Politischer Wirbel um Habeck und schwache Leistungen in Grundschulen

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche

 

Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,

 

kennen Sie Andreas Kieling? Falls nicht: Der 63-jährige Tierfilmer gehört zu den besten und erfahrensten seines Metiers. In der vergangenen Woche berichtete er, dass ihn jüngst ein Bär attackiert habe, als er in den Hochkarpaten zu Dreharbeiten über seltene Wasservögel unterwegs war. Er habe den Bären nicht kommen hören und ihm instinktiv nur noch einen Fuß des Kamerastativs ins Maul rammen können. „Ich werde das natürlich nie vergessen, es war extrem schmerzhaft. Der Bär auf mir drauf, er hat mich skalpiert“, berichtete Kieling. Ihm gehe es aber inzwischen wieder gut. Das Tier treffe keine Schuld. Denn schließlich sei er in den Lebensraum des Bären eingedrungen.

 

Jürgen Wermser
Jürgen Wermser

Der Vorgang zeigt einmal mehr, dass gefährliche Wildtiere wie der Bär oder auch der Wolf nicht romantisiert werden sollten. Sie können angreifen und sich wehren, wenn ihnen Menschen zu nahekommen. In der hiesigen Debatte um die Rückkehr der Wölfe kommt dieser Aspekt bei vielen Naturschützern leider viel zu kurz. Niemand kann und will Wölfe aus Deutschland wieder vertreiben. Aber ein pragmatischer und ideologiefreier Umgang mit der Thematik kann allen nur guttun.

 

Habeck entlässt Staatssekretär

 

Doch nun zur Politik, in der Robert Habeck wieder einmal die Schlagzeilen bestimmte. Der grüne Wirtschafts- und Energieminister entließ endlich seinen umstrittenen Staatssekretär Patrick Graichen, nachdem bekannt geworden war, dass Graichen unzulässigerweise einen Auftrag an den BUND-Landesverband Berlin abgezeichnet hatte, in dem seine Schwester eine führende Stellung einnimmt. Dies sei ein Fehler zu viel gewesen, sagte Habeck auf der anschließenden Pressekonferenz mit Bedauern. Doch können Zeitpunkt und Begründung der Entlassung wirklich überzeugen? 

 

Viele Bürger hatten bereits in den Tagen davor das politische Aus für Graichen erwartet und gefordert. Zu schwer wog der Eindruck von Vetternwirtschaft, nachdem der Staatssekretär mit dazu beigetragen hatte, seinen Trauzeugen für einen gut dotierten Posten auszuwählen. Habeck persönlich war nicht involviert. Doch als verantwortlicher Ressortchef muss er für saubere Verhältnisse in seinem Ministerium sorgen. Das ist ihm im Fall Graichen bestenfalls teilweise gelungen, wenn überhaupt. Ein schlechter Nachgeschmack bleibt in jedem Fall. Das bedeutet für den einstigen grünen Hoffnungsträger nicht Gutes. Ein weiterer Fehler und skandalträchtiger Vorgang dieser Art könnte ihn endgültig aufs politische Abstellgleis führen.

 

Doch so oder so: Immer mehr Bürger gehen momentan auf Distanz zu Habeck als Person und zu seinen Reformplänen, insbesondere beim Thema Energiewende. Kein Wunder, denn die vorgesehenen Änderungen für private Heizungen wirken nicht ausgereift und dürften kaum wie geplant bis zur Sommerpause die parlamentarischen Hürden nehmen. Selbst der Koalitionspartner FDP geht zunehmend auf Kollisionskurs. Wie ein politisch angeschlagener Minister unter solch widrigen Umständen noch die Bürger für den angestrebten großen Ruck in der Klimapolitik gewinnen will, ist unklar. 

 

Sorgen der Bürger unterschätzt

 

Augenscheinlich haben die Grünen die Sorgen und Ängste vieler Bürger nicht zuletzt im ländlichen Raum unterschätzt. Hinzu kommt handwerkliches Unvermögen bei der Gesetzesformulierung. Auch dies bremst Entwicklung. Schade, denn grundsätzlich sind die allermeisten Bundesbürger und Unternehmen bereit, für den Klimaschutz umzudenken. Aber es muss fair und sozial machbar zugehen. Sonst dreht sich die politische Stimmung noch weiter, und ein historischer Reformprozess würde gestoppt. Das wäre fatal, zumal sich Bürger, Regierung und Opposition grundsätzlich einig sind, dass auch Deutschland wegen der zunehmenden Erderwärmung umsteuern muss. Doch ist Habeck noch der Richtige, um den Prozess als Minister zu lenken und voranzutreiben? Die Zweifel daran mehren sich.

 

Im Übrigen fragt man sich zunehmend, wo die Gräben eigentlich breiter sind: zwischen Regierung und Opposition oder zwischen den jeweiligen Koalitionsparteien. Die vielen Konflikte und Hakeleien zwischen SPD, Grünen und FDP mögen gelegentlich unterhaltsam sein. Aber sie behindern die Politiker bei der Lösung wichtiger Aufgaben. Und von denen gibt es momentan mehr denn je, wie zuletzt auch die IGLU-Studie zur Lesefähigkeit unserer Grundschüler gezeigt hat.

 

Zu schwache Leistungen in der Schule

 

In den vergangenen Jahren wurde im Bildungssystem zu vieles versäumt oder verschleppt. Für Deutschlands Zukunftsfähigkeit und den sozialen Zusammenhalt ist dies eine große Herausforderung. Denn wer als Kind keine ausreichenden Kompetenzen erwirbt, um in der Schule voranzukommen, dem sind später die allermeisten Türen in Beruf und Gesellschaft versperrt – eine ebenso persönlich fatale wie politisch gefährliche Entwicklung. Denn je mehr Menschen sich „vom System“ abgehängt fühlen, desto leichter haben es politische Rattenfänger mit ihren radikalen Parolen.  

 

Keine Frage, Deutschland muss nicht nur energietechnisch, sondern auch bildungsmäßig grundlegend erneuert werden. Für alle Parteien ist dies eine große Verantwortung, aber natürlich zuallererst für die in Berlin Regierenden. Denn Bildung ist zwar laut Grundgesetz Ländersache, doch ohne programmatische Unterstützung und ohne Geld von nationaler Seite dürften Reformen kaum in einem politisch vertretbaren Zeitraum gelingen. 

 

Im ländlichen Raum mag es an vielen Stellen besser aussehen als in Großstadtvierteln mit hohem Migrationsanteil. Doch überall gilt: Wer als Kind nicht ausreichend deutsch sprechen und lesen kann, braucht dringend und vor allem schnell eine systematische Förderung. Ohne diese Voraussetzungen kann kein Kind die Schule erfolgreich absolvieren. Im Gegenteil, es verliert von Anfang den Anschluss. Dies ist eine Tragödie für das betreffende Kind und zugleich eine vertane Chance für die Gesellschaft – und dies ausgerechnet in einer Zeit, in der gut ausgebildete Nachwuchskräfte in allen Bereichen dringender denn je gesucht werden.  

 

Für unsere Politiker gibt es also reichlich zu tun. Sie sollten daher stärker pragmatisch handeln statt sich bloß ideologisch zu streiten. Es liegt an uns Bürgern, sie immer wieder an ihre Amts- und Mandatspflicht zu gutem Regieren zu erinnern. 

 

In diesem Sinne verbleibe ich mit den besten Grüßen und Wünschen für eine angenehme, positiv verlaufende Woche

Ihr

Jürgen Wermser

Redaktionsleitung/Koordination

 

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