Streiks und Klimaproteste zum Wochenausklang

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche

 

Liebe Leserinnen und Leser unseres Politblogs,

 

und wieder einmal sorgten in der vergangenen Woche Streiks für Stillstand auf Bahnhöfen und auf Flughäfen. Hunderttausende kamen nicht rechtzeitig zur Arbeit oder konnten nicht wie geplant in den Urlaub reisen. Und dies nur, weil Gewerkschafter die Muskeln spielen ließen statt zunächst alle Karten am Verhandlungstisch auszureizen. Dies ist sehr ärgerlich und schadet obendrein dem Wirtschaftsstandort Deutschland und damit letztlich auch allen Beschäftigten. Natürlich ist es das gute Recht von Arbeitnehmervertretern zu versuchen, ihre Forderungen gegebenenfalls mit Streik durchzusetzen. Aber dieses „scharfe Schwert“ in Tarifauseinandersetzungen sollte nur mit Umsicht eingesetzt werden, um nicht den Rückhalt der übrigen Bevölkerung zu gefährden.

 

Jürgen Wermser
Jürgen Wermser

Bei der Eisenbahn. und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ist davon wenig zu spüren, wenn sie jetzt zu den harten Bandagen greift, obgleich die Bahn bereits ihre Bereitschaft signalisiert hat, die Löhne so stark zu erhöhen wie es der Schlichterspruch im öffentlichen Dienst vorsieht. Das wären immerhin rund zweimal sechs Prozent mehr Geld. Doch möglicherweise will sich die EVG gegenüber der konkurrierenden Gewerkschaft der Lokomotivführer (GdL) profilieren, um neue Mitglieder zu gewinnen. Man kann nur hoffen, dass der Konflikt bald ein gutes Ende nimmt und sich die Tarifpartner auf einen vernünftigen Kompromiss einigen.

 

Auch in Berlin soll in der kommenden Woche der Verkehr weitgehend lahmgelegt werden. Die Klimagruppe „Letzte Generation“ kündigte an, zunächst seien Aktionen im Regierungsviertel geplant. Und ab Montag solle die Stadt „friedlich zum Stillstand“ gebracht werden. 800 Aktivisten hätten sich dafür gemeldet. Die Forderungen der radikalen Gruppe haben es in sich. Denn der Protest soll erst enden, wenn die Bundesregierung, einen Gesellschaftsrat einrichtet. Dessen Mitglieder sollen per Losentscheid gefunden werden und anschließend Maßnahmen erarbeiten, damit Deutschland ab 2030 auf fossile Brennstoffe wie Kohle, Öl oder Gas verzichtet. Das Ganze ist eine Mischung aus politischer Utopie und Erpressung. Die Bundesregierung darf sich darauf keinesfalls einlassen, auch wenn die Anliegen der Klimaschützer im Grundsatz von den meisten Bürgern geteilt werden. Denn die Methoden der Aktivisten sind zutiefst undemokratisch. Wer einen Politikwandel will, muss dafür Mehrheiten organisieren und nicht rechtswidrig Straßen oder gar eine ganze Stadt blockieren. 

 

Ein anderes Thema, das viele Menschen in der vergangenen Woche beschäftigt hat, ist die hohe Auszeichnung für Altkanzlerin Angela Merkel durch ihren früheren Außenminister, den jetzigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Es gehört zur politischen Routine, dass mehr oder minder hochrangige Politiker spätestens nach ihrer aktiven Zeit vom Bundespräsidenten einen Orden bekommen. Damit sollen ihre Verdienste und ihr Einsatz für den Staat gewürdigt werden. Dies gilt selbstverständlich auch für Ministerpräsidenten und Bundeskanzler. Gleichwohl fällt die jüngste Ordensverleihung an Angela Merkel etwas aus dem üblichen Rahmen und hat in der vergangenen Woche verständlicherweise für kontroverse Debatten gesorgt. Denn die Sonderstufe des Großkreuzes als höchsten deutschen Orden hatten vor ihr nur Konrad Adenauer und Helmut Kohl erhalten. So mancher Bürger fragte sich da, ob die früheren Kanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt im Rückblick nicht genauso viel Ehre verdient gehabt hätten.

 

Vor allem aber hat die Ordensverleihung an Merkel die Diskussion über die großen Weichenstellungen in ihrer Kanzlerschaft neu befeuert – eine Kontroverse, die angesichts der Klimakrise und des Ukrainekriegs heftiger denn je geführt wird. Gewiss, Merkel hat in ihrer 16-jährigen Amtszeit wichtige Erfolge vorzuweisen. Man denke nur an die vielen Krisen – Stichworte Euro, Finanzmärkte, Corona –, in denen sie Deutschland mit ruhiger Hand durch bewegte Zeiten führte. Auch die Europäische Union hat ihr in diesen kritischen Phasen sehr viel zu verdanken. 

 

Doch es gibt auch diverse Punkte, die sich im Nachhinein als schwere Hypothek für Deutschland und die EU erweisen. Da ist zum einen ein gravierender Reformstau, von Maßnahmen zum Klimaschutz bis hin zur flächendeckenden Digitalisierung. Vieles wurde hier nur halbherzig angegangen oder im Laufe der Gesetzgebung zerfasert. Zum anderen hat Merkel eine Politik gegenüber Russland verfolgt, die sich immer mehr als fatale Fehleinschätzung erweist. Die vermeintliche Putin-Kennerin hat sich vom Kremlchef massiv täuschen lassen. Statt die westlichen Abwehrkräfte zu stärken, wurde die Abhängigkeit von russischem Erdgas in bedrohlichem Maße verstärkt. Obendrein ließ Merkel in ihrer Kanzlerschaft die Wehrpflicht abschaffen, die Bundeswehr wurde materiell und finanziell ausgeblutet.

 

Man wird sehen, wie Historiker später über all dies urteilen. Doch Stand heute sind dies gravierende Negativposten in Merkels Bilanz. Von daher fällt ein Schatten auf die Ordensverleihung. Der Bundespräsident hat vorschnell entschieden. Nur ein Gutes hat das Ganze: Die Debatte über die jetzt notwendigen Korrekturen in der Klima- und Sicherheitspolitik wird intensiviert. Denn klar ist: So viel relative Ruhe und Kontinuität wie in der Merkel-Kanzlerschaft kann sich Deutschland nicht länger leisten, dafür sind die innen- und außenpolitischen Herausforderungen einfach zu groß und gefährlich geworden.

 

Ein Beispiel – allerdings ein wenig erbauliches – ist das Bemühen der Ampelkoalition, das ganze Land im Hauruckverfahren auf klimafreundliche Heizungen umzustellen. Das Bundeskabinett hat sich am Donnerstag auf das entsprechende Erneuerungsprogramm verständigt. Nun müssen die Abgeordneten des Bundestags das letzte Wort sprechen. Damit ist neuer Streit programmiert. Denn die FDP-Minister haben dem Entwurf nur mit Bauchschmerzen zugestimmt. Sie drängen auf Änderungen – zu Recht, denn vieles an dem jetzt beschlossenen Entwurf wirkt unausgegoren. Doch lesen Sie selbst… 

 

In diesem Sinne verbleibe ich mit den besten Grüßen und Wünschen für eine gute, positiv verlaufende Woche

Ihr

Jürgen Wermser

Redaktionsleitung/Koordination

 

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