Von Hektik und Herausforderungen

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche

 

Liebe Leserinnen und Leser unseres Politblogs,

nach all der Hektik um das Gebäudeenergiegesetz gibt sich der Kanzler gefasst. So hat er sich am Freitag auch in der traditionellen Sommerpressekonferenz vor der parlamentarischen Sitzungspause gezeigt. Er sieht seine Bundesregierung bei der Modernisierung Deutschlands auf Kurs. Das nennt man politisches Marketing. Gleichwohl war zu spüren und auch seinem Pokerface anzusehen, dass er sich schon gewaltig darüber geärgert haben muss, wie das mit dem Heizungsgesetz gelaufen ist. Das hat er dann auch vor der Bundespresse bestätigt: „Es ist ja kein Geheimnis: Dass da so laut diskutiert worden ist, gefällt weder mir noch irgendwem sonst.“ Er gibt sich gleichwohl überzeugt, dass der Heizungskompromiss Deutschland nach vorne bringen werde. Ob man das wirklich so werten kann, wird erst später belastbar zu prüfen sein. Erst einmal sind die Kommunen mit ihrer geforderten Wärmeplanung an der Reihe. Dass dieser Punkt zu Beginn aller Debatten in Habecks Heizungsplänen nicht vorkam, scheint inzwischen schlicht vergessen zu sein. Die kommunale Wärmeplanung ist ein Riesenprogramm, das nun erst einmal in den Städten und Gemeinden zu stemmen ist. Trotz aller Zuversicht des Kanzlers ist das Gesetz noch nicht so von der Rampe gehoben, dass es am 1. Januar in Kraft treten kann.

 

Jost Springensguth
Jost Springensguth

Das Parlament muss es erst beschließen, und dann muss es auch noch verfassungsfest sein. Der Gleichbehandlungsgrundsatz könnte da schon weiter eine Rolle spielen. Einen ersten Strich hatten ja die Karlsruher Richter durch den Hoppla-Hopp-Zeitplan gemacht. Wir erinnern uns: Ein auch für den Kanzler bisher wenig auffälliger Bundestagsabgeordneter der CDU hatte das Verfassungsgericht gegen die Ampel-Hektik in der Gesetzgebung aufgebracht. Eigentlich hätte die Fraktionsführung der Union auf die Idee kommen können, das Recht machbarer Zeitabläufe in Parlamentsverfahren einzuklagen. Es war dann ein MdB im Alleingang, der das Verfassungsgericht anrief: Thomas Heilmann aus dem Berliner Wahlkreis Steglitz-Zehlendorf. Den Mann kennen wir damit jetzt. Aber auch den offensichtlichen, schon zitierten Unmut von Olaf Scholz, der nun plötzlich die weiteren Abläufe zum umstrittenen Gesetz erst nach der Sommerpause und nicht in einer eigens in der Ferienzeit einberufenen Sondersitzung des Parlaments für „sehr vernünftig“ hält. Apropos Vernunft: Dazu gehört nach der bisher bekannten Vorstellung auf der Regierungsbank allerdings nicht, das umstrittene Gesetz noch einmal inhaltlich anzufassen. Mal abwarten, was die Opposition da noch bewegen kann.

 

Was war da noch in dieser Woche neben dem Nato-Gipfel und der vom Bundeskabinett beschlossenen China-Strategie? Der Haushalt ist verabschiedet. Aber nur über die Kappung des Elterngeldes an der Einkommensgrenze von 150.000 Euro. Darüber wird noch in vielen Familien zu reden sein, wenn sie dann ihre kleinen Haushaltspläne zu korrigieren haben. 

