Koalitionsausschuss: Machterhalt ist ein sehr strapazierfähiger Kitt

Wenn drei Parteien miteinander koalieren, die eigentlich nicht zueinander passen, dann fallen die Kompromisse bisweilen seltsam aus

Künftig müssen beim Bau sowie beim Ausbau von Straßen Photovoltaikanlagen eingeplant werden. Hier zu sehen ein Beispiel aus Italien. (Symbolbild: iStock/canbedone)
Künftig müssen beim Bau sowie beim Ausbau von Straßen Photovoltaikanlagen eingeplant werden. Hier zu sehen ein Beispiel aus Italien. (Symbolbild: iStock/canbedone)

 

Von Hugo Müller-Vogg

 

Wenn Koalitionspartner zunächst 20 Stunden ununterbrochen verhandeln und dann nochmals zehn Stunden dranhängen, sollte man als Ergebnis schon das „große Werkstück“ erwarten, das Bundeskanzler Olaf Scholz zwischendurch angekündigt hatte. Doch als die drei Parteivorsitzenden Lars Klingbeil (SPD), Christian Lindner (FDP) und Ricarda Lang (Grüne) die Ergebnisse des Sitzungsmarathons verkündeten, lieferten sie kein fertiges Werkstück ab, sondern allenfalls ein paar Skizzen. Viele Details müssen noch geklärt werden. Und in denen steckt bekanntlich der Teufel.

 

Nun, die rot-grün-gelbe Koalition ist nicht geplatzt, weil man sich nicht einigen konnte. Das war auch nicht zu erwarten gewesen. Alle drei Ampel-Parteien verbindet nämlich eines: die Angst vor Neuwahlen. Würde jetzt gewählt, könnten höchstens die Grünen ihr Wahlergebnis von 2021 halten, während SPD und FDP mit schweren Einbußen rechnen müssten. Machterhalt ist eben doch ein sehr strapazierfähiger Kitt.

 

„Wir verbinden Klimaschutz mit Straßenbau“

 

Wenn drei Parteien miteinander koalieren, die eigentlich nicht zueinander passen, dann fallen die Kompromisse bisweilen seltsam aus. 144 Autobahnprojekte werden jetzt mehr beschleunigt geplant, wie es die FDP und ihr Verkehrsminister Volker Wissing stets gefordert hatten. Dafür müssen künftig beim Bau wie beim Ausbau von Straßen Photovoltaikanlagen eingeplant werden. Was Lang so bejubelte: „Wir verbinden Klimaschutz mit Straßenbau.“ Ob das die grüne Basis auch so sieht, darf bezweifelt werden.

 

Die Grünen stehen nach fast 30 Stunden nicht mit leeren Händen da. Sie bekommen ihren massiven Ausbau der Bahn – für 45 Milliarden Euro. Das soll unter anderem durch die Erhöhung der Lkw-Maut auf Autobahnen finanziert werden. Denn 80 Prozent dieser Mehreinnahmen werden ins Schienennetz fließen. Dass der Güterverkehr auf der Autobahn weiter verteuert wird, dürfte der FDP nicht gefallen. Aber Koalition und Kompromiss sind eben zwei Seiten derselben Medaille.

 

„Niemand wird im Stich gelassen“

 

Der Verlierer ist eindeutig Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck. Der Grüne hatte mit seinen Klagen über „Vertrauensbruch“ und der Behauptung, die Koalitionspartner SPD und FDP stünden dem Fortschritt im Wege, im Vorfeld des Treffens für böses Blut gesorgt. Das war seinen Anliegen nicht dienlich. Sein Vorschlag, von 2024 an den Einbau von Öl- und Gasheizungen rigoros zu verbieten, wurde jedenfalls aufgeweicht. Vom nächsten Jahr an soll „möglichst jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden“. „Möglichst“ – das hörte sich bei Habeck schon anders an.

