Mit Vollgas in die Versorgungslücke?

In Berlin machen Modelle für die künftige Krankenhauslandschaft die Runde. Sie führen zu einer dauerhaften Unterversorgung in den ländlichen Gebieten

Nach einer erfolgreichen Entbindung in einem Kreißsaal wird das Neugeborene von einer Ärztin/Hebamme im Arm gehalten. (Symbolbild: Minh Phạm Cao)
Nach einer erfolgreichen Entbindung in einem Kreißsaal wird das Neugeborene von einer Ärztin/Hebamme im Arm gehalten. (Symbolbild: Minh Phạm Cao)

 

Von Wolfgang Kleideiter

 

In vielen Hospitälern schrillen die Alarmglocken. Das gilt insbesondere für schwach besiedelte Regionen. Sollten die Vorschläge der Berliner Regierungskommission für die Krankenhausreform umgesetzt werden, gehen vor allem auf dem Land in etlichen Abteilungen die Lichter für immer aus. Ob Geburtshilfe, Kardiologie, Neurologie oder Urologie – für viele Leistungen werden die Menschen lange Wege zurücklegen müssen.

 

Hintergrund: Die Krankenhausgesellschaften in Deutschland haben landauf und landab bereits ermitteln lassen, welche Leistungen auf der Grundlage von Versorgungsstufen überhaupt noch wo angeboten werden sollen. Das Ergebnis fällt niederschmetternd aus.

 

Zwei Beispiele aus Nordrhein-Westfalen: Bisher gibt es im Flächenland 137 Krankenhaus-Standorte mit einer Geburtshilfe. Werden die strengen Level-Maßstäbe der Kommission anlegt, bleiben noch 35 Standorte übrig. 70 Prozent der werdenden Eltern, so hat die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) ermitteln lassen, müssten sich eine andere Entbindungsklinik suchen - und dort wahrscheinlich im Hotelzimmer auf den Kreißsaal-Termin warten.

 

Lange Anfahrtswege, lange Wartezeiten

 

Bei der Kardiologie sieht es ähnlich aus. 136 Hospitäler kümmern sich in NRW zurzeit um die Versorgung der Patienten. Aber nur 34 Häuser würden auch hier die neuen Kriterien der verschiedenen Versorgungsstufen erfüllen. Im Ergebnis müssten sich 70 Prozent der Herzpatienten ein neues Krankenhaus suchen. Lange Anfahrtswege, lange Wartezeiten inklusive. Nicht auszudenken, was dies bei einem akuten Infarkt bedeutet.

 

„Die Umsetzung der Reformvorschläge der Regierungskommission von Minister Lauterbach für eine Krankenhausreform gefährdet eine flächendeckend hochwertige Krankenhausversorgung im kreisangehörigen Raum. Dies bereitet uns große Sorgen, vor allem mit Blick auf die Erreichbarkeit von Kliniken in den NRW-Kreisen“, gab bereits der Hauptgeschäftsführer des Landkreistags NRW, Dr. Martin Klein, zu Protokoll.

 

Und Ingo Morell, Präsident der KGNW, kritisiert: „Eine solche Krankenhausplanung vom grünen Tisch in Berlin folgt zahlengetriebenen Zielen, die am tatsächlichen Bedarf der Menschen in ihrem Umfeld vorbeigehen.“ Im Mittelpunkt müsse eine verlässliche, gut erreichbare und qualitativ hochwertige Versorgung für die Patientinnen und Patienten in den Städten und auf dem Land stehen. Die neue nordrhein-westfälische Krankenhausplanung nehme die regionalen Erfordernisse in den Blick. Morell plädiert auch deshalb für eine Planung auf Länderebene: „Weil die Länder den jeweiligen Bedarf kennen.“  Im Konsens mit allen Beteiligten wäre so eine Zukunftsplanung möglich.

 

Reformvorschläge der Krankenhausgesellschaft

 

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat bereits entsprechende eigene Reformvorschläge auf den Tisch gelegt. Viele Experten sehen darin eine echte Alternative zu den Ideen der Lauterbach-Kommission. In dem Vorschlag, so die Einschätzung der Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz, erfolge „keine ultimative Festlegung, welche Krankenhausstandorte fusioniert, in medizinisch-pflegerische Zentren umgewandelt oder ganz vom Markt genommen werden müssen“. Mit diesem Konzept würden im Gegenteil Perspektiven für eine auf den regionalen Versorgungsbedarf abgestimmte Krankenhausentwicklung geschaffen.

 

Schaut man sich die Analysen zur Arbeit der Lauterbach-Kommission an, findet man kaum ein positives Fazit. In Niedersachsen plädiert man deshalb zum Beispiel selbstbewusst für eine Übertragung der eigenen Reform auf die Bundesebene. Das novellierte niedersächsische Krankenhausgesetz, so unterstreicht Dr. Hans-Heinrich Aldag, Vorsitzender der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft, habe Vorbildcharakter. Eine „Bundesschablone“ könne den regionalen Gegebenheiten niemals gerecht werden.

 

„Der wesentliche Konstruktionsfehler des Konzepts ist aus meiner Sicht, dass zentralistisch aus Berlin vorgegeben werden soll, wie viele Krankenhäuser es am Bodensee, im Schwarzwald, in Freiburg und in Stuttgart geben darf und welche Leistungen diese Kliniken erbringen dürfen“, kritisierte unter anderem der Vorstandsvorsitzende der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG), Heiner Scheffold.

 


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