Tempo 130: Zwischen Autogegnern und Bleifüßen

 

Von Wolfgang Molitor

 

Die Debatte um den Sinn und Zweck eines generellen Tempolimits auf Autobahnen, Landstraßen und in den Städten ist längst ein Glaubenskrieg zwischen Gut und Böse geworden. Der von Verbänden und Gewerkschaften unterstützte ökologische Verkehrsclub VCD beklagt den Widerstand einer "Raser-Lobby" gegen Tempo 130 auf Autobahnen, der christsoziale Bundesverkehrsminister weist die Daten-Interpretation der hartnäckigen Limit-Befürworter als politisches Kampfinstrument und als Öko-Fetisch zurück.

 

Deutlich weniger CO2-Ausstoß und viele gerettete Menschenleben, das wäre das Ergebnis eines 130er Limits, heißt es auf der einen Seite. Die Autobahnen, auf denen pro Jahr etwa ein Drittel aller Kfz-Kilometer gefahren werden, seien die sichersten Straßen in Deutschland, entgegnet die andere Seite. Ihre Zahlen: Auf Autobahnen stürben pro eine Milliarde Fahrzeugkilometern derzeit 1,5 Menschen; auf Bundesstraßen seien es dagegen 4,7.

 

Unbestritten: Ein Zusammenhang zwischen generellem Tempolimit und dem Sicherheitsniveau auf Autobahnen ist im internationalen Vergleich nicht nachzuweisen. Wo es ein Limit gibt - etwa in Frankreich, Belgien und den USA - sind die Todeszahlen nicht geringer. Und auch in Deutschland gibt es keinen Hinweis, dass auf Abschnitten ohne Geschwindigkeitsbegrenzung mehr Unfälle passieren als auf 130- oder 120 km/h-Strecken. Ohnehin: Mittlerweile sind gut 30 Prozent der deutschen Autobahnen bereits dauerhaft oder zeitweise geschwindigkeitsbegrenzt. Hinzu kommen die vielen Baustellen-Limits. Und zahlreiche Staus.

 

Argument Öko-Bilanz

 

Das Sicherheitsargument steht also auf wackligen Beinen. Deshalb wird ein anderes Limit-Argument hinzugezogen: die Öko-Bilanz. Und die ist in der Tat belastbarer. Rund 100 Millionen Tonnen CO2 könnten bis 2034 vermieden werden, wenn es generell höchstens 120 km/h auf Autobahnen hieße. Davon ist der VCD überzeugt. Das mag hoch gegriffen sein, ist aber nicht unrealistisch.

 

Die Limit-Befürworter hoffen jetzt auf die Bundestagswahl - und eine grüne Beteiligung. Noch deutet wenig darauf hin, dass sich die Union in dieser Frage spürbar kompromissbereit geben wird. Eine Reduzierung von 100 auf 80 km/h auf Bundesstraßen ist da angesichts der Unfallzahlen eher wahrscheinlich. Denn dort werden 60 Prozent aller Verkehrstoten registriert - bei nur 40 Prozent der Fahrzeugfahrleistungen.

 

Die schnelle Tempo-Revolution dürfte deshalb vor allem in den Städten und Gemeinden ausgerufen werden. Vor kurzem haben sieben Städte (Ulm, Freiburg, Hannover, Münster, Aachen, Augsburg und Leipzig) ihr gemeinsames Pilotprojekt für ein generelles Tempo-30-Limit angekündigt. In der Hoffnung, das starke Veto des Bundes nach der Wahl aushebeln zu können. Nur noch wenige Hauptverkehrsstraßen sollen Tempo 50 behalten dürfen.

 

Städte am längeren Hebel

 

Die Städte sitzen dabei am längeren Hebel. Auch ohne Berliner Segen können sie schon jetzt Abschnitte auf Tempo 30 oder 40 herunterbremsen, von inflationären Straßenverengungen, Fahrspursperren und der Straßenumwidmung zu Radwegen ganz zu schweigen. Das alles richte sich nicht gegen die Autofahrer, sondern sei für die Anwohner gedacht, wird argumentiert. Mit Blick auf viele Gemeinderatsmehrheiten steckt dahinter aber sicher auch eine politische Grundausrichtung, die da heißt: Autos raus aus der Stadt!

 

Tempo 30 in Städten könne das Radfahren auch auf dem Land attraktiver machen, glaubt der VCD auf der Suche nach neuen Bündnispartnern. Das darf man bezweifeln. Aber das in der kommenden Legislaturperiode weiter, dann auch mit Berliner Unterstützung, an der einen oder anderen Kompromissstelle über weitere strengere Tempo-Limits entschieden wird (einschließlich einer dann unvermeidlichen Blitzer-Offensive), dürfte beschlossene Sache sein. Fraglich ist nur, ob beide Seiten die guten Argumente der Gegenseite ernst nehmen - um in der Sache zu einer Entscheidung zu gelangen, die weder von ideologischen Autofeinden noch von ignoranten Bleifüßen beeinflusst wird.

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