Europäische Christdemokraten positionieren sich als Bauernpartei

Ein Jahr vor den Europawahlen geht die EVP in der Landwirtschaftspolitik auf Oppositionskurs zur Kommission. Die Strategie ist schlüssig, birgt aber Risiken

Blick auf ein abgeerntetes Getreidefeld. (Foto: angieconscious / pixelio.de)
Blick auf ein abgeerntetes Getreidefeld. (Foto: angieconscious / pixelio.de)

 

Von Ludwig Hintjens

 

Der von der EU-Kommission eingeleitete Green Deal zielt auf einen grundlegenden Umbau der gesamten Volkswirtschaft Richtung Klimaschutz und sparsameren Verbrauch der Ressourcen. In den ersten Jahren des Mandats von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen standen die Emissionen im Fokus. Es wurden teils drastische Maßnahmen eingeleitet, um den Ausstoß von Klimagasen in Industrie, Verkehr und Gebäuden zu reduzieren. Schon diese Gesetzgebungsvorhaben verlangen Verbrauchern und Unternehmen viel ab.

 

Jetzt kommt der zweite Teil des Umbaus. Was nun ansteht, das wird mindestens genauso weh tun wie die CO₂-Vorgaben für Autos, Industrie und Heizungen. Nun wird es um die Produktionsbedingungen in der Landwirtschaft gehen und damit auch um die Ernährungsgewohnheiten der Menschen. Die EU will, dass Lebensmittel klimaverträglicher hergestellt werden, dass im Anbau und der Viehzucht weniger Pestizide, Kunstdünger und Antibiotika verwendet werden. Der Anteil von Ökolandbau soll bis 2030 soll massiv steigen. Bis 2030 in der EU auf 25 Prozent und in Deutschland sogar auf 30 Prozent. Ziel ist, auch wenn das nicht so direkt gesagt wird, dass die Menschen weniger Fleisch essen. Das sind alles sensible Bereiche mit hohem Potenzial für Ärger über Vorgaben aus Brüssel.

 

Sorge um das Wahlergebnis

 

Die Christdemokraten auf EU-Ebene in der EVP, in der die deutschen CDU/CSU-Abgeordneten die größte Gruppe stellen, befürchten zu Recht, dass die Vorschläge der Kommission im Bereich Landwirtschaft und Ernährung das Wahlergebnis bei den kommenden Europawahlen verhageln könnten. Sie wollen verhindern, dass erboste Wähler die größte Fraktion im Europaparlament haftbar machen für die einschlägigen Vorschläge der Kommission.

 

Wie sehr EVP-Chef Manfred Weber alarmiert ist, zeigt ein Papier, das die EVP-Spitze dieser Tage bei ihrem Treffen in München beschlossen hat. Der Titel ist Programm: „Deal für die Bauern in der EU: EVP-Vision für die Landwirtschaft“. Die Christdemokraten versichern da, die EVP werde weiter an der Seite der Bauern und Menschen im ländlichen Raum stehen. Sie gehen sodann in scharfe Opposition zu zwei Vorschlägen der Kommission. Die Christdemokraten weisen förmlich die Vorschläge für die drastische Reduktion von Pflanzenschutzmitteln (SUR) sowie für die Wiederherstellung der Natur zurück. Bis 2030 soll der Pestizideinsatz halbiert werden. Und: In Schutzgebieten soll der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ganz verboten werden. Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur setzt etwa auf Maßnahmen, um trockengelegte Moore wieder zu vernässen.

 

Deutsche Landwirte beunruhigt

 

Vor allem die Pläne zum Pflanzenschutz beunruhigen viele Bauern. In Schutzgebieten in Deutschland, etwa in der Soester Börde oder am Bodensee, wird heute Landwirtschaft betrieben. Ein Pestizid-Verbot käme für viele Bauern einem Berufsverbot gleich. Auch in Italien und Spanien sind die Sorgen groß. Nicht einmal Biolandbau wäre möglich, weil auch diese Anbauform auf Pflanzenschutz angewiesen ist. Dass der Vorschlag zu Pestiziden entschärft werden muss, räumen selbst Anhänger des Ökolandbaus ein. Ob es so weit kommt, dass die Kommission den Vorschlag zurückzieht und einen neuen Entwurf erarbeitet, ist eher unwahrscheinlich. Wobei selbst von der Leyen gegenüber den CDU-Abgeordneten bereits die Bereitschaft für Bewegung signalisiert. Aus EVP-Sicht würde es wohl reichen, wenn im Zuge der Triloge die Tabuzonen anders definiert würden und bei den Reduktionszielen Augenmaß walten würde. Wichtig ist etwa aus deutscher Sicht, dass die Reduzierung des Pestizideinsatzes aus den vergangenen Jahren angerechnet wird auf die Ziele in der Zukunft.

 

Die Strategie der EVP, sich abzusetzen vom Kurs der Kommission, ist richtig. Sie bedeutet aber auch ein Risiko: Von der Leyen steht an der Spitze der Kommission. Als Kommissionspräsidentin muss sie zwar überparteilich agieren, die Bürger kennen sie aber als CDU-Politikerin. Und: Von der Leyen gehört qua Satzung auch dem Präsidium der EVP an. Wohl nicht ganz zufällig fehlte sie bei der Versammlung in München, bei der die Bauern-Resolution verabschiedet wurde. Es wird fest damit gerechnet, dass sie eine weitere Amtszeit anstrebt und als Spitzenkandidatin der EVP bei den Europawahlen im Juni 2024 antritt. Sie wird ihre Kandidatur vermutlich auch deswegen erst so spät wie möglich bekannt geben, um Überparteilichkeit lange zu wahren und nur für einen denkbar kurzen Wahlkampf die Boxhandschuhe mit dem EVP-Logo überziehen.

 


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