EU-Einigung in Flüchtlingsfragen und Volksinitiative zum Wolf

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche

 

Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,

 

das zumeist schöne Wetter der vergangenen Woche lässt sich nicht auf die Berliner Politik übertragen. Dort herrscht weiterhin ein raues Klima zwischen den Ampelparteien. Und doch beginnt sich hier etwas zu bewegen – langsam, aber immerhin. So stärkt der Kanzler seinem Finanzminister den Rücken, indem er sich persönlich in dessen Gespräche mit sparunwilligen Ministern einschaltet. Ob es in der Sache tatsächlich etwas nach vorn bringt?

 

Jürgen Wermser
Jürgen Wermser

Eine gewisse Skepsis scheint angebracht. Denn Kanzler Scholz neigt prinzipiell nicht dazu, sich bei Konfliktthemen der Koalition öffentlich klar zu positionieren. Dies gilt in diesem Fall erst recht, weil er sich dann auch gegen Ausgabewünsche von SPD-Innenministerin Faeser stellen müsste, die bei der nächsten Hessenwahl Ministerpräsidentin werden möchte. Ein sozialdemokratischer Kanzler, der eine Spitzenkandidatin seiner eigenen Partei in die Schranken weist? Schwer vorstellbar, aber wir werden sehen …

 

Gleichwohl zeigt der Vorgang, wie nervös die Koalition angesichts der sinkenden Umfragewerte mittlerweile geworden ist. Nicht zuletzt die Kanzlerpartei SPD steht unter Druck. So hat der jüngste ARD-Deutschlandtrend die Partei nur noch mit 18 Prozent gleichauf mit der AfD gesehen – eine Schreckenszahl und Warnung für Sozialdemokraten und die anderen Ampelparteien. Doch im Grunde auch für Union und Linke. Letztere haben es als Opposition im Bundestag augenscheinlich nicht geschafft, den vorhandenen Unmut in der Bevölkerung über die Regierungspolitik angemessen aufzugreifen und in ihre jeweilige Richtung zu kanalisieren. Stattdessen sind frustrierte Bürger gleich zu einer bloßen Protestpartei umgeschwenkt.

 

Unmut in der Bevölkerung

 

Der leidige Streit um die Energiewende im Heizungsbereich hat tiefe Spuren hinterlassen. Doch auch das Thema Migration sorgt für breiten Unmut in der Bevölkerung und verschafft den Rechtsradikalen weiteren Zulauf. Dies erklärte auch die Bereitschaft der Koalition, über eine für sie recht weitgehende Regelung in der europäischen Flüchtlingspolitik zu verhandeln. Vor allem viele Grüne haben sich damit äußerst schwergetan. Die jüngsten Beratungen der EU-Innenminister über ein neues Migrationsabkommen waren deshalb von großer Bedeutung: in der Sache selbst und auch für das politische Klima innerhalb der EU, innerhalb Deutschlands und nicht zuletzt innerhalb der Koalition.

 

Die jetzt erzielte Einigung dürfte die Gemüter kaum beruhigen. Neuer Streit ist programmiert, da sich die Parteiführung der Grünen nicht geschlossen hinter die Einigung stellt. Auch im Europäischen Parlament, das am Ende einer Neuregelung zustimmen muss, regt sich in der Grünen-Fraktion starker Widerstand gegen ein schärferes Asyl-Regime. Das lässt heftigen öffentlichen Streit befürchten, ideologisch aufgeladen und zugleich fernab der Lebenswelt von Bürgern, die sich um ihre soziale, wirtschaftliche und persönliche Sicherheit sorgen. 

 

So unberechtigt derartige Befürchtungen teilweise auch sein mögen, die Politik muss sie ernst nehmen und mit vernünftigen Lösungen gegensteuern. So wie es jetzt die für Flüchtlingsfragen zuständigen EU-Innenminister getan haben. Denn besser eine gemeinsame zweitbeste Lösung auf EU-Ebene als gar keine. Gebraucht werden praktikable und zugleich humane Verfahren, die alle Länder der Union akzeptieren und umsetzen können. Denn niemandem ist damit gedient, wenn radikale Kräfte durch eine handwerklich schlechte Asylpolitik weiterhin übermäßigen Zulauf erhalten. Gute und verständliche Politik im Einklang mit EU-Prinzipien ist der beste Schutz vor weiteren Erfolgen für Parteien wie die AfD.

