Wohnen wird für Senioren zum Armutsrisiko

Es wird immer weniger gebaut. Zugleich steigen die Kosten für Menschen, die im eigenen Haus oder in der eigenen Wohnung leben. Das kann auf Dauer nicht gut gehen

Zwei Rollatoren stehen vor Hauseingangstüren. (Foto: Christiane Heuser / pixelio.de)
Zwei Rollatoren stehen vor Hauseingangstüren. (Foto: Christiane Heuser / pixelio.de)

 

Von Jürgen Wermser

 

Es bahnt sich ein neues soziales Drama in Deutschland an: Wohnungsnot und Obdachlosigkeit im Alter. Auch der ländliche Raum ist davon zunehmend betroffen. Konkret gesagt: In Deutschland fehlen laut einer aktuellen Studie 2,2 Millionen altersgerechte Wohnungen – und dies, obwohl die geburtenstarken Jahrgänge noch gar nicht alle in Rente gegangen sind. Das Pestel-Institut, das die Studie im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) durchgeführt hat, warnt angesichts dieser Zahlen vor einer drohenden Altersarmut durchs Wohnen. „Deutschland rast gerade mit 100 Sachen in die ‚graue Wohnungsnotʻ“, so Institutsleiter Matthias Günther. 

 

Laut den Erhebungen werden in 20 Jahren mehr als 21 Millionen Menschen zur Altersgruppe 67 plus gehören. Das sind 3,6 Millionen mehr als derzeit. Laut Günther ist aber nicht nur der Mangel an altersgerechten Wohnungen ein Problem, sondern auch die Altersarmut durch das Wohnen. Künftig sei zu befürchten, dass zwei Drittel der Seniorenhaushalte, die in einer Mietwohnung leben, sich bei steigenden Wohnkosten immer mehr einschränken müssten, weil die Rente für den bisherigen Lebensstandard nicht reiche. „Und so bitter es ist: Auch ein dramatischer Anstieg der Altersobdachlosigkeit ist zu erwarten“, warnt Pestel-Chef Günther. 

 

Bürokratie treibt die Kosten hoch

 

Die Lösung kann nur lauten: Generell mehr neue und bezahlbare Wohnungen bauen sowie zusätzlich den altersgerechten Umbau erleichtern. Doch was geschieht momentan? Eher das Gegenteil, indem der Staat die Bautätigkeit auf vielfältige Weise erschwert: von zu geringer Ausweisung von Bauland, zu langen Genehmigungsverfahren bis hin zu vielen Vorschriften, die jede für sich sinnvoll sein mag, aber in der Summe die Baukostenpreise für Normalverdiener oft in unerschwingliche Höhe treiben. Und die jetzt von der Berliner Ampelkoalition beschlossene Umstellung auf klimafreundliche Heizungen wird ein Übriges tun, um so manchen Haus- und Wohnungsbesitzer an den Rand des Ruins zu bringen. 

 

Dies gilt insbesondere für Menschen, die auf die eigene Immobilie als zentralen Baustein ihrer Altersvorsorge gesetzt haben. Für sie kann es nun ein böses Erwachen geben. Denn statt mietfreiem Wohnen im Alter könnte ihnen nun ein schwer kalkulierbarer Kostenblock den wirtschaftlichen Garaus machen.

 

Dass Menschen ab 80 Jahren von der erzwungenen Heizungsumstellung befreit werden sollen, ist hier nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn die Entscheidung, eine eigene Immobilie als Altersvorsorge zu kaufen und zu nutzen, ist langfristig angelegt. Zusätzliche Bausteine zur Aufbesserung der Rente sind dann häufig nicht finanzierbar – wovon auch, wenn erst einmal hohe Hypotheken zurückgezahlt werden müssen. Dann ist der finanzielle Spielraum in der Regel erschöpft.

 

Gerade im ländlichen Raum, wo viele Menschen in der eigenen Immobilie leben, ist dies ein großes Thema. Denn jenseits der Ballungsräume war der Bau eines eigenen Hauses bislang auch für weniger Betuchte mit großem Engagement und harter Eigenleistung durchaus möglich. Aber jetzt fühlen sich viele von ihnen von der Politik gleichsam kalt enteignet. Entsprechend groß ist der Unmut. 

 

Warten und Stillstand in Berlin

 

Leider ist diese Problematik noch nicht wirklich im Bewusstsein der Berliner Entscheider angekommen. Dort wird das Stichwort Wohnungsnot vor allem mit jungen Menschen und insbesondere Familien verknüpft. Gewiss, auch hier gibt es große Defizite. Aber bezeichnend ist doch, dass die Bundesregierung jährlich 500 Millionen Euro in ein Förderprogramm „Junges Wohnen“ steckt, aber nichts vergleichbares für Senioren im Angebot hat. „Mindestens in dieser Größenordnung“ – also eine halbe Milliarde Euro – brauche es auch ein Programm für Altes Wohnen, fordert dementsprechend auch das Pestel-Institut. 

 

Ein solches Vorhaben mag sinnvoll sein, aber den entscheidenden Durchbruch kann es allein nicht bringen. Auf dem in Berlin stattfindenden alljährlichen „Wohnungsbautag“, erklärten Branchenvertreter, dass bis 2025 rund 50 Milliarden Euro an Förderung notwendig seien, um etwa die 100.000 Sozialwohnungen jährlich zu bauen, die die Bundesregierung ursprünglich auch mal angestrebt hatte. Zuletzt sollen aber nur 25.000 tatsächlich entstanden sein. Insgesamt würden am Markt rund 700.000 Wohnungen fehlen.

 

Ohne neue Förderung kein Licht am Ende des Tunnels

 

Ohne neue Förderung aber sehen die Branchenvertreter kein Licht am Ende des Tunnels. Im Gegenteil, 43 Prozent der Unternehmen würden dieses Jahr überhaupt keine neuen Projekte mehr in Angriff nehmen. Katharina Metzger, Präsidentin des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel sagte laut Süddeutscher Zeitung, es werde nur noch fertig gebaut, was begonnen wurde. Das sei es aber auch. Viele Projekte, die zwar genehmigt, aber mit deren Bau noch nicht begonnen wurde, würden mangels Rentabilität auf Eis gelegt. Eine düstere Situationsbeschreibung. Aber auch eine Aufforderung an die Bundesregierung, endlich seriös mit Augenmaß und ohne Ideologie gegen zu steuern. Doch außer Lippenbekenntnissen ist davon bislang leider wenig Konkretes zu spüren…

 


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