Gibt es auch in Deutschland Potenzial für eine Bauern-Partei?

In den Niederlanden wurde die „Bauer- und Bürgerbewegung“ (BBB) bei den Wahlen zu den Provinzparlamenten stärkste Kraft. Initialzünder war die EU-Nitratrichtlinie

Blick auf einen Acker. (Foto: berggeist007 / pixelio.de)
Blick auf einen Acker. (Foto: berggeist007 / pixelio.de)

 

Von Ludwig Hintjens

 

In den Niederlanden ist die Bauer- und Bürgerbewegung Mitte März als stärkste Kraft aus den Wahlen zu den Provinzparlamenten hervorgegangen. Die neue Partei, die von der Agrarjournalistin Caroline van der Plas gegründet worden war, holte 20 Prozent und damit mehr Stimmen als Christdemokraten und Sozialisten zusammen. Viele fragen sich: Hätte eine Partei wie die BoerBurgerBeweging (BBB), die mit dem Slogan wirbt „de stem van en voor het platteland“ („Die Stimme vom und für das platte Land“), auch in Deutschland Chancen?

 

Das ist derzeit nicht absehbar. Dagegen spricht zunächst, dass die Erosion des traditionellen Parteiensystems in den Niederlanden viel weiter fortgeschritten ist als in Deutschland. Christdemokraten und Sozialdemokraten zusammen können im Nachbarland nur noch etwa ein Fünftel der Wählerstimmen mobilisieren. In der ersten Kammer sind bereits heute zehn Parteien vertreten. Im Bundestag finden sich dagegen sechs Fraktionen. Union und SPD vereinen in den Umfragen aktuell immerhin noch knapp die Hälfte der Stimmen. Die Bindekraft der Parteien in den Niederlanden ist also deutlich geringer als bei uns. Das bedeutet, dass es neuen Protestparteien hierzulande grundsätzlich schwerer fallen sollte, sich zu etablieren als im Nachbarland.

 

In Deutschland keine annähernd vergleichbare politische Bewegung

 

Hinzu kommt, dass in Deutschland nicht annähernd vergleichbare politische Bedingungen gegeben sind, von denen eine die ländliche Bevölkerung ansprechende neue Partei profitieren könnte. Der wichtigste Geburtshelfer für die BBB in den Niederlanden ist der Ärger über die EU-Nitratrichtlinie. Ein höchstrichterliches Urteil in den Niederlanden besagt, dass der Nitrateintrag der Landwirtschaft bis 2030 um 50 Prozent reduziert werden muss. Die Regierung im Haag hat drastische Maßnahmen angekündigt, durch die die Zahl der Betriebe um 30 Prozent gesenkt werden soll. Selbst Enteignungen sind nicht ausgeschlossen.

 

Zwar sorgt auch bei uns die EU-Nitratrichtlinie für große Unzufriedenheit. Doch die Landwirtschaft in den Niederlanden ist viel mehr auf Intensität getrimmt als in Deutschland. Hierzulande sind von der Brüsseler Richtlinie vor allem Landwirte in den einschlägigen Regionen mit besonders hohem Viehbesatz etwa in NRW und Niedersachsen betroffen.

 

In den Niederlanden haben die Bauern wochenlang protestiert, teils gewaltsam. Sie haben die Autobahnen blockiert, Brände gelegt, Müll und Asbest auf die Straßen gekippt. Das zeigt, dass die Betroffenheit in den Niederlanden größer ist als hierzulande.

 

Wütende Wählerschichten vom „platten Land“ angesprochen 

 

Doch in den Niederlanden ist die Wut über die Maßnahmen gegen Nitrat auch allenfalls der Initialzünder für BBB gewesen. Parteigründerin van der Plas ist es gelungen, darüber hinaus Wählerschichten vom platten Land anzusprechen, die aus Frust ausgestiegen sind aus dem politischen Diskurs der anderen Parteien. Abseits von den urbanen Wählerschichten in Amsterdam, Rotterdam, Den Haag und Utrecht haben Menschen das Gefühl, dass ihr Lebensstil, ihre Lebensleistung und ihre Werte von keiner anderen Partei vertreten wird.

 

Ähnliche Entwicklungen, wenn auch nicht so ausgeprägt, gibt es auch in Deutschland.  Auch hierzulande beklagen Landwirte, dass vor allem sie die großen Opfer bringen müssten für den Green Deal aus Brüssel. Sie verweisen auf die Pläne für die Pflanzenschutzverordnung SUR, die Obstbauern in sensiblen Gebieten um die Existenz bangen lassen. Für Unruhe sorgt auch der Plan, dass ab 150 Großvieheinheiten Höfe unter die Industrieemissionsrichtlinie fallen. Die Pflicht zur energetischen Gebäudesanierung, das Verbrenner-Aus sowie das Verbot von Ölheizungen sind Vorhaben, die auch Wählerschichten auf dem Land stören, die nicht in der Landwirtschaft ihr Geld verdienen.

 

Hier gibt es also auch in Deutschland ein Potenzial dafür, dass sich Parteien als Sprachrohr für Menschen anbieten, die sich als Modernisierungsverlierer fühlen. Dass es bis jetzt in Deutschland ruhig geblieben ist, muss nichts bedeuten: Manchmal bedarf es eines Auslösers, wie etwa steigende Preise an der Zapfsäule wie im Fall der Gelbwesten in Frankreich, um eine neue Bewegung zu starten.  

 


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