Der Abschied von der Kernkraft und ein Blick zurück in eine politische Ferienwoche

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen zu dieser Woche

 

Liebe Leserinnen und Leser unseres Politblogs,

 

wenn Sie heute diese Kolumne lesen, ist das gerade aktuell die Zeit des Runterfahrens. In Lingen, Neckarwestheim und im bayerischen Essenbach werden die Schalter umgelegt. Die letzten drei Kernkraftwerke werden endgültig abgeschaltet und vom Netz genommen. Wir erleben damit gerade ein(e) Energie(w)ende der speziellen Art. Robert Habeck versichert, man habe für Deutschland die Versorgungslage im Griff, für Jens Spahn ist heute ein „schwarzer Tag für den Klimaschutz“ und für den DIHK „sind wir mit der Versorgungssicherheit noch nicht über den Berg“.

 

Jost Springensguth
Jost Springensguth

Als nach der Katastrophe von Fukushima Angela Merkel zur weiteren Nutzung der Atomenergie die Bemerkung „Das wars“ in ihrem engeren Kanzlerinnen-Beraterkreis fallen ließ, ging zunächst eine Schockwelle durch die Union. Merkels Partei und damit die ganze Union schluckte damals das Wort der Parteivorsitzenden, zeigt jetzt aber zusammen mit Industrie- und Wirtschaftsverbänden wiederaufkommende Schluckbeschwerden. Immerhin: sechs von zehn Befragten im ARD-Deutschlandtrend von gestern halten die Abschaltung für falsch. Zwei Drittel haben die Sorge vor steigenden Energiepreise.

 

Für die Grünen führte die wachsende Akzeptanz des Atomausstiegs seinerzeit in den politischen Aufstieg. Sie bleiben bei ihrem Kernthema fest und grundsatztreu. Auch das bestätigt die ARD-Umfrage: unter den Anhängern der Grünen begrüßen 82 Prozent die Abschaltung. Die Partei ist aber so klug und feiert das Abschaltdatum nicht, sondern ihre Führung scheint das eher still zu genießen. Die Stille hat auch Gründe. Vor allem die Grünen werden sich weiter gegen Kritiker zu wehren haben: ihre Argumente gegen eine Weiternutzung der drei Meiler bei zunächst wachsendem Kohlestromanteil und für eine technisch neu aufgesetzte und CO2-freie Reaktorentwicklung bleiben alles andere als überzeugend. Deutschland und damit die derzeit mitregierenden Grünen werden sich international wachsendem Druck ausgesetzt sehen, zumal die Mehrheit im EU-Parlament den Atomstrom als „grün“ einstuft. (Das EU-Parlament hat keine Einwände dagegen, bestimmte Atomkraft- und Erdgasaktivitäten als umweltverträglich gelten zu lassen.)

 

Ansonsten wurde in dieser nachösterlichen Woche im politischen Ferienbetrieb weitgehend Energie eingespart. Dazu gehören auch Ausflüge in andere Gefilde – etwa Betriebspraktika, die sonst eher unter Schülern oder Studenten verbreitet sind. So zog sich offensichtlich mit Freuden Cem Özdemir einen Bundeswehr-Tarnanzug an, um ins Soldatenleben zu schnuppern und über Twitter das Bild mit seinem lächelnden Soldatengruß zu verbreiteten. Ob er unten dabei die Hacken zusammengeschlagen hat, ist auf dem Motiv nicht zu erkennen. Nicht als Politiker, sondern als „Teil des Pflegeteams“ verstand sich Friedrich Merz, als er ebenfalls in den Osterferien eine Schicht auf der Intensivstation des Klinikums Hochsauerland verbrachte. Fast 500 Twitter-Follower fanden es gut, dass er diese nach eigener Darstellung „wertvolle Erfahrung“ mitnehmen konnte.

 

Andere nutzen die Ferien, um sich in Interviews mit Zukunftsszenarien zu befassen. So bemerkte der bei der Kabinettsbildung in der Ampel zu kurz gekommene Anton Hofreiter gegenüber der Welt am Sonntag, dass „die Scholz-SPD“ nicht mehr der „natürliche Bündnispartner der Grünen“ sei. Man merkt, dass in den Berliner Köpfen die Bundestagswahl im übernächsten Jahr schon eine Rolle spielt. Bei der Union wird man die Bayern-Wahl und Söders Performance abwarten, bevor es im Herbst an die Frage geht, ob Merz der richtige ist, CDU und CSU als Kanzlerkandidat anzuführen. Bei der SPD kommt es darauf an, den Kanzler trotz Untersuchungsausschuss möglichst unbeschadet ans Ende der Legislaturperiode zu bringen. Die Vorsitzenden Esken und Klingbeil bündeln jeweils ihre Klientel und stehen wie eine Eins hinter Scholz, der sich wiederum mit Pistorius eine neue Kraft  zum Schwergewicht im Kabinett entwickeln lässt. Und Kühnert hält als Generalsekretär den Laden überraschend geschlossen. Baerbock und Habeck werden sich gegenseitig kritisch beäugen, wer nun fürs Kanzleramt besser zieht. Lindner muss sehen, dass er die FDP mit ihrer liberalen Profilschärfung wenigstens auf sieben Prozent hält, die ihm gerade die ARD-Sonntagsfrage bescheinigt. Es bleibt also weiter spannend…

 

Ja, einen besonderen Regierungstermin gab es in der nachösterlichen Ferienwoche doch noch in Berlin. Der Bundeslandwirtschaftsminister erkennt bei den Landwirten besonderes Interesse an der Legalisierung von Cannabis. „Viele Bäuerinnen und Bauern stehen in den Startlöchern, um Hanf anzubauen“, sagte der Grünen-Politiker der „Bild am Sonntag“. Zusammen mit seinem SPD-Kabinettskollegen, dem Mediziner Karl Lauterbach, wird jetzt das politische Cannabis-Herzensanliegen als Freigabe in Gesetzesform gegossen. Das geschieht unter dem Vorwand, man wolle so die Drogenkriminalität eindämmen. Besitz und Anbau werden in Grenzen nach Gramm und Zahl der Pflanzen legalisiert, der Vertrieb soll über „nicht-gewinnorientierte Vereinigungen“ erfolgen. Da muss man Mitglied werden, um legal an 50 Gramm Cannabis zu kommen. Und es wird in einigen Bundesländern sogenannte Fachgeschäfte geben, die testweise die Kiffer bedienen. Es konnte nicht anders kommen: Aus Medizinerkreisen kommt ein Aufschrei, aus der Gewerkschaft der Polizei heftige Kritik und aus der Union die Ankündigung, „einen solchen Unfug“ werde man im Bundestag ablehnen. Dabei wird das angekündigte Freigabe-Gesetz um verschiedene Punkte heftiger Bedenken der EU herum formuliert. Ob sich da die Ampel einen Gefallen tut?

 

Mit dieser Frage verabschiede ich mich in ein hoffentlich angenehmes Wochenende und empfehle unseren Blog zur weiteren Lektüre.

Ihr

Jost Springensguth

Redaktionsleitung / Koordination

 

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