 

Unruhe durch überraschende Vorschläge

 

Und immer wieder tauchen Überraschungseier auf, die dazu beitragen, dass im Volk zu 54 Prozent der Eindruck entstanden ist, die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP mache ihre Arbeit eher schlecht. Dazu tragen wohl auch immer wieder einzelne Schnellschüsse aus dem Regierungslager bei. So kommt aus der Kanzlerpartei der Vorschlag, das Ehegattensplitting plötzlich infrage zu stellen. Kein geringerer als Lars Klingbeil aus der SPD-Doppelspitze kommt damit ohne Vorwarnung um die Ecke. Und der zuständige Sozialminister, sein Parteifreund Hubertus Heil, klatscht spontan Beifall. Bedenken gibt’s genug. Das fing schon an mit der Bemerkung des Altvorderen Peer Steinbrück, der bei Maischberger zu der Klingbeil-Initiative bemerkte: „Da lässt man nicht so einfach mal einen Heißluftballon starten, ohne die damit verbundenen Fragen sehr genau abzuwägen.“ Mit den Fragen meinte er unter anderem das Verfassungsrecht. Das Thema hat dann übrigens Olaf Scholz gestern in seiner Sommerpressekonferenz mit dem Verweis wieder abgeräumt, dass von der Abschaffung des Ehegattensplittings nichts im Koalitionsvertrag steht. 

 

Alles in allem wird dann gern immer wieder die unprofessionelle Kommunikation beklagt, wenn solche Vorstöße letztlich ins Leere laufen. Die unterschiedliche Betroffenheit der Menschen im Lande trägt offensichtlich auch zu dem diffusen Meinungsbild bei, wie es aus den Zahlen der Sonntagsfrage abzulesen ist. Das ZDF-Politbarometer meldet am Freitag insgesamt 40 % für die drei Ampel-Parteien. Das wäre dann ja wohl keine Regierungsmehrheit mehr. Die Union bleibt bei 27 Prozent gedeckelt, und die AfD bündelt 20 Prozent meist Unzufriedene in unserem Land. Merz wollte diese Wählerschaft halbieren, und gestern äußerte der Kanzler seine Zuversicht, dass bei der nächsten Bundestagswahl die AfD nicht viel anders abschneiden werde als beim letzten Mal. Das waren 10,3 Prozent der Stimmen. Damit wäre das dann auch nicht weit weg von der Halbierung. 

 

Jetzt kommen erst einmal im Oktober die Landtagswahlen in Hessen und Bayern, bei denen die Stimmung im ganzen Lande schon eine Rolle spielen wird. Das Heizungsgesetz sollte zumindest bei Grünen und SPD aus den Wahlkämpfen herausgehalten werden. Die zu erwartenden munteren Debatten im Bundestag über dieses umstrittene Gesetz werden gleichwohl Themenlieferant in den Landtagswahlkämpfen sein. 

 

Heide Simonis: Eine herausragende Figur der Sozialdemokratie

 

An eine herausragende Figur der Sozialdemokratie und frühere themenreiche Landtagswahlkämpfe erinnern wir uns in dieser Woche anlässlich des Todes von Heide Simonis. Sie zog 1976 als jüngste Abgeordnete in den Deutschen Bundestag ein, nachdem sie im Wahlkreis Rendsburg-Eckernförde direkt gewählt worden war.  In der Folge profilierte sie sich markig in Bonn, war eine herausragende Finanzpolitikerin, wurde dann die erste Ministerpräsidentin in Deutschland. Und sie war vor allem eine, die kein Blatt vor den Mund nahm. Deshalb erinnere ich an sie. Etwa, wie sie einen männlichen Machtkampf an der Spitze ihrer eigenen Partei zu rüffeln wusste: „Die benehmen sich wie kleine Jungs, die im Sandkasten spielen. Irgendwann hauen sie sich dann immer die Eimer um die Ohren.“ So nahm sie sich 1995 ihren Parteichef Rudolf Scharping und dessen Kontrahenten Gerhard Schröder mit ihren konkurrierenden Kanzlerambitionen gleichzeitig vor: Der Abschied aus der Politik war dann für sie bitter. Nach mehreren Probeabstimmungen in den eigenen Reihen ließ sie ein bisher unbekannter „Heide-Mörder“ als Ministerpräsidentin scheitern. Zur Vollständigkeit: Peter Harry Carstensen übernahm das Amt und ließ nicht aus, anzumerken, dass so ein Verrat für ihn politisch unerträglich sei. Auch er hat auf seine Art und mit einem späteren Wahlsieg gegen Ralf Stegner das Land weiter vorangebracht. 

