Grüne sollten Farbe bekennen

 

Von Jürgen Wermser

 

Neue Unwetter sind zum Glück bislang ausgeblieben. In den Katastrophengebieten laufen die Aufräumarbeiten, überschattet von der Trauer über die Opfer und den Zukunftsängsten vieler Menschen, deren Häuser und Existenzen von den Fluten zerstört wurden. Doch so schwer es manchem auch fallen mag: Der Blick muss allmählich wieder nach vorn gerichtet werden.

 

Dies gilt vor allem für die Politik. Sie darf sich nicht nur im Krisenmanagement erschöpfen. Die Sofortmaßnahmen waren in den ersten Tagen nach dem Unwetter das alles Entscheidende. Doch allmählich wollen die Bürger - nicht nur in den aktuellen Krisenregionen - schon wissen, wie die Regierenden künftig besser auf die neuen klimatischen und wettertechnischen Herausforderungen reagieren wollen. Schließlich sind in acht Wochen Bundestagswahlen.

 

Auf medialer Tauchstation

 

Vor allem die Opposition muss jetzt aufzeigen, was bislang versäumt wurde und wie es anders gemacht werden sollte. Das ist ihre verfassungspolitische Pflicht. Die Grünen sind hier an erster Stelle zu nennen, haben sie doch den Umwelt- und Klimaschutz seit Jahrzehnten zu ihrem Markenkern erklärt. Doch was geschieht aktuell? Praktisch nichts. Die Partei und insbesondere ihre Kanzlerkandidatin sind mehr oder minder auf mediale Tauchstation gegangen.

 

Anna-Lena Baerbocks Treffen und Gespräche mit Betroffenen in den Katastrophenregionen finden praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dies mag auf den ersten Blick sympathisch wirken, aber letztlich schadet es Baerbocks Vertrauenswürdigkeit.

 

Gewiss, es ist unpassend, das Unglück anderer Menschen für Wahlkampfzwecke zu instrumentalisieren. Doch das ist Alibi für taktisches Schweigen. Wer das wichtigste Amt im Staat beansprucht, muss sich auch in Stunden der Not offensiv zeigen, Hilfe leisten, Missstände aufzeigen und Perspektiven anbieten.

 

Bürger wollen Klarheit

 

Denn die Bürger haben einen Anspruch darauf zu erfahren, wie sich Baerbock als etwaige Kanzlerin in dramatischen Stunden verhalten, welche Maßnahmen sie ergreifen würde, falls die Grünen im kommenden September den Regierungsauftrag dazu bekämen. Stattdessen hält sich die grüne Spitzenkandidatin vornehm zurück und versucht, nur ja keinen Fehler zu machen. So agiert niemand, der sich laut Umfragen im Rückstand befindet und trotzdem mit ganzem Herzen um den Sieg kämpft.

 

Gibt Baerbock den Kampf um die Merkel-Nachfolge etwa insgeheim schon verloren und will sich nur noch Optionen in einem möglichen Koalitionspoker als Juniorpartnerin offenhalten? Oder sitzt ihr noch das Desaster über die missglückte Buchveröffentlichung im Nacken? Haben ihr dabei die Medien und der politische Gegner den Schneid zu Klartext und zur Offensive abgekauft? 

 

Sei’s drum. Noch hat Baerbock theoretisch die Chance, wieder Boden gutzumachen. Aber es wird für sie mit jedem Tag schwerer…

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