Die Atomkraft und das Fragezeichen

Der Atomausstieg kam still und schmerzlos: Deutschland akzeptierte die Entscheidung und verzichtet damit auf eigene Atomenergie

Ein Schild mit den Aufschriften „Ökostrom“ und „Atomenergie“ vor einem Kernkraftwerk, aus dessen Kühlturm Wasserdampf austritt. (Symbolbild: Ralph Lindner)
Ein Schild mit den Aufschriften „Ökostrom“ und „Atomenergie“ vor einem Kernkraftwerk, aus dessen Kühlturm Wasserdampf austritt. (Symbolbild: Ralph Lindner)

 

Von Wolfgang Molitor

 

Es ist wohl eines der weltweit bekanntesten Logos überhaupt. Vor fast einem halben Jahrhundert zeichnete die damals 22-jährige dänische Studentin Anne Lund mit einem orangefarbenen Wachsmalstift erstmals das Logo mit dem Originalspruch „Atomkraft? Nej tak“. Mehr Frage als Appell. Und mit einer höflichen Antwort. Nein danke. Längst in 45 Sprachen übersetzt und millionenfach verbreitet. Die Originalentwürfe sind seit 2000 im Dänischen Nationalmuseum zu sehen. Das Deutsche Historische Museum präsentiert Anstecker. Als Ausdruck der Zeitgeschichte.

 

Atomkraft, nein danke! Längst ist das harte Fragezeichen parteiübergreifend verschwunden. Wenn jetzt das Atomzeitalter in Deutschland endgültig Geschichte wird, sind alle Schlachten geschlagen, die Generationen aufgewühlt, verängstigt und polarisiert haben. 1957 war das „Atomei“ der TU München als erster (Forschungs-) Reaktor hochgefahren worden. Bis 2004 wurden etwa 110 Meiler in Betrieb genommen. 66 Jahre später werden die Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 nun nach einer kurzen, nur den energiepolitischen Auswirkungen des Ukraine-Kriegs geschuldeten lebensverlängerten Maßnahme, heruntergefahren.

 

Deutschland verzichtet damit auf eigene Atomenergie. Auf eine umstrittene Energie, die wie kein anderes Thema den Aufstieg der Grünen zur Politik mitbestimmenden Kraft in der Republik angeheizt und neue politische Mehrheiten beeinflusst hat. Die Hunderttausende zum lauten, oft grenzwertig zivilungehorsamen Protest auf die Straßen trieb und die Politik polarisierte, bevor Schwarz-Gelb unter Angela Merkel am 14. März 2011, drei Tage nach dem Reaktorunglück in Fukushima, nach einer politischen Panikattacke den Anfang vom endgültigen Atomausstieg übers Knie brach. Wenige Monate zuvor war der von der rot-grünen Vorgängerregierung beschlossene Ausstieg noch rückgängig und eine Laufzeitverlängerung für die bestehenden Kraftwerke verkündet worden.

 

Der Atomausstieg kam still und schmerzlos. Deutschland akzeptierte die Entscheidung. Die große Mehrheit der Bürger nickte das Aus ab. Und auch die Energiekonzerne weinten der wenig ertragreich produzierten Atomenergie nach den obligatorischen Schadensersatzvereinbarungen keine Träne nach. Die noch immer nicht geklärten existenziellen Probleme einer sicheren Brennstäbe-Endlagerung sind herausfordernd und kostspielig genug.

 

Knapp 70 Prozent der Deutschen sind für eine Laufzeitverlängerung

 

Doch gerade jetzt, wo der deutsche Ausstieg unwiederbringlich besiegelt ist, dreht sich um Deutschland herum der Wind. Angesichts verbesserter Sicherheitsstandards, der unberechenbaren Energiekrise, den Folgen des Ukraine-Kriegs und der Abhängigkeit von dubiosen Energielieferanten, stimmen einer repräsentativen Umfrage zufolge mittlerweile knapp 70 Prozent der Deutschen für eine Laufzeitverlängerung bis 2024 oder länger. Weltweit betreiben zurzeit 33 Staaten 439 Kernreaktoren (u. a. USA 92, Frankreich 56 und China 55) - darunter 17 in Indien und Japan in Langzeitstillstand. Das EU-Parlament hat zudem die Einstufung von Atomkraft unter bestimmten Bedingungen als nachhaltig gebilligt, weil Atomenergie weniger klimaschädliche CO2-Emissionen als Kohleenergie verursacht (dafür radioaktiven Abfall).

 

Deutschland geht den anderen Weg. Auch, weil der Anteil der Atomenergie an der Stromerzeugung im ersten Quartal 2022 nur noch sechs Prozent betrug. Eine mögliche Renaissance der Atomkraft dürfte Berlin dennoch nicht verhindern. Und so könnte es ein halbes Jahrhundert nach der kreativen Initialzündung wieder in den Vordergrund rücken – das Fragezeichen hinter der Atomkraft. Und dem Nein. 

 


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