 

Der Umgang mit den Wölfen

 

Ein weiteres Thema, bei dem eine tiefe Kluft zwischen den politisch Handelnden und vielen Bürgern gerade im ländlichen Raum sichtbar wird, ist der Umgang mit dem Wolf. Unser Autor Michael Lehner hat am Freitag in seinem Beitrag geschildert, wie in Bayern zu viele Wölfe als Bedrohung für alpine Lebensräume und sogar eine Gefahr für den Bergwald empfunden werden. Selbst eine Tierschutzpräsidentin und prominente Grüne sieht das Rotwild in den Alpen mittlerweile durch die Verweigerung des Bundes beim Raubtier-Management bedroht. 

 

Auch in Niedersachsen fordern Jäger eine Umkehr bei der Wolfspolitik. So erklärte der Präsident der Landesjägerschaft in Niedersachsen (LJN), Helmut Dammann-Tamke, Mitte der Woche in einem Pressegespräch, dass seine Organisation zusammen mit anderen Verbänden aus dem ländlichen Raum eine Volksinitiative zum Wolf anstrebe. „Wir fordern nichts anderes als das, was in dem Koalitionsvertrag der Ampel formuliert ist: ein regional differenziertes Bestandsmanagement“, so Dammann-Tamke laut Redaktionsnetzwerk Deutschland in Aurich zu der Idee einer Volksinitiative, die aber noch am Anfang stehe. Die rot-grüne Landesregierung in Hannover solle aufgefordert werden, eine Bundesrats-Initiative zu starten oder zu unterstützen. Ziel ist es, den bislang strengen Schutz des Wolfes neu zu bewerten und ein europarechtskonformes Bestandsmanagement zu ermöglichen. 

 

Mit einer Volksinitiative könnten die wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger das niedersächsische Parlament zwingen, sich mit dem Thema zu befassen. Dafür sind 70.000 Unterschriften notwendig. Jäger und Weidetierhalter hatten der Landesregierung in Hannover zuvor erneut Tatenlosigkeit vorgeworfen. Angesichts wiederholt gerissener Schafe sei die Weidetierhaltung, insbesondere an Deichen, kaum mit dem Wolfsschutz vereinbar.

 

Steinmeier drängt auf Zusammenhalt

 

Beim Thema Wolf zeigt sich exemplarisch, wie weit die Lebens- und Erfahrungswelten von Großstädtern und Menschen, die auf dem Land leben, auseinanderklaffen können. Dabei ist der Zusammenhalt wichtiger denn je, wie auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf dem 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag betonte. Vor allem Menschen, die auf dem Land leben, fühlten sich oft abgehängt und als Hinterwäldler belächelt. „Wenn größere Gruppen sich dauerhaft nicht wiederfinden, dann beginnt Zustimmung zur Demokratie zu bröckeln“, warnt Steinmeier. Recht hat er, wie auch die oben erwähnten Umfragehochs der AfD zeigen.

 

Zum Schluss noch etwas Positives. Trotz aller Probleme oder Schwierigkeiten: Die ländlichen Räume holen wirtschaftlich weiter auf, wie unser Autor Wolfgang Kleideiter in einem Beitrag für unseren Politblog in der kommenden Woche herausarbeiten wird. Grundlage sind aktuelle Zahlen des Thünen-Instituts zur wachsenden Produktivität und zu den steigenden Beschäftigtenzahlen. Ein Großteil der Gesellschaft hat in der Pandemie den besonderen Wert der Regionen neu zu schätzen gelernt. Doch eine schlechte digitale Infrastruktur und fehlende Verkehrsanbindungen erschweren vielerorts die Erreichbarkeit, sodass eine weitere Förderung der ländlichen Räume unbedingt erforderlich ist.

 

Mit diesem Lesehinweis auf einen kommenden Politblog-Beitrag verbleibe ich mit den besten Grüßen und Wünschen 

Ihr

Jürgen Wermser

Redaktionsleitung/Koordination

 

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