Der schlafende Riese beim Klimaschutz

„LULUCF“ soll 310 Millionen Tonnen CO₂ einsparen

LULUCF: Die Verordnung zur Anrechnung von CO₂ aus Grünland, Ackerland und Wäldern. (Symbolbild: iStock/Francesco Scatena)
LULUCF: Die Verordnung zur Anrechnung von CO₂ aus Grünland, Ackerland und Wäldern. (Symbolbild: iStock/Francesco Scatena)

 

Von Ludwig Hintjens

 

Die ehrgeizigen Ziele der EU, dass die 27 Mitgliedstaaten 2050 klimaneutral sein wollen, sind erklärungsbedürftig: Sie bedeuten nicht, dass Mitte des Jahrhunderts kein Schornstein mehr qualmt. Vielmehr kann Europa das Klimaziel Neutralität nur erfüllen, wenn im großen Stil an anderer Stelle wieder Klimagase der Atmosphäre entzogen werden.

 

Das Europaparlament hat jetzt einem zentralen Vorschlag der Kommission zugestimmt. Es geht um die Verordnung zur Anrechnung von CO₂ aus Grünland, Ackerland und Wäldern, die im EU-Fachjargon LULUCF heißt. Im Jahr 2030 sollen 310 Millionen Tonnen CO₂ aus der Luft entnommen und eingelagert werden. Die Klimagase sollen nicht künstlich abgeschieden werden etwa bei fossilen Kraftwerken, um sie dann zu verpressen und unterirdisch zu deponieren. Es geht vielmehr um natürliche Prozesse: Jede Pflanze, jeder Baum entzieht beim Wachstum der Atmosphäre CO₂ und lagert den Kohlenstoff im eigenen Organismus ab.

 

Indem man durch geeignete Methoden das Binden des Kohlenstoffes durch Pflanzen fördert, kann im Kampf gegen den Klimawandel ein großer Schatz gehoben werden. Hier schlummert ein Klimaschutz-Riese. Nur zum Vergleich: Alle Maßnahmen zu den verschärften CO₂-Flottengrenzwerten, die die Kommission im Bereich Pkw und leichte Nutzfahrzeuge vorgeschlagen hat, würden unter dem Strich 60 Millionen Tonnen CO₂ einsparen. LULUCF soll 310 Millionen Tonnen bringen. LULUCF trägt sogar dazu bei, dass die EU die Latte beim Klimaschutz noch etwas höher legen kann: Die EU wird im Jahr 2030 nun 57 Prozent weniger Klimagase ausstoßen als 1990, das wäre ein großer Erfolg und zwei Prozent weniger als die Staats- und Regierungschefs beschlossen hatten.

 

Vor allem Waldbesitzer sind skeptisch

 

Die Vorgaben der Kommission sind ehrgeizig: Im Jahr 2023 bringen die natürlichen Kohlenstoffsenken der EU eine Ersparnis von 215 Millionen Tonnen. In den nächsten sieben Jahren muss also noch einmal mehr als die Hälfte draufgelegt werden. Allein Deutschland muss 2030 den Wert von 31 Millionen Tonnen erreichen. Vor allem die Waldbesitzer sind skeptisch. Sie befürchten, dass der Klimawandel so große Schäden in den Forsten anrichtet, dass die Wälder mehr CO₂ freisetzen.  

 

Die Ziele sind aber machbar, wie Norbert Lins (CDU), Chef des Agrarausschusses im Europaparlament, überzeugt ist. Er hat im Parlament maßgeblich Forderungen von linker Seite des politischen Spektrums abgewehrt, die eine Senkleistung von bis zu 600 Millionen Tonnen im Jahr 2030 festschreiben wollte.

 

Was bedeutet LULUCF konkret für Forst- und Landwirte? In der Forstwirtschaft geht es eben nicht darum, die Wälder stillzulegen. Das wäre klimapolitisch kontraproduktiv. Vielmehr müssen sie nachhaltig bewirtschaftet werden. Wälder müssen zum richtigen Zeitpunkt durchforstet werden. Wenn einzelne Bäume in ihrem Lebenszyklus fortgeschritten sind, sind sie zu entnehmen, damit junge Bäume mit hohem Wachstumspotenzial nachwachsen und maximal Kohlenstoff binden können. Das geschlagene Holz wird idealerweise weiterverwendet in langlebigen Holzprodukten. Wird es zum Hausbau genutzt, dann ist der Kohlenstoff über Jahrzehnte gebunden.

 

Es muss sich für Forst- und Landwirte auch finanziell lohnen

 

Für die Bauern gilt es, dass Weidewirtschaft unter LULUCF-Kriterien wünschenswert ist. Die besten Ergebnisse erzielt eine bodengebundene Tierhaltung. Beim Ackerbau geht es um eine möglichst hohe Bedeckung der Böden, also sind mehr Zwischenfrüchte und eine optimierte Fruchtfolge erstrebenswert. Auch die Vernässung von Mooren ist geplant.

 

Allerdings: Es muss sich für Forst- und Landwirte auch finanziell lohnen. Daher muss ein Handelssystem für Karbonzertifikate aufgebaut werden. Die Kommission arbeitet gerade an der Rahmengesetzgebung dafür. Das ist überfällig. Forst- und Landwirte warten darauf, dass sich ihnen ein neues Geschäftsmodell bietet. Wenn sie nachvollziehbar zusätzliche Anstrengungen für den Klimaschutz erbringen, muss das auch honoriert werden.

 


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