Den Kommunen stärker helfen

Die Ampelkoalition droht sich auch in der Flüchtlings- und Integrationspolitik zu verzetteln. Damit gefährdet sie Chancen im Kampf gegen den Fachkräftemangel

Foto: Rainer Sturm / pixelio.de
Foto: Rainer Sturm / pixelio.de

 

Von Jürgen Wermser

 

Die Berliner Ampelkoalition steht momentan in vielen Politikbereichen mit dem Rücken zur Wand. So ist noch immer kein Haushaltsplan für das kommende Jahr im Bundestag eingebracht. Offenkundig konnte es bislang keine Einigung über die verschiedenen Ausgabewünsche der Ressorts geben. Statt wie im Koalitionsvertrag versprochen, gemeinsam Fortschritt in Wirtschaft und Gesellschaft zu organisieren, strebt man in verschiedene Richtungen - nicht gerade ein Beweis für Solidität und Berechenbarkeit. 

 

Und die Debatte um die Erneuerung der privaten Heizungen gerät immer mehr zu einem Trauerspiel. Die Bürger sind zutiefst verunsichert, die Regierungsparteien unter sich zerstritten, und der zuständige Minister gibt politische Durchhalteparolen aus, begleitet von heftigen Vorwürfen - „Wortbruch“ - gegen den liberalen Koalitionspartner. Das ist wahrlich keine Werbeaktion für Rot-Grün-Gelb. Politischen Sprengstoff birgt auch die Flüchtlingsfrage. So konnte der Streit zwischen Bund, Ländern und Kommunen über die Integration der in Deutschland angekommenen Menschen beim kürzlichen Spitzentreffen nicht gelöst werden. Stattdessen musste sich die Ministerpräsidentenrunde mit dem Kanzler auf November vertagen - sehr zum offenen Unmut vieler Regierungschefs der Länder. 

 

Große nationale Aufgabe

 

Recht haben sie. Die Integration von Menschen, die hier in Deutschland Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen, ist eine große, nationale Aufgabe und humanitäre Pflicht. Auch ein gewisses Maß an Eigeninteresse kann dabei mit ins Spiel kommen. Stichwort Fachkräftemangel. So sind die Flüchtlinge aus der Ukraine zumeist bereits in ihrer Heimat gut ausgebildet und demokratisch sozialisiert worden. Viele von ihnen werden nach dem hoffentlich baldigen Ende der Kampfhandlungen wieder zurück in ihre Heimat kehren wollen. Aber für andere könnte Deutschland durchaus ein Ort werden, wo sie künftig gerne friedlich leben und gut arbeiten wollen. Umso wichtiger ist es, dass ihnen hier von Anfang an alle Türen zur Integration offenstehen.

 

Wie eine Studie des DIW gezeigt hat, sind seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 allein nach Deutschland mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine geflohen. Viele ukrainische Geflüchtete nehmen inzwischen aktiv am Leben in Deutschland teil: 17 Prozent sind in Deutschland bereits erwerbstätig, die Hälfte besucht einen Sprachkurs, und 60 Prozent leben in einer eigenen Wohnung. Die geflüchteten Kinder besuchen Schulen und einige auch Kitas. 

 

Viele wollen dauerhaft bleiben

 

Während die meisten ukrainischen Geflüchteten planen, nur zeitlich begrenzt in Deutschland zu bleiben, möchte ein Viertel gleichwohl dauerhaft hier leben. Und speziell dieser Personenkreis könnte mittelfristig einen wichtigen Beitrag gegen den hiesigen Fachkräftemangel leisten. Um diese integrationswilligen Menschen sollte deshalb auch für den Pflegebereich stärker als bisher geworben werden. Und da gibt für Bund, Länder und Kommunen noch einiges zu tun. So sieht die große Mehrheit der ukrainischen Geflüchteten laut DIW weiter einen hohen Unterstützungsbedarf durch den Staat und andere Akteure. Am häufigsten nennen die Befragten mehr  Unterstützung beim notwendigen Erlernen der deutschen Sprache, bei der Arbeitssuche, bei der Gesundheitsversorgung sowie der Wohnungssuche. 

 

Doch die Kommunen, die bei den meisten dieser Maßnahmen als erste in der Pflicht sind, befinden sich häufig am Ende ihrer finanziellen Leistungskraft. Kein Wunder, dass sie deswegen nach mehr Hilfe vom Bund rufen. Doch der lässt sie in dieser Frage am langen Arm politisch zappeln - siehe den Verlauf der kürzlichen Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Kanzler. Augenscheinlich sind der Koalition andere Projekte wichtiger - eine heikle Strategie, denn mit effektiven Integrationsmaßnahmen könnte zumindest langfristig viel Positives auf dem deutschen Arbeitsmarkt erreicht werden.

 

Bundesminister auf Anwerbetour

 

Statt den Kommunen das dafür notwendige Geld zur Verfügung zu stellen, reisen gleich zwei Bundesminister im nächsten Monat nach Brasilien, um von dort Fachkräfte für den Pflegebereich nach Deutschland zu holen. Das irritiert, denn weshalb bemüht sich die Bundesregierung nicht vorrangig um die Menschen, die ohnehin schon in Deutschland sind und hier auf Unterstützung hoffen? Statt vorhandenes Potenzial abzurufen und zu entwickeln, werden zusätzliche Kräfte von außen geholt, die natürlich auch - ungeachtet aller beruflichen Qualifikation - erst einmal sprachlich und sozial in das hiesige Alltags- und Arbeitsleben integriert werden müssen. 

 

Im Übrigen zeigt die Erfahrung mit einer ähnlich gelagerten Anwerbeaktion in den Balkanstaaten, dass solche Versuche keine Patentrezepte sind. Das eine tun und das andere nicht lassen, so sollte die Devise in Sachen Fachkräfte lauten. Konkret heißt dies: vorrangig die Kommunen finanziell besser auszustatten, damit sie den Flüchtlingen vor Ort leichter helfen können. Das würde nicht nur den deutschen Arbeitsmarkt stärken, sondern könnte auch einigen sozialen Sprengstoff entschärfen. Denn je effektiver und geräuschloser die Integration von Geflüchteten hier zu Lande gelingt, desto stärker dürfte der gefährliche Nährboden für Rechtsradikale schwinden. Und die Städte und Gemeinden bekämen außerdem wieder mehr finanziellen Spielraum, um ihre anderen wichtigen Aufgaben zu erfüllen, inklusive bei der von der Ampelkoalition geplanten Heizungs- und Energieende mitzumachen. Was wollen SPD, Grüne und Liberale denn noch mehr? 

 


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