Den Innenstädten geht die Luft aus

Wer die City attraktiv erhalten will, muss einen fairen Ausgleich schaffen – zwischen politischem Wunschdenken und wirtschaftlichem Fundament

Ein Blick vom Turm des Stuttgarter Hauptbahnhofs auf die Königstraße. (Foto: Andri Peter / pixelio.de)
Ein Blick vom Turm des Stuttgarter Hauptbahnhofs auf die Königstraße. (Foto: Andri Peter / pixelio.de)

 

Von Wolfgang Molitor

In Stuttgart machen sie die Innenstadt bürgerfreundlich. So jedenfalls tönt es aus dem Rathaus. Diesmal geht es um die „Aufenthaltsqualität“, also um Sitzkiesel und Sitzbänke. Warum dies eine Nachricht wert ist? Weil dafür wieder mal Kurzzeitplätze wegfallen. Was die Frage erlaubt: Wer wird da demnächst wohl sitzen, wenn keiner mehr in die Stadt kommt?

 

Es ist das Leid der Innenstädte, dass Gemeinderäte und Verwaltungen die City attraktiver machen wollen, in dem sie den Kunden vorschreiben, wie sie dahin kommen dürfen. Unverschämt hohe Parkgebühren, unzuverlässiger Personennahverkehr, Tempo-30-Limits und verkehrsberuhigte Zonen sollen dafür sorgen, dass die Innenstädte lebenswerter werden. Dass der Einzelhandel bei diesen Planungen und Beschlüssen eine besondere Rolle spielt, wird niemand behaupten, der hier sein Geld verdienen und Umsatz sichern muss. Die Innenstädte verlieren Kunden.

 

Denn Stuttgart ist überall. Die Kunden-Vertreibung ist politisch gewollt. Egal, ob alteingesessene Betriebe aufgeben oder ins Umland ziehen müssen und nur noch die großen Ketten die Einkaufsmeilen veröden. Ob es sich die wichtige Klientel aus den Gemeinden um die Zentren herum dreimal überlegt, am Wochenende zum Einkaufsbummel in die Großstadt zu fahren. Dass dadurch wenigstens die Händler in den Speckgürteln und kleineren Gemeinden profitieren, ist eine Illusion. Bestenfalls jubiliert der gesichtslose Online-Handel, von dem keine Stadt, kein Stadtleben etwas hat. Die schöne Innenstadt von morgen soll autofrei sein. Generationsübergreifende Ruheorte und Spielinseln bieten. Und kundenfrei sein obendrein.

 

Zahlreiche Demonstrationen an den Haupteinkaufstagen

 

Und ob das alles noch nicht reicht, um dem Innenstadthandel das Leben immer schwerer zu machen, flutet obendrein noch die explodierende Zahl von Demonstrationen die Plätze und Straßen. Rund 2000 sind es im letzten Jahr in Stuttgart gewesen. Andere Großstädte melden ähnliche hohe Zahlen. Meist am Freitag und Samstag. Dazu noch mitten in der City. Also an den Haupteinkaufstagen. Auch hier ist Stuttgart überall. Bei 20 Prozent ist schon im Vorfeld klar, dass sie Konfliktpotenzial haben. Was heißt: Bereitschaftspolizei, Wasserwerfer, Absperrungen und ein langfristiger Imageschaden. 

 

Ein großer Buchhändler in Stuttgart stellt fest: „Entweder kommen die Kunden an diesen Tagen erst gar nicht in die Innenstadt oder sie verlassen fluchtartig das Haus.“  Er schätzt, dass deshalb 500 Kunden am Tag verloren gingen, unterm Strich pro Demo-Tag ein Umsatz von 10.000 Euro.

 

Und ja, das Recht auf Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut. Klar auch, dass Demos nur angemeldet und nicht genehmigt werden müssen. Aber was wäre schlimm daran, sich verstärkt Gedanken zu machen über Zeiten und Orte? 

 

Was bleibt: Vielen Innenstädten geht die Luft aus. Beileibe nicht nur wegen der Autoabgase. Wenn kleinere Traditionsbetriebe schließen müssen, ist dann allgemein das Jammern laut. Doch wer die City attraktiv und lebenswert erhalten will, muss einen fairen Ausgleich schaffen – zwischen politischem Wunschdenken und wirtschaftlichem Fundament. Im Interesse aller. 

 


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