Tante Emma 2.0: Der Erfolg der 24/7-Dorfläden

Supermärkte sind aus vielen Dörfern verschwunden. Ein Hybridmodell aus Online-Shop und sogenanntem Tante-Enso-Laden könnte Abhilfe schaffen

Zwei Kundinnen verlassen einen Tante-Enso-Laden. (Foto: www.myenso.de)
Zwei Kundinnen verlassen einen Tante-Enso-Laden. (Foto: www.myenso.de)

 

Von Christian Urlage

 

Tante-Enso-Laden – klingt fast wie Tante-Emma-Laden, und das ist kein Zufall. Bewusst erinnert das Bremer Unternehmen „myEnso“ mit dem nostalgischen Begriff an die früheren kleinen Einzelhandelsgeschäfte. Im Dorf boten sie Lebensmittel und andere Artikel des täglichen Bedarfs an, sind aber seit den 1980er Jahren verschwunden und nur noch als Kinderspielzeug – dem „Kaufmannsladen“ – oder in Heimatmuseen anzutreffen. 

 

Zu groß war die Konkurrenz der zentral gelegenen großen Supermärkte, zu teuer waren die wenigen Produkte. Es lohnte sich einfach nicht mehr. Und für die Lebensmittelketten mit ihren Discountern wäre eine Filiale an den abgelegenen Standorten völlig unattraktiv gewesen. Doch so mancher Ältere erinnert sich mit Wehmut an frühere Zeiten zurück. Denn die Tante-Emma-Läden boten den Dorfbewohnern nicht allein die Möglichkeit zum Einkaufen – sie waren ein sozialer Treffpunkt, wo man anderen begegnete und es die neuesten Neuigkeiten zu erfahren gab. Und die Geschäfte waren bequem zu Fuß oder per Rad erreichbar.

 

An sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr

 

Nun versucht „myEnso“, ein Unternehmen mit hochmodernem Lager im Bremer Güterverkehrszentrum, den Mini-Supermarkt im Dorf wiederzubeleben und mit Online-Shopping zu verknüpfen. Auf der Homepage wird das Hybrid-Modell im PR-Sprech so angepriesen: „Die besten Bestandteile von Tante Emma und myEnso fusionieren vor Ort zu einem jeweils maßgeschneiderten Quartiersversorgungsangebot für alle relevanten Bedürfnisse und Zielgruppen.“

 

Tante-Enso-Kunde am Scanner. (Foto: www.myenso.de)
Tante-Enso-Kunde am Scanner. (Foto: www.myenso.de)

Weniger wolkig formuliert bedeutet das: In Dörfern entstehen neue kleine Geschäfte, 150 bis 200 Quadratmeter groß, in denen Kunden an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr einkaufen können. Möglich macht das eine kostenlose Kundenkarte, mit der sich die Ladentür öffnen lässt und mit der die Käufer wie mit einer Kreditkarte die Waren mithilfe eines Scanners an der Selbstbedienungskasse bezahlen können.  

20 Läden existieren bereits – und viele weitere sind geplant

 

Zu Kernöffnungszeiten sind Verkäuferinnen oder Verkäufer im Laden, etwa vier bis sieben Stunden am Tag. In den Regalen stapelt sich ein Grundsortiment aus 2.500 bis 3000 Artikeln; wer will, kann jedoch online 20.000 weitere Artikel bestellen. Großen Wert legt das Unternehmen auf regionale Produkte wie Obst und Gemüse, Fleisch und Wurstwaren sowie Molkereiprodukte.

 

„myEnso“ ist mit seinem Angebot für die Nahversorgung auf Wachstumskurs. Der erste Laden, als Pilotprojekt eröffnet im niedersächsischen 2.900-Seelen-Ort Blender zwischen Achim und Verden östlich von Bremen, existiert seit dreieinhalb Jahren. Supermärkte in Ehra-Lessien, Glausau, Vögelsen, Schnega, Zella in Thüringen und weiteren Orten kamen hinzu. Und am 20. April wurde der 20. Laden eröffnet: in Wörlitz, Sachsen-Anhalt – der erste in diesem östlichen Bundesland. Weitere Filialen sind in Planung, zum Beispiel in Bruckberg, Heidenau, Winningen und Schönau an der Brend. 

 

Bedingung: Mindestens 300 Genossen

 

Vor allem eine Bedingung muss für die Bremer Enso eCommerce GmbH gegeben sein, damit eine neue Filiale eröffnet wird: dass mindestens 300 Menschen einen Genossenschaftsanteil von 100 Euro oder mehr zeichnen. So verringert sich das unternehmerische Risiko.

 

Die wirtschaftlichen Vorteile der 24/7-Läden liegen für das Unternehmen in niedrigen Immobilienpreisen und günstigen Personal- und Betriebskosten. Einen Ladendiebstahl sollen Überwachungsvideos verhindern. Die Märkte, so werden die „myEnso“-Geschäftsführer in Zeitungsberichten zitiert, decken von Anfang an die Kosten und sind unabhängig von staatlichen Fördermitteln. 

 

Überlegt wird noch mehr Service: ein Post- und Paketdienst, Wäscherei, Seniorenservice für ambulante Dienste oder stationäre Einrichtungen und ein Veranstaltungsservice für Vereine. Klingt nach goldenen Zeiten für Landbewohner, die bisher in erster Linie das Ausbluten ihrer Dörfer zu beklagen hatten.

 


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