 

Zudem kann es nach 2024 Heizungen geben, die mit Öko-Gas betrieben werden. Lindner bemüht dafür ein Lieblingswort der Liberalen: „Technologieoffenheit“. Außerdem soll es längere Übergangsfristen und staatliche Zuschüsse beim Austausch alter Heizungen geben. Da haben SPD und FDP gegen die Grünen gepunktet. Denn vor allem die SPD befürchtete, Habecks teure Pläne könnten gerade die finanziell nicht so gut gestellten Hausbesitzer überfordern. Klingbeils Kommentar: „Niemand wird im Stich gelassen.“

 

Und wer soll das bezahlen? Laut Finanzminister Lindner haben sämtliche Beschlüsse keine Auswirkungen auf den Haushalt. Denn finanziert werden soll das alles aus dem Klimaschutzfonds, hinter dem sich freilich keine Guthaben, sondern Schulden in Milliardenhöhe verbergen. Über die Übergangsfristen und den Umfang der staatlichen Subventionen müssen sich die Ampel-Koalitionäre erst noch verständigen. Auch dieses „Werkstück“ ist also nur in Konturen sichtbar. Dass da neue Auseinandersetzungen ins Haus stehen, liegt nahe.

 

„Stellvertretend für die Gesellschaft ausgehandelt“

 

Besonders strittig – vor allem zwischen FDP und Grünen – war das Vorhaben Habecks, die einzelnen Sektoren auf Einsparziele bei den CO2-Emissionen zu verpflichten. Das hätte besonders den FDP-Verkehrsminister getroffen, der diese Vorgaben nicht erreichen kann. Jetzt wurde vereinbart, die Sektoren künftig „aggregiert“ zu betrachten. Das heißt, eine Übererfüllung der Ziele in einem Bereich kann Defizite eines anderen ausgleichen. Allerdings müssen Bundesministerien, in deren Bereich die Zielvorgaben verfehlt werden, künftig „nacharbeiten“. Wer Beispiele für faule Kompromisse sucht, wird hier leicht fündig.

 

Es gehört zum Ritual von schwierigen Koalitionsrunden, sich gegenseitig zu bescheinigen, Großartiges geleistet zu haben. Die Grünen-Vorsitzende Lang hob die Beschlüsse sogar auf eine höhere, staatspolitische Ebene. Die Ampel habe die großen Konflikte „stellvertretend für die Gesellschaft ausgehandelt“. Klingbeil betonte ebenfalls den Beitrag der Ampel zur Lösung „großer gesellschaftlicher Konflikte“. Ob die Gesellschaft das auch so sieht, wird sich noch zeigen.

 

„Sehr, sehr, sehr gute Ergebnisse“

 

Nichts gewesen außer Spesen? Nein, so wars dann doch nicht. Aber die Dauer der Verhandlungen steht in keinem Verhältnis zum Ergebnis. Denn in dem sechzehnseitigen Papier mit dem pompösen Titel „Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung“ ist vieles aufgelistet, was in weiteren Gesprächen geklärt werden muss. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen hatte schon vor Ende dieser Marathon-Runde bemängelt, „die Ampel könnte auch besser regieren, als sie es tut“ und dem Kanzler „Führungsschwäche“ vorgeworfen. Was Scholz nicht daran hindern wird, seine Einschätzung der „sehr, sehr, sehr guten Ergebnisse“ zu verbreiten.

 

Die Scholz‘sche Methode, in höchsten Tönen zu loben, was man allenfalls als mittelmäßig bezeichnen kann, scheint auf andere Koalitionäre abzufärben. „So kanns gerne weitergehen“, lobte Klingbeil die eigene Arbeit. Auch der FDP-Chef war von den 30 rot-grün-gelben Stunden sehr angetan. „Man schweigt sich auseinander und man diskutiert sich zusammen,“ schwelgte Lindner. Und: Wenn immer so viel dabei herumkomme, sollte die Ampel „jeden Monat dreitägige Koalitionsgespräche führen“. Als Bürger kann man da nur sagen: Bitte nicht!

 

Auch wenn der Vorhang nach dieser Ampel-Aufführung zu und noch viele Fragen offen sind: Wenigstens sind die Akteure mit sich selbst höchst zufrieden. Das ist immerhin etwas. Nur Habeck dürfte das anders sehen.

 

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Unser Gastautor

Dr. Hugo Müller-Vogg, ehemaliger F.A.Z.-Herausgeber, zählt zu den erfahrenen Beobachtern des Berliner Politikbetriebes. Als Publizist und Autor zahlreicher Bücher analysiert und kommentiert er Politik und Gesellschaft. www.hugo-mueller-vogg.de und www.facebook.com/mueller-vogg


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