Berliner Ampel: Großer Wirbel, aber keine handfesten Ergebnisse

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche

 

Liebe Leserinnen und Leser unseres Politblogs,

 

was für eine Woche liegt hinter uns! Sie begann mit einem 24stündigen „Großstreik“ der Gewerkschaft Verdi und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die viele öffentliche Bereiche lahmlegten. Bahn- und Flugverkehr waren ebenso betroffen wie der ÖPNV. Gleichzeitig versuchte die Berliner Ampelkoalition wieder Bewegung in ihre festgefahrene Reformpolitik zu bringen. Auch hier lässt sich sagen: Großer Wirbel aber keine handfesten Ergebnisse. 

Jürgen Wermser Redaktionsleitung/Koordination
Jürgen Wermser Redaktionsleitung/Koordination

Das eigentlich spannende an dem Koalitionsmarathon war die Art und Weise, wie die betreffenden Politiker das Ergebnis schönzureden versuchten. Auf die Spitze trieb es Olaf Scholz, als er die Ergebnisse des Koalitionsausschusses so charakterisierte: „Wir haben sehr, sehr, sehr gute Ergebnisse.“ Da kann man sich nur die Augen reiben. Meint der Kanzler das etwa ernst? Der veröffentliche Abschlusstext gibt jedenfalls keinen Anlass zu solcher Euphorie. Oder ironisch gefragt: Gibt es etwa noch ein geheimes, sensationelles Zusatzprotokoll mit wegweisenden Ergebnissen?

 

Natürlich nicht. Beim Kanzler-Jubel dürfte es sich eher um den Versuch handeln, einen mit großem zeitlichem Aufwand erzielten Kompromiss zu rechtfertigen, obwohl dieser in Wahrheit inhaltlich recht vage und dürftig ist. Man fragt sich zunehmend, was diese Koalition eigentlich noch zusammenhält. Die drei Parteien scheinen immer weniger daran interessiert zu sein, gemeinsam vernünftige Lösungen in den zentralen Bereichen Wirtschaft, Soziales und Klima zu finden. Eher wirkt es so, als wäre der Blick schon auf die nächste Bundestagswahl in zweieinhalb Jahren gerichtet. Das mag angesichts des mühseligen Miteinanders menschlich verständlich sein. Aber mit verantwortungsvollem Regieren hat solche Taktiererei nichts zu tun.

 

Millionen Bürger sind verunsichert. Sie möchten endlich wissen, was die politisch von allen grundsätzlich akzeptierte Klimawende für sie ganz persönlich an Auswirkungen hat. Normale Arbeitnehmer - die vielzitierten Leistungsträger unserer Gesellschaft - sind besorgt, ob sie sich die Abkehr von Öl- und Gasheizungen überhaupt leisten können. Von dem Marathon-Koalitionsausschuss erhofften sie sich konkrete Antworten. Doch am Ende heißt es Fehlanzeige. Im Grunde sind die Bürger genauso schlau wie vorher. Es heißt zwar, soziale Härten sollten vermieden werden. Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen sollten für eine durchschnittliche Wärmepumpe unterm Strich nicht mehr zahlen als für eine herkömmliche Gasheizung. Doch welche finanzielle Eigenbeteiligung wird für zumutbar gehalten, und wie könnte eine Förderung überhaupt aussehen - Kredit oder Zuschuss? Und ab wann und in welcher Höhe würde es Übergangsfristen geben? Kurzum, der finanzielle Rahmen für die Heizungsförderung bleibt offen.

 

Ganz abgesehen davon: Wie soll das Ganze eigentlich finanziert werden? Über den Haushalt wurde augenscheinlich nicht gesprochen. Dies ist unverständlich, denn andere teure Projekte stehen zu Recht ebenfalls oben auf der Agenda - von der überfälligen Modernisierung der Bundeswehr bis hin zur Kindergrundsicherung. Und nicht zu vergessen ein Projekt, das vor allem für die Zukunftsfähigkeit des ländlichen Raums von immenser Bedeutung ist: der Ausbau der Breitbandnetze. Oder anders und zugespitzt formuliert: Es muss endlich an jeder Milchkanne Internet verfügbar sein. Das hätte nicht nur positive wirtschaftliche Effekte für die Kommunen, Stichwort Home-Office. Ohne weitreichende Digitalisierung in den Aussaat- und Anbaumethoden, kann auch die Landwirtschaft die angestrebten Klimaziele nicht wie gewünscht erreichen.

 

Gewiss, die Grünen haben in der Koalitionsklausur mutmaßlich am meisten Zugeständnisse machen müssen, etwa in der Verkehrspolitik. Dort hat FDP-Minister Volker Wissing nun nahezu freie Fahrt beim beschleunigten Ausbau vieler Autobahnabschnitte. Zudem wurde er aus der Verantwortung für die Einhaltung der Klimaziele in seinem Bereich entlassen. Denn bisher waren die Sektoren Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft jeder für sich verantwortlich, die Emissionsgrenzen für das Treibhausgas CO2 einzuhalten. Künftig können Schwierigkeiten in einem Bereich durch zusätzliche Einsparungen in einem anderen ausgeglichen werden. Das mag die FDP freuen. Aber all dies ist aus liberaler Sicht bei den kommenden Wahlen wenig wert, wenn die Gesamtbilanz der Koalition nicht stimmt. Denn dann könnte der Unmut der Bürger allzu leicht den kleinsten der Partner treffen, und das ist nun mal die FDP.

 

Man wird sehen, was von den Beschlüssen des Koalitionsausschusses tatsächlich von Regierung und Bundestag umgesetzt wird. Klar ist in jedem Falle, die Debatte innerhalb der Koalition sowie zwischen Regierung und Opposition wird weitergehen. Sie könnte noch spannungsreicher und auch spannender werden. Wir werden Sie, liebe Leserinnen und Leser, in unserem Politblog speziell mit Blick auf den ländlichen Raum auf dem Laufenden halten.

 

In diesem Sinne verbleibe ich mit den besten Grüßen und Wünschen für eine gute, positiv verlaufende Woche

 

Ihr

Jürgen Wermser

Redaktionsleitung/Koordination 

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