Giffey und der Druck der Basis

 

Von Wolfgang Kleideiter

 

Die Bundeshauptstadt bleibt politisch ein Rätsel. Vor dem 26. September hatten die meisten Berliner ihrer R2G-Regierung (rot-rot-grün) ein denkbar schlechtes Zeugnis ausgestellt. Am Wahltag selbst konnten sie noch einmal hautnah erleben, wie lax es der Innensenat mit demokratischen Abläufen nimmt. Fehlende oder vertauschte Wahlzettel, Stimmabgaben bis 20 Uhr. Eine Pannenserie, die selbst OSZE-Wahlbeobachtern nicht mehr verborgen blieb. Und dann: ein Wahlergebnis, das SPD, Grünen und Linken eine Fortsetzung der Arbeit ermöglicht. Als wäre nichts gewesen.

 

Noch pokert Franziska Giffey und führt Gespräche mit allen denkbaren Koalitionspartnern – also auch mit CDU und FDP. Doch die ehemalige Bundesfamilienministerin, die auch jerne ma die Berlinerin jiebt, hätte für eine stärkere Wählerwanderung Richtung SPD sorgen müssen. Magere 21,4 Prozent machen sie zwar zur designierten Regierenden Bürgermeisterin. Aber erwartet worden war deutlich mehr.

 

Grüne profitierten

 

Stattdessen profitierten die traditionell in der Hauptstadt eher links ausgerichteten Grünen vom Votum. Spitzenfrau Bettina Jarasch sah zwischenzeitlich wie die Gewinnerin aus. Erst in der Nacht nach dem Chaos-Wahltag sortierten sich die Zahlen: 18,9 Prozent für die Grünen, 18,1 Prozent für die CDU, 14 Prozent für die Linke, 8 Prozent für die AfD und 7,2 Prozent für die FDP. Theoretisch könnte die SPD also auch gemeinsam mit CDU und FDP regieren.

 

Giffey hat sich während des Wahlkampfs nicht auf ein Bündnis festgelegt – und noch bleibt sie bei dieser Taktik. Aber wie lange kann sie sachorientiert entscheiden? Erste SPD-Kreisverbände in der Hauptstadt pochen öffentlich auf die Fortsetzung des alten Bündnisses. Die etwas lädierte Linke übte schon am Wahlabend den Schulterschluss mit den Grünen. Obwohl die vergangenen Jahre mau waren, spricht die grüne Spitzenkandidatin Jarasch von der Fortsetzung eines „progressiven Regierungsbündnisses“. Dabei wundert sich alle Welt sich über das Geschehen in Berlin.

 

Der erfolgreiche Volksentscheid über die Enteignung großer Wohnungsbauunternehmen in der Hauptstadt liegt bleischwer auf den Verhandlungstischen der Koalitionäre. Außer den Linken, die den Entscheid im Wahlkampf unterstützten, kann sich keine Partei mit dem Ergebnis anfreunden. Schlimmer noch: Franziska Giffey, die sich stets gegen so eine Brachiallösung ausgesprochen hat, müsste als Regierende Bürgermeisterin gegen ihre eigene Überzeugung einen Gesetzentwurf für die Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. erarbeiten lassen.

 

Linke warnen vor Wahlbetrug

 

Die Landesvorsitzende der Berliner Linke, Katina Schubert, gab einen Vorgeschmack auf das Gespräch mit der SPD. Sie fordert vom neuen Senat ein rechtssicheres Gesetz für die Enteignung und warnt SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey vor „Wahlbetrug“.

 

Mit CDU und FDP ist der Volksentscheid tatsächlich nicht umsetzbar. Schubert hat dabei aber übersehen, dass der Entscheid nicht bindend ist. Ein Berliner Senat kann auch zu dem Ergebnis gelangen, dass die Enteignung aus verschiedenen Gründen nicht infrage kommt. Kurz vor der Wahl hatte die Stadt den Wohnbauunternehmen rasch noch Tausende Wohnungen abgekauft, um damit mehr Einfluss auf den Markt zu bekommen. Ob damit der Druck aus dem Kessel entweichen kann?

 

Die Koalitionsgespräche versprechen Spannung. Aber es könnte noch alles anders kommen: Am 14. Oktober wird das endgültige Ergebnis der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus festgestellt. Ab dann ist eine Anfechtung möglich. Durchaus denkbar, dass sich jemand daran stört, dass in Berlin noch gewählt wurde, als ARD und ZDF um 18 Uhr bereits die ersten Prognosen präsentierten…  

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