Gute Aussichten fürs Land

Rückständig und abgehängt? Im Gegenteil: Die Aussichten für die Provinz werden aufgrund einer wachsenden Lust aufs Land immer besser

Ländliche Idylle. (Foto: Andreas Hermsdorf / pixelio.de)
Ländliche Idylle. (Foto: Andreas Hermsdorf / pixelio.de)

 

Von Wolfgang Kleideiter

 

Stadtflucht – das klingt nach überhastetem Aufbruch, Angst und Bedrohung. Tatsächlich hat die Entscheidung, mit der Familie oder allein eine größere Stadt zu verlassen und die Zelte im nahen Speckgürtel oder im weiten Umland aufzuschlagen, meist eine längere Vorgeschichte und individuelle Gründe. Die zunehmende Abwanderung in die Provinz ist deshalb mehr als eine Spätfolge der Corona-Pandemie oder ein Ergebnis explodierender Mietpreise. Und auch die neue Möglichkeit, die Arbeit im Homeoffice zu erledigen, ist allenfalls einer von zahlreichen Aspekten im Entscheidungsprozess rund ums Bleiben oder Gehen.

 

Der Trend in Richtung Land, so haben Untersuchungen zur Binnenwanderung in Deutschland ergeben, ist nicht neu, sondern hält bereits seit Jahren an und scheint sich nach jüngsten Auswertungen weiter fortzusetzen. Beim Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) in Wiesbaden spricht man von einer „Tendenz zur Suburbanisierung“. Vereinfacht formuliert: Die Kernstadt verliert, das (Um-)Land gewinnt. 

 

Wie genau sich dies abseits der Schlagzeilen über die Stadtflucht darstellt, erforscht seit einiger Zeit das mit dem ländlichen Raum gut vertraute Thünen-Institut. In einem gemeinsam mit dem ILS (Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung) in Dortmund gestarteten Projekt mit dem Namen „KoBaLd“ wird das Kommen, Gehen und Bleiben untersucht. Eine spannende Forschungsarbeit, denn nun wird Licht ins Umzugsverhalten gebracht. Die Wissenschaftler beleuchten nicht nur die Gründe für einen Wegzug, sondern gehen auch der Frage nach, warum wer wohin wechselt. 

 

Näher an der Natur

 

Simple Gleichungen, so die bisherigen Erkenntnisse, funktionieren nicht. Hohe und steigende Mieten in attraktiven Metropolen zum Beispiel sind nicht allein Auslöser für einen Ortswechsel. Die Kosten stehen nach Aussage von Dr. Annett Steinführer vom Thünen-Institut zwar immer oben auf der Plus-und-Minus-Liste, aber ein Umzug aufs Land hat stets auch weitere Gründe. Die Menschen ziehen aufs Land, weil sie dort der Natur näher sind, mehr Fläche und Raum haben und bestenfalls einen Garten nutzen können. Und sie denken dabei ebenso an die Absicherung im Alter durch ein Eigenheim oder eine Eigentumswohnung. Wenn am ausgeguckten neuen Wohnort auch noch die digitale Infrastruktur stimmt, werden bald die Umzugskisten gepackt.

 

Für manchen Städter ist das Landleben eine neue Erfahrung, andere Neu-Dörfler entpuppen sich als Rückkehrer. Sie sind auf dem Land groß geworden, haben es aber wegen Ausbildung und Beruf verlassen. 

 

Annett Steinführer, die das Forschungsprojekt im Thünen-Institut leitet, spricht von seit Jahrzehnten stabilen Mustern und Abläufen beim Wechsel in die Provinz. Einziger Unterschied: Da die Speckgürtel rund um die Großstädte inzwischen dicht bebaut sind, führt der Weg vermehrt in den sogenannten zweiten Ring. Corona hat mit seinen Lockdown-Phasen zudem dazu beitragen, dass sich das Bild von Dorf und Kleinstadt gewandelt hat. Das Land wird in der Stadt stärker als in der Vergangenheit als lebenswerter Wohnort wahrgenommen. 

 

Provinz macht Boden gut

 

Die Provinz macht also Boden gut und wird zweifellos weiter gewinnen, wenn sich die Kräfte vor Ort darum bemühen, ihre Kommune zu entwickeln, ohne ihr das besondere Flair zu nehmen. Die folgenden drei Kriterien, die Wohnortentscheidungen beeinflussen, gelten auch für Dorf und Kleinstadt: Wohnkosten, Lebensgefühl am Wohnort, Nähe zu Einkaufsmöglichkeiten, sprich: Daseinsvorsorge. Beim Umzug von der Stadt aufs Land kommen Grün- und Freiflächen und eine attraktive Landschaft mit ins Spiel. 

 

Bei der Projektarbeit wurden nicht nur statistische Daten ausgewertet. Interessant machen die Untersuchung vor allem Interviews und vertiefende Gespräche mit über 3600 Menschen. So konnten erstmals komplette Wohnbiografien nachgezeichnet und verglichen werden. 

 


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