als Feinstaub-Sünder die rote Karte bekommen.

 

Dies wären die Folgen, wenn der Gesetzestext am Mittwoch die Mehrheit im Plenum bekommt, den der Umweltausschuss des Parlaments (ENVI) mit knapper Mehrheit bereits angenommen hat. Grüne, Sozialisten, Linke und Teil der Liberalen wollen, dass die neuen Leitlinien für Luftschadstoffe der WHO eins zu eins 2030 zu Grenzwerten in der EU werden. Konkret würde das bedeuten, die Grenzwerte für Stickoxide (NOx) im Jahresmittel von 40 Mikrogramm auf zehn Mikrogramm um den Faktor vier zu verschärfen. Bei Feinstaub (PM2,5) soll der Grenzwert um den Faktor fünf pulverisiert werden.

 

Kritik an zu hohen Grenzwerten

 

Ein Abgeordneter aus Baden-Württemberg hält dagegen. Er heißt Norbert Lins (CDU) und kümmert sich als Chef des Agrarausschusses eigentlich um die Landwirtschaftspolitik der EU (GAP). Er ist nicht einmal ordentliches Mitglied im Umweltausschuss. Der Abgeordnete aus dem ländlichen Pfullendorf setzt sich auch für noch sauberere Luft ein. Er will aber die Grenzwerte entschärfen und fünf Jahre später erreichen.

 

Die fälligen Maßnahmen würden nicht nur wirtschaftlich gravierende Schäden verursachen. Sie wären auch unverhältnismäßig. Die Belastung der Menschen durch Luftschadstoffe ist seit den 90er Jahren kontinuierlich und sehr deutlich zurückgegangen. Ältere erinnern sich noch, dass in den 90er Jahren regelmäßig bei stabilem Sommerwetter Ozonalarm ausgelöst werden musste. Dazu kommt es heute nicht mehr. Ozon entsteht, wenn die hohe UV-Konzentration der Sonneneinstrahlung auf hohe Stickoxid-Werte trifft. Der jährliche Ausstoß von Stickoxiden in Deutschland ist innerhalb von 30 Jahren von knapp 3000 Tonnen auf unter 1000 Tonnen drastisch reduziert worden. Am kräftigsten sank der Anteil des Verkehrs an den Stickoxiden. Einen Löwenanteil daran hat der Diesel. Dank der Ad-Blue-Technologie sind Schadstoffe beim Diesel schon länger kein Problem mehr.

 

Geltende Luftreinhaltungsrichtlinie stammt aus 2008

 

Der Abgeordnete Lins bemüht sich, eine die Fraktionen übergreifende Koalition der Vernunft gegen die unverhältnismäßigen WHO-Grenzwerte zu schmieden. Seine eigene Fraktion der christdemokratischen EVP dürfte geschlossen hinter ihm stehen. Viele Konservative, einige Liberale sowie Sozialisten aus Südeuropa haben in der Vorwoche bereits seine Anträge unterschrieben. Lins‘ Erfolg würde den Weg dazu ebnen, dass das Europaparlament mit einer vernünftigen Position in die Verhandlungen mit dem Rat zieht.

 

Die geltende Luftreinhaltungsrichtlinie stammt aus 2008. Damals hatten die Co-Gesetzgeber nicht im Blick, welche handfesten negativen Folgen die Grenzwerte viele Jahre später haben würden. Dass sie etwa politisch für viel dicke Luft gesorgt und Kapital im Verhältnis der Bürger zur EU zerstört haben. Diesmal könnten die Abgeordneten es besser wissen.

 


Lesen Sie auch:

Brüsseler Signale an die europäischen Landwirte: Strenge EU-Vorgaben haben für Entfremdung der ländlichen Wähler gesorgt. Knapp ein Jahr vor der Europawahl bemüht sich Ursula von der Leyen um eine Kursbegradigung

 

Hier können Sie sich für unseren wöchentlich erscheinenden Newsletter anmelden.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0

natur+mensch – der Blog ist eine Initiative der Stiftung natur+mensch

Copyright © 2023 Stiftung natur+mensch - Havixbeck - Alle Rechte vorbehalten.