Hitzewelle wird zur Gefahr – Unsicherheiten in der Klimapolitik

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche

 

Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,

in dieser Woche hat sich das Wetter vielerorts in Deutschland glücklicherweise wieder etwas beruhigt. Aber im übrigen Europa jagt momentan ein Hitzerekord weiterhin den anderen, die Temperaturen lagen im Süden des Kontinents zeitweise deutlich über 40 Grad. In zahlreichen italienischen Städten wurde die höchste Warnstufe ausgerufen. Rom meldete über 41 Grad. Es kommt dort wegen der vielen laufenden Klimaanlagen zu Stromausfällen. Und im Landesinneren der Inseln Sardinien und Sizilien müssen sich die Menschen auf Höchsttemperaturen von 45 bis 46 Grad einstellen. Die Notaufnahmen der Krankenhäuser werden voller, die Zahl der Notarzteinsätze in ganz Italien seien um 20 Prozent gestiegen, berichten nationale Medien. Auch in Spanien und Griechenland herrschen extreme Temperaturen. Mallorca verzeichnete 43 Grad und in Katalonien waren es sogar 45. Hinzu kommen Waldbrände, die wegen der extremen Trockenheit und starker Winde, etwa um die griechische Hauptstadt Athen herum, heftig wüten. Was früher einmal als absolute Ausnahmesituation galt, wird heute immer mehr zur bitter-heißen Normalität.
 

Jürgen Wermser
Jürgen Wermser

Manch sonnenhungrige Touristen mögen sich an heißen Temperaturen erfreuen. Aber für andere Bürger wird die extreme Temperatur zur gesundheitlichen und auch wirtschaftlichen Bedrohung. Im ländlichen Raum schrillen in Deutschland mittlerweile vielerorts die Alarmglocken. Die Gefahr durch Waldbrände ist groß, und die Landwirte sorgen sich um die langfristigen Auswirkungen von immer häufigeren Dürren und Phasen von Starkregen auf künftige Ernten. 

 

Keine Frage, nicht alles mag auf den Klimawandel zurückzuführen sein. Aber an der Tatsache einer zunehmenden Erderwärmung kann niemand mehr ernsthaft zweifeln. Wir müssen daher lernen, mit den teils dramatischen Folgen künftig umzugehen und die negativen Auswirkungen möglichst weit einzudämmen. Vor allem für Menschen, die von und mit der Natur leben, bedeutet dies eine große Herausforderung. Das Gute bei alledem: Die Mehrheit der Bevölkerung ist bereit, sich der neuen Lage zu stellen und auch entsprechende persönliche Veränderungen vorzunehmen. Doch verständlicherweise nicht um jeden Preis. Die Bürger möchten informiert und bei den notwendigen Entscheidungen angemessen mitgenommen werden. Es geht hier für die Berliner Ampelkoalition um politische Führung und Vertrauensbildung durch ein möglichst hohes Maß an Transparenz und Kommunikation.

 

Gewiss, die Regierung hat versprochen, niemand solle überfordert werden. Doch viele empfinden diese Zusicherung bislang als recht hohles Versprechen. Zu viel und zu plötzlich ist etwa beim Thema Heizungsgesetz auf links gedreht worden. Entsprechend niedrig sind die Umfragewerte der Koalition, während sich gleichzeitig Rechtspopulisten in einem geradezu abenteuerlichen Aufwind befinden. Hinzu kommt, dass angesichts allgemeiner Verunsicherung und Ratlosigkeit die private Investitionsbereitschaft zugunsten energiefreundlicherer Häuser und Wohnungen sinkt. Bezeichnend hierfür ist der Einbruch bei der Nachfrage nach Wärmepumpen. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres wurden nur noch 41.300 Förderanträge für Wärmepumpen gestellt. Im selben Zeitraum des Vorjahres waren es noch etwa 75.000 gewesen. Ein Hauptgrund dürfte neben gesunkenen Gaspreisen auch die generelle Unsicherheit nach dem langen Streit um das Heizungsgesetz gewesen sein. 

 

Weniger Gebäudesanierungen: Offener Brief von 15 Verbänden

 

In einem offenen Brief an die Bundesregierung und den Bundestag beklagten jetzt 15 Verbände, dass auch Gebäudesanierungen insgesamt weniger gefragt seien. Darunter sind der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), die Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz (DENEFF), der Verband Fenster und Fassade und der Verbraucherzentrale Bundesverband. Die Verbände verwiesen auf Zahlen des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, wonach sich im April, Mai und Juni die Zahl der Anträge für eine Bundesförderung für effiziente Gebäude im Vergleich zum jeweiligen Vorjahresmonat halbiert habe. 

