Kretschmann und das Mittelmaß

In Baden-Württemberg macht die CDU ihrem grünen Partner klar, dass sie einen vorzeitigen Rücktritt des 75-jährigen Ministerpräsidenten nicht mittragen wird

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. (Foto: Staatsministerium Baden-Württemberg)
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. (Foto: Staatsministerium Baden-Württemberg)

 

Von Wolfgang Molitor

 

Sollte noch irgendjemand unter den baden-württembergischen Grünen damit geliebäugelt haben, in dieser Legislaturperiode ihren betagten Regierungschef gegen eine frische Kraft auszutauschen, um diesen mit dem Rückenwind des Landesvaters in den Frühjahrswahlkampf 2026 zu schicken, dann hat die CDU diesen Gedankenspielen jetzt ein Ende gesetzt. Nein, sagt ihr junger Fraktionschef Manuel Hagel, nein, die Wahl eines Kretschmann-Nachfolgers „aus Gründen des reinen grünen Machterhalts“ ist für die CDU keine Option.

 

Die Grünen nehmen das offensichtlich sportlich – zumal Kretschmann ohnehin keinen Anlass bietet, über seine vorzeitige Verrentung nachdenken zu müssen. Das hängt zum einen damit zusammen, dass der Öko-Konservative allen politischen Ermattungserscheinungen zum Trotz weiter ein höchstpopulärer Regierungschef ist. Hinzu kommt, dass die Grünen weiter einen großen Bogen um tragfähige Andeutungen machen, wer sie im nächsten Wahlkampf denn in die Schlacht führen soll, die ihnen eine vierte Legislaturperiode als stärkste Regierungsfraktion sichern soll. Kandidatinnen sind nicht in Sicht, Fraktionschef Andreas Schwarz fehlt es wohl dauerhaft an Charisma, Finanzminister Danyal Bayaz mangelt es an Bekanntheit, und Cem Özdemir, der Bundes-Prominente mit Stuttgarter Direkt-Mandat, tut sich schwer, einem ländlichen Ruf, wenn er denn überhaupt kommt, zu folgen. 

 

Die Grünen sind vom Kretschmann-Zuschlag abhängig

 

Die kommende Landtagswahl ist für die Grünen mehr als ein Generationenwechsel. In allen Umfragen liegen sie erkennbar hinter der keineswegs gefestigten CDU. Ohne den starken Kretschmann-Zuschlag scheint das Vorhaben, weiter den MP zu stellen, auch angesichts bundespolitischer Ampel-Verstörungen kein Selbstläufer zu sein. Denn auch das ist zum jetzigen Zeitpunkt klar: Die Grünen werden sich nicht auf eine schwache SPD und eine radikalrhetorische FDP einlassen können, um – selber geschwächt – eine neue Regierung zusammenzuschweißen. So bleibt die CDU übrig, dann aber wohl als Nummer Eins. Keine rosig-grünen Aussichten für Özdemir, der sich wohl erst nach dem Ausgang der Bundestagswahl 2025 zwischen Bund oder Land entscheiden wird. 

 

Für die CDU ist die Gewissheit, keinen fliegenden Wechsel in der Staatskanzlei schlucken zu müssen, ein Zeitgewinn. Nach derben Wahlschlappen scheint sie sich langsam wieder zu finden. Ihr Vorsitzender Thomas Strobl, von Untersuchungsausschüssen schwer angeschlagen und parteipolitisch nur noch als individueller grün-schwarzer Garant tragbar, wird eine überschaubare Lücke hinterlassen, in die der 35-jährige Hagel nicht ohne Geschick vorzustoßen gedenkt. Das braucht Zeit. Dass die CDU deshalb nicht mit vorgezogenen Neuwahlen liebäugelt, hat aber auch mit einer starken AfD zu tun, die jüngst im Land die 20-Prozent-Marke geknackt hat.

 

In Baden-Württemberg bleibt also alles beim Alten. Was längst heißt: Das frühere Musterländle rutscht weiter ab ins Mittelmaß. Bei der Schulpolitik, im Klimaschutz, bei der inneren Sicherheit. Nicht zuletzt in der Bedeutung eines zukunftssicheren Wirtschaftsstandortes. Die Kommunalwahlen im kommenden Sommer werden erste Hinweise geben, wie es bei den Grünen und in der CDU weitergehen könnte. Irgendwann ohne Kretschmann. 

 


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