 

Auf der anderen Seite der Parteienlandschaft spielt Carstensens Nachfolger Daniel Günther in der aktuellen Debatte über Ausrichtung und Zustand der CDU zusammen mit seinem nordrhein-westfälischen Amtskollegen Hendrik Wüst eine zentrale Rolle. Beide stehen für einen Kurs der Mitte, den Parteichef Friedrich Merz gerade nicht verkörpert. Mario Czaja sollte mit seiner Ostberliner Verwurzelung als Generalsekretär das Feld beackern, was dem Parteivorsitzenden als Wirtschaftskonservativem nun einmal nicht liegt. Czaja hatte sich u.a. als Berliner Senator in der Sozialpolitik einen Namen gemacht. Das erwartete Kampagnenmanagement war dann offensichtlich doch nicht seine Sache. Carsten Linnemann, der junge neue Generalsekretär, bewegt sich dagegen inhaltlich und auch persönlich in der Nähe von Friedrich Merz. Als neuer Programmatiker der CDU agiert er bereits überzeugend. Für seine Partei hat er sich in den letzten Monaten strategisch und konzeptionell als Leiter der Programmarbeit profiliert. Nun soll er sich als Kopf des Adenauerhauses zeigen und wohl in die Fußstapfen von meinungsstarken Generalsekretären wie Biedenkopf, Geißler, Hintze und auch Angela Merkel steigen. Kampagnenfähigkeit hat die CDU in verschiedenen Landesverbänden bewiesen, im Bund hatte sich da wohl eine Lücke aufgetan, die Merz nun schließen will. Immerhin, so sagt der neue Generalsekretär selbst, gibt es für ihn keine Denkverbote in der eigenen Partei. In der Woche seiner Ernennung tat sich da gleich für ihn eine große Herausforderung auf: die Ablehnung eines Antrags der Bundes-CDU durch ein Kreisparteigericht in Thüringen, dem Rechtsrebellen Hans-Georg Maaßen die Mitgliedschaft zu entziehen. Es bleibt dabei: Eine große Herausforderung für jeden Generalsekretär der CDU werden die neuen Bundesländer mit ihren anstehenden Landtagswahlen im nächsten Jahr bleiben. 

 

Die Vernachlässigung des ländlichen Raumes

 

Auffällig ist auch in diesem politischen Wochenrückblick, dass die Themen des ländlichen Raumes wieder einmal keinen Platz in den großen Debatten fanden. In unseren täglichen Blogbeiträgen und auch künftigen Newslettern werden wir uns weiter schwerpunktmäßig damit beschäftigen. So etwa mit Gesetzesinitiativen, die die Jagd betreffen, und vor allem, wenn dabei Bewährtes plötzlich infrage gestellt wird. Das geschieht zurzeit gerade in Rheinland-Pfalz, in Brandenburg und bald wohl auch in Bremen. In NRW und Baden-Württemberg hatten wir vor knapp zehn Jahren genug damit zu tun, politische Gefährdungen der Jagd abzuwenden. Sie ist uns ein Anliegen. Unsere Passion hat keine Zukunft, wenn der ländliche Raum zusammen mit all seinen Naturnutzern, etwa in Land- und Forstwirtschaft, nicht funktioniert. Deshalb beobachten wir auch sehr genau die Entwicklung des sogenannten „Green Deals“ in der EU. Er wird wohl ein großes Thema im nahen Wahlkampf für das EU-Parlament werden. Dabei geht es um viele Existenzen – auch bei uns auf dem Land. 

 

Viele der Leser unseres Blogs und unseres Newsletters sind für unsere Beiträge dankbar. So erreichte uns jetzt eine Reaktion – verbunden mit einer Spende an unseren Herausgeber, die Stiftung natur+mensch: „Im Übrigen darf ich mich für die ausgewogene Kommentierung bedanken, die die Anliegen insbesondere der ländlichen Region treffend beschreibt. Es ist mir jedenfalls immer ein Vergnügen, den Wochenrückblick der Verfasser der entsprechenden Artikel zu lesen. Gerne mache ich hierfür auch im Bekanntenkreis Reklame.“

 

Das ermuntert uns, in diesem Sinne unsere Arbeit fortzusetzen.

 

Ihnen allen ein schönes Sommerwochenende

Ihr

Jost Springensguth

Redaktionsleitung / Koordination

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