 

Auch beim Thema Elektromobilität scheint zumindest vorerst der große Schwung vorbei. Die Nachfrage sinkt, seit der staatliche Zuschuss beim Kauf verringert wurde. Große Autohersteller wie VW drosseln bereits ihre Produktion, und die Verbrennermotoren erfreuen sich weiterhin großer Beliebtheit. Kunden sind verunsichert und fragen sich, ob der Kauf von Elektrofahrzeugen nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich für sie persönlich sinnvoll ist. Die Ampelkoalition strebt zwar an, dass bis 2030 bereits 15 Millionen E-Autos in Deutschland rollen. Aber diese Botschaft ist bei den Bürgern nicht wirklich angekommen. Es mangelt an Überzeugungskraft und finanziellen Anreizen. Denn aktuell sind nur gut eine Million E-Autos auf deutschen Straßen unterwegs, und lediglich 16 Prozent der Neuwagenkäufer haben sich in den ersten sechs Monaten dieses Jahres für ein solches Fahrzeug entschieden. Von einer Trendwende kann man da wohl kaum sprechen.

 

Schlechte Regierungsarbeit und die Herausforderungen im ländlichen Raum

 

All diese Beispiele zeigen, welch ungewollte Nebenwirkungen handwerklich schlechte Regierungsarbeit haben kann. Für die nächsten Jahre sind dies keine guten Aussichten. Denn leider deutet wenig darauf hin, dass sich Stil und Zusammenarbeit der Koalition grundlegend ändern könnten. Im Gegenteil: Die internen Streitigkeiten und einseitigen Profilierungsversuche dürften eher noch zunehmen, je näher die nächsten Landtagswahlen und vor allem die Entscheidung im Bund rücken. Dabei steht gerade im ländlichen Raum in den kommenden Jahren viel auf dem Spiel. Die Produktion von Lebensmitteln sowie der Umwelt- und Klimaschutz stehen hier massiv unter Veränderungsdruck. Vernünftige Verbesserungen können jedoch nur gelingen, wenn alle Hauptbetroffenen – sprich Landwirte und andere Naturnutzer – angemessen beteiligt und gegebenenfalls auch von der Solidargemeinschaft entschädigt werden. Das Wichtigste: Es muss stets mit Augenmaß vorgegangen werden. Denn so wichtig Natur-, Umwelt- und Klimaschutz auch sind, die Ernährungssicherheit der Bevölkerung bleibt ein ebenso hohes Gut. 

 

Das Beispiel Ukraine und die politische Dimension des Hungers

 

Viele Deutsche – insbesondere in naturfernen Großstädten – halten die ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln für eine Selbstverständlichkeit. Doch es kann plötzlich auch ganz anders kommen, wie uns gerade das Beispiel Ukraine auf traurig-schreckliche Weise deutlich macht. Hunger kann zur politischen Waffe werden, die von rücksichtslosen Politikern gnadenlos eingesetzt wird. Man nehme nur das Beispiel Getreideabkommen. Putins Blockade weiterer sicherer Lieferungen stürzt Millionen Menschen vor allem in Afrika und Asien in schwere Not. Das wird vom Kremlchef kaltlächelnd hingenommen. 

 

Daraus folgt: Eine politische Erpressbarkeit bei den Lebensgrundlagen muss unbedingt vermieden werden. Deshalb brauchen wir in Deutschland und in der Europäischen Union eine leistungsfähige und verlässliche Landwirtschaft. Momentan geht es darum, wie sich dieser Bereich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten so neu organisieren kann, dass Ökologie und die allgemeinen Verbraucherinteressen vernünftig in Einklang kommen. Es ist Aufgabe einer jeden Regierung, hierbei Rahmenbedingungen zu setzen und für entsprechende Anpassungshilfen zu sorgen.

 

„Löwenjagd“ in Berlin und die Doppelmoral der Tierschützer

 

Und zum Schluss noch ein Hinweis auf jüngste Meldungen, die in Sachen Tierliebe schon zum Grübeln führen können: die „Löwenjagd“ in Berlin. Dort marschieren bewaffnete Hundertschaften auf, kreisen Polizeihubschrauber und sind Drohnen im Einsatz, um ein mutmaßlich entlaufenes Raubtier zur Strecke zu bringen. Derweil wird den Menschen in den Alpen weiterhin das Zusammenleben auch mit nachweislich verhaltensauffälligen Raubtieren zugemutet – siehe die richterliche Aufhebung des Todesurteils gegen die Killer-Bärin im Trentino. Weshalb schweigen radikale Tierschützer in dem einen Fall und kämpfen lautstark mit harten Bandagen in dem anderen? Gilt etwa auch bei ihnen der Heilige Sankt Florian: Verschon mein Haus, zünd andere an? Den Eindruck könnte man schon gewinnen …

 

Mit diesen Bemerkungen am Rande verbleibe ich mit den besten Grüßen und Wünschen für eine gute, positive Woche

Ihr

Jürgen Wermser

Redaktionsleitung/Koordination

 

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