Alle Räder stehen still...

Verdi und der radikalisierte Beamtenbund greifen in jüngster Zeit zu Mitteln, die in die unseligen Zeiten eines antiquierten Klassenkampfes zurückfallen

Ein Warnstreik von Verdi. (Foto: iStock/Andy Nowack)
Ein Warnstreik von Verdi. (Foto: iStock/Andy Nowack)

 

Von Wolfgang Molitor

 

Immer mehr Menschen bekommen die Warnstreiks im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen hautnah zu spüren. Kitas machen ohne Rücksicht auf (Eltern- und Kinder-)Verluste dicht, Sparkassen, Behörden, Kliniken oder Jobcenter schließen ihre Türen, Flughäfen stellen den Betrieb ein, und der Müll bleibt liegen. Jetzt droht an diesem Freitag in weiten Teilen des Landes auch noch ein von Verdi lustvoll unschuldig inszeniertes Verkehrschaos. Fast überall kommt der Öffentliche Nahverkehr zum Erliegen. Ganztägig. Rücksichtslos.

 

Dabei stoßen Erzieherinnen, Krankenpersonal, Busfahrer, Altenpflegerinnen, Feuerwehrleute und Müllwerker in breiten Kreisen der Bevölkerung durchaus auf Zustimmung, wenn sie für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. Warnstreiks geben ihnen die Möglichkeit, öffentlichkeitswirksam dafür zu werben. Doch längst haben die Verdi-Strategen (und ihre Kollegen bei der Post und Bahn) jedes Augenmaß verloren. Ein paar Stunden Streik muss eine Gesellschaft ertragen. Aber sie darf nicht das berechtigte Gefühl haben, als Tarif-Geisel vor den Verdi-Karren gespannt zu werden. Als doppeltes Opfer sozusagen: Erst mit unzumutbaren Warnstreik-Folgen in ihrem Alltag, und dann auch noch als Leidtragende, wenn Kommunen Leistungen reduzieren müssen, weil ihnen die Personalkosten über den Kopf wachsen.

 

Warnstreiks sind wie Vollstreiks verfassungsrechtlich als Grundrecht garantiert. Das Streikrecht leitet sich von Artikel 9, Absatz 3 des Grundgesetzes zur „Koalitions- und Vereinsfreiheit“ ab, wonach sich jeder Arbeitnehmer an einem Warnstreik beteiligen kann und deswegen keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen befürchten muss. Während der Laufzeit eines gültigen Tarifvertrags dürfen keine Arbeitskampfmaßnahmen durchgeführt werden. Das nennt man „Friedenspflicht“. Anders ist das, wenn es um bisher dort nicht geregelte Inhalte geht. Dann ist auch ein Warnstreik statthaft, um den Verhandlungs- und Einigungsdruck auf die Arbeitgeber zu erhöhen.

 

Umweltpolitisch zynisch und ökologisch verantwortungslos

 

Doch die Welle von Arbeitsniederlegungen hat mit einer Warnung längst nichts mehr zu tun. Denn Verdi und der radikalisierte Beamtenbund greifen zu Mitteln, die in die unseligen Zeiten eines antiquierten Klassenkampfes zurückfallen. Nach dem Uralt-Motto: Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will – ein Text aus dem Jahre 1863.

10,5 Prozent im Monat für alle mit einem sicheren Arbeitsplatz gesegneten Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (also auch für die nicht wenigen Gutverdiener) sind überzogen und passen trotz hoher Inflation nicht in die finanziellen Möglichkeiten von kommunalen Arbeitgebern. Dass mit dem Schlag gegen den ÖPNV Zigtausende wieder mit dem Auto auf die Straßen getrieben werden, ist umweltpolitisch obendrein zynisch und ökologisch verantwortungslos.

 

Angesichts des anhaltenden Mitgliederverlustes, der Verdi mittlerweile unter die 1,9-Millionen-Grenze drückt, scheint es der Gewerkschaftsspitze vor allem darum zu gehen, die eigenen Reihen zu schließen und in den Betrieben für sich zu werben. Eigen-PR auf Kosten und zu Lasten der Steuerzahler, des eigentlichen Arbeitgebers? Das wäre in der Tat abseits warnstreikender Müllwerker eine dreckige Strategie. 

 


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