Tauziehen in EU über künftige Nutzung von ländlichen Ökosystemen – Koalition beschließt neues Einwanderungsgesetz

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche

 

Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,

 

während weite Teile Deutschlands in dieser Woche erst unter Hitze und Trockenheit sowie anschließend unter schweren Unwettern litten, wurden in der EU Weichen für die künftige Klima- und Agrarpolitik der EU gestellt. Die zuständigen Umweltminister einigten sich auf eine „Allgemeine Ausrichtung“ zum umstrittenen Renaturierungsgesetz, das von der Brüsseler Kommission vorgeschlagen worden war. Damit liegt nun ein Mandat für die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament vor. Das Ziel: 20 Prozent der Land- und Meeresflächen in der EU sollen geschützt und geschädigte Ökosysteme wie Wälder und Moore wiederhergestellt werden. Kritiker warnen, dass durch die strengeren Auflagen Flächen verloren gehen, die derzeit noch intensiv landwirtschaftlich genutzt werden können. Damit sei die Ernährungssicherheit gefährdet, heißt es bei den Christdemokraten. Dagegen heißt es in einem offenen Brief von 3000 Wissenschaftlern aus ganz Europa, das Gegenteil sei der Fall: Das größte Risiko für die Ernährungssicherheit seien der Klimawandel und extreme Wetterereignisse. So oder so: Für den ländlichen Raum steht bei den anstehenden Verhandlungen viel auf dem Spiel. Umso wichtiger, dass sie stärker als bisher auch von einer breiteren Öffentlichkeit kritisch begleitet werden. Unser Politblog wird das Thema Green Deal deshalb weiter im Fokus behalten.

 

Jürgen Wermser
Jürgen Wermser

Keine Frage, auch der Fachkräftemangel gefährdet momentan zunehmend unseren Wohlstand. Auch im ländlichen Raum suchen Betriebe etwa im Handwerk oder in der Gastronomie händeringend nach qualifizierten Beschäftigten. Sie werden auf dem hiesigen Arbeitsmarkt einfach nicht fündig. Im Klartext: Ohne Migration geht es nicht. Insofern ist das jetzt geplante neue Einwanderungsrecht überfällig gewesen. Danach sollen ausländische Abschlüsse künftig leichter anerkannt und Immigranten nach einem Punktesystem bewertet werden. So weit, so gut. Aber das allein dürfte nicht reichen, um genügend Bewerber aus anderen Regionen der Welt nach Europa und speziell Deutschland zu locken. Denn die Personen, die die Regierung im Blick hat, sind auf dem internationalen Arbeitsmarkt heiß begehrt. Vor allem Regionen wie Australien, USA oder Kanada gelten als attraktive Ziele für junge Spitzenkräfte.

 

Hohe Abgabenlast schwächt die Wettbewerbsposition

 

Deutschland und seine Regierung müssen deshalb noch viele weitere Hausaufgaben erledigen, um die gewünschte Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Dazu gehört neben dem Abbau von Bürokratie und günstigeren Energiepreisen auch ein leistungsorientierteres Steuersystem. Wie jeder von uns immer wieder spürt, greift der Staat kräftig ins Portemonnaie seiner Bürger. Die Abgabenlast in Deutschland ist im Vergleich zu anderen typischen Einwanderungsländern hoch, was auch die hiesige Wettbewerbsposition auf dem internationalen Fachkräftemarkt schwächt. Daran etwas zu ändern, gehört zu den Aufgaben einer Regierung, die sich die Modernisierung des Landes auf die Fahnen geschrieben hat. Zum Thema Förderung von Unternehmen, Mittelstand und kleineren Betrieben gerade im ländlichen Raum ist aus Berlin bislang ebenfalls wenig zu hören. Der grüne Wirtschaftsminister scheint vor allem mit der Energiewende beschäftigt zu sein. Gewiss ist dies ein zentrales Thema nicht nur der deutschen Politik. Aber ohne eine Sicherung des Wohlstandes, zu der neben konkurrenzfähigen Betrieben auch ausreichend Fachkräfte zwingend erforderlich sind, wird die Umstellung auf grüne Energien gefährdet. Das Thema Einwanderung von Fachkräften muss deshalb oben auf der Tagesordnung bleiben. Denn ob das aktuell geplante Gesetz ausreichend ist, dürfte doch recht fraglich sein. 

 

Regierungsvertreter weisen gerne darauf hin, dass die Stimmung im Lande oft schlechter sei als die tatsächliche Lage. Das mag teilweise stimmen. Aber ein solches Meinungsklima kommt nicht von ungefähr. Es ist politisch relevant und ein Frühindikator für mangelndes Vertrauen zu den gewählten Amtsträgern. Hier rächen sich handwerkliche Fehler, die zwar möglicherweise im Nachhinein korrigiert wurden, aber trotzdem Zweifel an der Kompetenz der jeweils Handelnden weckten. Politik beruht nun einmal wesentlich darauf, welches Bild sich die Bürger von der Arbeit ihrer Regierung und der Volksvertreter insgesamt machen. Und da sieht es für das Bündnis aus SPD, Grünen und Liberalen in Berlin momentan nicht sonderlich gut aus, wie sich gerade beim zentralen Projekt einer Energiewende zeigt.

