Eine Wahlrechtsreform mit der Macht des Stärkeren

Eine deutliche Verkleinerung des Bundestages ist notwendig – aber es schadet der Demokratie, wenn die Regierungsparteien die Direktmandate entwerten

Der Reichstag in Berlin – Sitz des Deutschen Bundestages. (Symbolbild: Karlheinz Pape)
Der Reichstag in Berlin – Sitz des Deutschen Bundestages. (Symbolbild: Karlheinz Pape)

 

Von Christian Urlage

 

Der heutige Freitag ist kein guter Tag für die Demokratie in Deutschland. Denn voraussichtlich werden heute die Bundestagsabgeordneten von SPD, Grünen und FDP für die von ihnen entworfene Reform des Wahlrechts stimmen. Dass sie das aufgeblähte Parlament auf künftig 630 Abgeordnete verkleinern wollen, ist völlig in Ordnung. Aber die Regierungsparteien wollen mit der Macht des Stärkeren eine Änderung zu ihrem eigenen Vorteil durchsetzen. Sie haben nicht ernsthaft nach einem Kompromiss gesucht, mit dem alle Beteiligten leben können. In der Parteiengeschichte ist das ein beispielloser, schädlicher Vorgang.

 

Ein Verlierer wird die Linke sein, die bisher lediglich durch wenige Direktmandate im Osten Deutschlands den Einzug als Fraktion in den Bundestag geschafft hat. Noch härter könnte es die CSU treffen – zumindest dann, wenn sie die Fünf-Prozent-Hürde im Bundesgebiet nicht überspringt, was in Zukunft nicht ausgeschlossen ist. 2021 hat sie nur knapp 5,2 Prozent erreicht, und es könnte bald noch weniger werden. Die Folge: Die in Bayern traditionell stärkste Regionalpartei wäre überhaupt nicht mehr im Bundestag vertreten, nicht einmal, wenn sie alle 46 Direktmandate gewönne. Demokratisch ist die Änderung daher nicht; faktisch ist sie eine Anti-CSU-Reform, die übrigens auch zu Lasten des ländlichen Raums ginge.

 

CSU-Politiker haben die Kompromisssuche erschwert

 

Unschuldig sind Markus Söder und seine Mitstreiter an dem Ergebnis allerdings keineswegs. Denn in den vergangenen Jahren haben sie sich allen Reformbemühungen ebenso erfolgreich wie beharrlich widersetzt, mitunter auch zum Ärger von Teilen der CDU. Und mit einem überzogenen Vokabular wie „organisierte Wahlfälschung“, „Attacke auf die Demokratie“ oder einem unpassenden Vergleich mit „Schurkenstaaten“ haben CSU-Politiker die Suche nach einem Kompromiss erschwert, nicht erleichtert.

 

Fakt ist: Mit der Wahlrechtsreform wäre die Erststimme entwertet, weil eine Mehrheit im Wahlkreis nicht mehr den Einzug ins Parlament garantieren würde. Direktmandate würden ungleich behandelt, weil es künftig vorkommen kann, dass ein Kandidat seinen Wahlkreis mit 50 Prozent oder mehr gewinnt und dennoch leer ausgeht, weil seine Partei zu wenig Zweitstimmen erringt. Und weil ein Direktkandidat, der nur knapp vor seinen Mitbewerbern, aber deutlich unter 50 Prozent liegt, in den Bundestag einziehen kann, wenn seine Partei auch die Zweitstimmen erhalten hat.

 

Zu Lasten des Mehrheitswahlrechts

 

Zugleich gäbe es eine Verschiebung. Bisher gilt in Deutschland eine Mischung von Verhältniswahlrecht (Zweitstimme) und Mehrheitswahlrecht (Direktmandat im Wahlkreis). Mit der Reform würde sich die Gewichtung verschieben, zu Lasten des Mehrheitswahlrechts. Dass dies kleineren Parteien wie den Grünen, der FDP und einer schrumpfenden SPD zugutekommt, liegt auf der Hand.

 

Eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht ist abzusehen. Das muss jedoch kein Nachteil sein, weil damit Klarheit geschaffen würde. Nur sollten sich die obersten Richter in Karlsruhe mit ihrer Entscheidung nicht zu viel Zeit lassen: Bereits in zweieinhalb Jahren, im Herbst 2025, steht die nächste Bundestagswahl auf dem Terminplan.

 


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