Ein Todesfall mit Vorgeschichte

Tödliche Attacke im Trentino: Gerichte verhindern erneut den Abschuss der Problem-Bärin

Ein Braunbär mit aufgerissenem Maul. (Symbolbild: iStock/Byrdyak)
Ein Braunbär mit aufgerissenem Maul. (Symbolbild: iStock/Byrdyak)

 

Von Michael Lehner

 

Nach dem Tod eines Joggers auf dem beliebten Wanderweg „Tal der Sonne“ erreicht der Streit um die Wiederansiedlung von Großraubtieren in Mitteleuropa nicht nur in Italien einen neuen Höhepunkt: Hardcore-Tierschützer – voran der WWF – wollen den Abschuss der seit Jahren amtsbekannten Bärin auch nach dem schrecklichen Zwischenfall weiter verhindern. Und haben damit zunächst Erfolg.

 

Das Raubtier, amtlich registriert als JJ4, ist eine Schwester des Bären Bruno, der im Jahr 2006 in Bayern erlegt wurde, nachdem er sich mehrfach Siedlungen und Wanderern genähert hatte. Edmund Stoiber, der seinerzeit als Ministerpräsident den Abschuss verantwortete, fühlt sich durch die aktuellen Ereignisse in der damals heftig umstrittenen Entscheidung bestätigt.

 

Zu Wort gemeldet hat sich auch Bergsteiger-Legende Reinhold Messner, fünf Jahre lang Europa-Abgeordneter der Grünen. „Bären und Wölfe sind zu einem Problem geworden, für Landwirte, Züchter, Einwohner und Touristen“, sagte er der Zeitung La Stampa: „Man kann nicht länger warten, man muss handeln.“

 

Während im Internet haufenweise Gnadengesuche für das 17 Jahre alte Bärenweibchen kursieren und Raubtier-Freunde die Adoption des Tieres anbieten, sind Landesregierung und Bauernverband (SBB) in Südtirol entschlossen, den Abschuss diesmal gegen alle Widerstände durchzusetzen. SBB-Obmann Leo Tiefenthaler: „Bär und Wolf gehören nicht mehr hierher, denn für sie fehlt schlicht der Platz.“

 

Die Provinzregierung setzt trotz Gerichtsbeschluss die Suche nach dem offenbar gefährlichen Raubtier fort. Das Gericht habe zwar vorerst den Abschuss untersagt, nicht aber das Einfangen der Bruno-Schwester. Sie war schon einmal in die Falle gegangen und bekam ein Sender-Halsband. Was den schrecklichen Angriff in der vergangenen Woche aber offensichtlich nicht verhinderte.

 

Vereinsklagen erfolgreich

 

Erinnert wird deshalb an die Vorgeschichte, die aktuellen Kriminalfällen ähnelt: Die Bärin war bereits vor Jahren durch ungewöhnlich geringe Menschenscheu aufgefallen. Nachdem das Tier im Sommer 2020 einen Vater und seinen Sohn auf einer Dolomiten-Wanderung am Monte Peller angegriffen hatte, verfügten die Behörden den Abschuss, scheiterten damit jedoch nach Vereinsklagen vor den Verwaltungsrichtern.

 

Landeshauptmann Maurizio Fugatti versuchte danach wenigstens durchzusetzen, dass die Bärin eingefangen und in eine Gegend gebracht wird, die weniger stark von Touristen besucht wird. Auch dieser Kompromiss hatte vor Gericht zunächst keinen Bestand. Bauern-Obmann Tiefenthaler blickt im Zorn zurück: „Gewisse extreme Tierschützer sind unverbesserlich und werden kategorisch gegen jeden Abschuss vorgehen, egal was passiert.“

 

Zumindest bei den Trentino-Bären ist unbestritten, dass die Tiere nicht ganz natürlich in die Region kamen. Ihre Eltern wurden in den Jahren 2000/2001 aus Slowenien nach Italien gebracht. Im Rahmen des von der Europäischen Union mitfinanzierten Projekts „Life Ursus“. Angestrebt war ein Zielbestand von 50 Tieren, mittlerweile sollen es über 100 Tiere sein.

 

Probleme gab es schon in den ersten Jahren. Und bis heute gibt es eine Mauer des Schweigens. Zeitzeugen berichten im Vertrauen, dass „Jurka“, das Muttertier der Problembären, auf der Brenner-Autobahn angefahren und danach in einer Auffangstation gesundgepflegt wurde. Öffentlich darüber reden will jedoch niemand. Auch aus Angst vor Hass-Kampagnen und/oder Job-Verlust. Das gilt auch für Schilderungen, dass Bayern-Bär Bruno auf italienischer Seite schon mal eingefangen und mit Sylvester-Knallern „vergrämt“ wurde. Was ihn womöglich zur Flucht nach Bayern bewegte und damit in den Tod trieb.

 

Umsiedlung in Bärenpark-Gehege

 

Öffentlich bekannt ist, dass Bruno-Bruder „JJ1“ in der Schweiz sein Unwesen trieb, bis ihn Wildhüter dort im Jahr 2008 erlegten. Und dass Mama „Jurka“ trotz Vergrämungsversuchen und Halsband-Sender so verhaltensauffällig blieb, dass nur noch die Umsiedelung in ein Bärenpark-Gehege im Schwarzwald die Entnahme verhindern konnte.

 

Moritz Klose, Bären-Experte beim WWF, ist auch nach dem Tod des Joggers gegen Abschüsse. „Der Mensch muss lernen, mit Bären zu leben“, sagte er im Bayerischen Rundfunk. Ein Bär werde nicht als „sogenannter Problembär geboren“, sondern von Menschen zum Problem gemacht. Etwa durch Anfüttern zum Zweck der Touristen-Bespaßung.

 

Tatsache ist zumindest, dass seit bald zwei Jahren ein junger Bär immer wieder mal in den Ammergauer und Werdenfelser Bergen gesichtet wird. Das wohl ebenfalls aus Italien nach Bayern zugewanderte Tier bleibt auf seinen Streifzügen unauffällig und die erste Aufregung in der Region hat sich schnell gelegt.

 

Womöglich braucht es einige Generationen, bis sich Raubtiere nicht mehr an die Menschen erinnern, denen sie ihren Ortswechsel verdanken. Daran sollten auch Wolfsfreunde denken, die mittlerweile in Deutschland auch um das Leben der zahlreichen Haushund-Mischlinge kämpfen. Obwohl die laut Gesetz und Artenschutz-Konvention zwingend „entnommen“ werden müssen, um den Bestand der „echten“ Wölfe nicht zu gefährden.

 


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