 

Heizungsumstellung: Tiefe Verunsicherung im ländlichen Raum

 

Die Ampelkoalition setzt darauf, dass ihre Einigung in Sachen Heizungsumstellung die Gemüter beruhigt. Der erste Eindruck mag diese Hoffnung von SPD, Grünen und FDP bestätigen. Die ganz große Aufregung flaut momentan ab. Aber es bleibt gleichwohl bei vielen Bürgern gerade im ländlichen Raum eine tiefe Verunsicherung. Dies betrifft – um nur ein Beispiel von vielen zu nennen – etwa den Bereich Fernwärme, der nach dem Willen der Koalition stark ausgebaut werden soll. In großen Städten könnte dies gelingen. Dort sind die Entfernungen zwischen den verschiedenen Haushalten gering, und die Zahl der möglichen Abnehmer ist groß. Im ländlichen Raum sieht dies anders aus, sodass dort viele Haushalte bereits auf andere Lösungen umgestiegen sind, etwa Wärmepumpen oder Pelletheizungen. Auch in Dörfern und kleineren Städten könnte Fernwärme eine gute Lösung sein, aber nur bei entsprechender Beteiligung. Der Städte- und Gemeindebund plädierte deshalb für eine Anschlusspflicht, die gemäß dem Regierungskonzept jedenfalls nicht ausgeschlossen ist. Doch was ist mit Bürgern, die sich bereits für eine andere Lösung entschieden haben? Sind diese besonders Energiebewussten am Ende die Dummen? 

 

Solche und ähnliche Fragen stellen sich viele, weil das Konzept der Regierung weiterhin in vielem mit heißer Nadel gestrickt und unausgegoren wirkt. Entsprechend sinkt die positive Grundstimmung und damit die Bereitschaft, sich möglichst schnell und energisch mit viel Geld und Eigeninitiative im persönlichen Bereich gegen den Klimawandel zu stemmen. Schade, denn damit hat eine Regierung, die sich die Energiewende auf die Fahnen geschrieben hat, ihrem so wichtigen und im Grundsatz unstrittigen Anliegen einen Bärendienst erwiesen.

 

Referendum für neues Klimaschutzgesetz in der Schweiz

 

Wie Klimaschutz auch anders gehen kann, haben die Schweizer der Berliner Ampelkoalition grade vorgemacht. Die Eidgenossen sprachen sich in einem Referendum für ein neues Klimaschutzgesetz aus. Dieses sieht vor, den Öl- und Gasverbrauch schrittweise zu senken. Der Umstieg auf klimafreundliche Heizungen soll finanziell gefördert werden. Auch Unternehmen, die in den Klimaschutz investieren, bekommen Geld vom Staat – insgesamt 3,2 Milliarden Franken sind vorgesehen. Das Ziel: Bis 2050 soll die Schweiz CO2-neutral sein. Die rechtsgerichtete Schweizerische Volkspartei SVP hatte vor zu hohen Kosten gewarnt und das Referendum durchgesetzt. Dagegen hatten fast alle politischen Parteien in der Schweiz und auch der Wirtschaftsverband Economie Suisse für ein Ja zum Klimaschutzgesetz geworben. Die Umweltorganisation Greenpeace zeigte sich in einer Mitteilung über das Abstimmungsergebnis „hocherfreut“: Die Schweiz sei nun „ernsthaft auf dem Weg, aus fossilen Energien auszusteigen, das gebe Planungs- und Rechtssicherheit“. 

 

Der entscheidende Unterschied zu Deutschland: Die Regierung in Bern konnte die Bevölkerung davon überzeugen, sich schrittweise von Energieträgern wie Öl oder Gas zu verabschieden. Allerdings wird der Verbrauch nicht ausdrücklich verboten. Stattdessen soll sich der Ausstieg über längere Zeit hinziehen und damit auch für Rentner sowie Bürger mit kleinem Einkommen finanziell erträglich bleiben. Kurzum, die Schweizer Regierung hat hier Klimaschutz mit Augenmaß und nicht wie die Ampel in Berlin mit der Brechstange praktiziert. Entsprechend pragmatisch und unideologisch verlief auch die staatliche Kommunikation – eine Gelassenheit, die bei den Bürgern offenkundig ankam und ihr Ziel erreichte: Ein Sieg für den Klimaschutz, verbunden mit einer Schwächung der Rechtspopulisten.

 

Gibt es den ersten AfD-Landrat in Deutschland?

 

In Deutschland dagegen haben die Rechtspopulisten von der AfD augenscheinlich stark von dem Hin und Her gerade bei den Stichworten Heizungsumstellung und Klimawandel profitiert. Dies zeigt sich nicht nur in bundesweiten Umfragen, sondern auch in jüngsten Wahlergebnissen auf kommunaler Ebene. Besonders krass: Nach der morgigen Stichwahl des Landrats im thüringischen Landkreis Sonneberg könnte es einen ersten AfD-Landrat in Deutschland geben. Der AfD-Abgeordnete Robert Sesselmann hatte in der ersten Runde mit 46,7 Prozent die meisten Stimmen erhalten. In der Stichwahl tritt er gegen Jürgen Köpper (CDU) an, der vor zwei Wochen auf lediglich 35,7 Prozent kam. Köpper wird nun in quasi letzter Sekunde auch von SPD, FDP und Linken unterstützt. Morgen wissen wir hier mehr …

 

Mit diesem Hinweis verbleibe ich mit den besten Grüßen und Wünschen für eine gute, positive Woche

Ihr

Jürgen Wermser

Redaktionsleitung/Koordination

 

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