Digitale Schildbürgerstreiche

Beim 49-Euro-Ticket erwartet der Bund vom Bürger, was die Bürokratie bei der Grundsteuerreform selber nicht schafft

Der frühere Verkehrsminister Peter Ramsauer nennt die Pflicht zur Grundsteuererklärung „eine bürokratische Schikane und eine Zumutung für alle betroffenen Eigentümer“. Foto: Michael Namberger/peter-ramsauer.de
Der frühere Verkehrsminister Peter Ramsauer nennt die Pflicht zur Grundsteuererklärung „eine bürokratische Schikane und eine Zumutung für alle betroffenen Eigentümer“. Foto: Michael Namberger/peter-ramsauer.de

 

Von Michael Lehner

 

Wer nur ein Senioren-Handy besitzt, hat Pech gehabt: Die wunderbare Öko-Zukunft mit dem Subventionsticket für den öffentlichen Nahverkehr findet außerhalb Bayerns wohl nur für Eigentümer eines Smartphones statt. Auch dort, wo solche Mini-Computer mangels Netzabdeckung nicht funktionieren. Dafür endete eben die Frist zur Abgabe der neuen Grundsteuererklärung, mit der die Bürger dem Staat bei der Zusammenführung allesamt bereits vorhandener Daten helfen müssen. Unter Androhung saftiger Zwangsgelder.

 

Wer nach Ursachen für Staatsverdrossenheit forscht, muss da nicht lange suchen. Nicht nur die Smartphone-Posse belegt, dass Wohltaten zunehmend mit dem verengten Blick auf ein großstädtisches, von Maximalforderungen ans eigene Wohlbefinden und die Öko-Zukunft geprägtes Publikum getroffen werden. Auch im Kern hat das vermeintliche Umwelt-Ticket fatale Folgen. Jetzt schon ist absehbar, dass der kräftig subventionierte Fahrpreis für eine weitere Ausdünnung des Angebots in ländlicheren Gebieten sorgen wird.

 

Damit verstärkt die Hauptstadt-Verkehrspolitik, was sie zu verhindern vorgibt: Die Dorfbevölkerung wird noch mehr aufs Auto angewiesen sein. Und mit einer Realität konfrontiert, die bisher schon durch Stilllegung von Gleisen und Bahnhöfen geprägt ist. Dort gibt’s dann CO2-Zuschlag auf Benzin und Diesel statt Mobilität auf Steuerzahlers Kosten. Auch Buslinien droht Sparzwang – und damit noch mehr Individualverkehr. Reinhard Sager, Landrat des Kreises Ostholstein und Präsident des Landkreistags, bringt es auf den Punkt: „Was nutzt mir ein 49-Euro-Ticket für einen Bus, der nicht fährt?“

 

Gefahr von Altersdiskriminierung

 

Wenigstens Bayerns Staatsregierung hat erkannt, dass der Smartphone-Zwang als Altersdiskriminierung gelten kann. Sie möchte den Öko-Fahrschein auch in Papierform anbieten. Was jedoch jenseits der weißblauen Grenzen zu Schwierigkeiten führt, weil dort weitgehend nur noch digitale Tickets gelten sollen. „Wir lassen uns nicht gängeln,“ schimpft Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter, „sondern werden das Deutschlandticket so an den Start bringen, dass alle Menschen es nutzen können, auch dann, wenn sie kein Smartphone haben.“

 

Beim Schildbürgerstreich mit der Grundsteuererklärung kommt prominente Kritik ebenfalls aus Bayern: Peter Ramsauer, ein langjähriger Erststimmen-Rekordhalter bei der CSU, hat sich den Papierkrieg im Selbstversuch angetan, nachdem die elektronische Übermittlung an Überlastung des Finanzamt-Servers scheiterte. Der Bundestagsabgeordnete: „Die Pflicht zur Grundsteuererklärung ist eine bürokratische Schikane und eine Zumutung für alle betroffenen Eigentümer. Den Finanzverwaltungen liegen alle Daten vor. Sie sind nur unfähig oder unwillig, diese Daten zu verknüpfen und auszuwerten. Die Frist zur Abgabe sollte nochmals verlängert werden.“

 

Ramsauer und der „Oberhammer“

 

Zum Stichtag 31. Januar 2023 fehlte noch rund ein Drittel der Zwangserklärungen. Und Ramsauer, der als Bundesverkehrsminister in Ungnade fiel, weil er die Umsetzung der Autobahn-Maut für Ausländer verweigerte, sorgte bei „Bild“ auch noch für die wohl peinlichste Enthüllung der Grundsteuerposse: Für ihre eigenen Grundstücke hat sich die Bundesvermögensverwaltung eine Fristverlängerung bis zum 30. September spendiert. Ramsauer nennt das den „Oberhammer“.

 

Am Rande: In Bayern wurde die Abgabefrist für die Grundsteuererklärung auf den letzten Drücker um weitere drei Monate verlängert. Da blieb Ramsauers Kritik wohl nicht ungehört. Dass bis zum Regierungswechsel in Berlin Dorothée Bär als Staatsministerin von der CSU für die Digitalisierung im Bund zuständig war, hat der Kavalier aus dem Chiemgau nicht erwähnt.

 


Lesen Sie auch:

Das 49-Euro-Ticket – hohe Subventionen und so manche Fragen: Nur die Pendler in einem Ballungszentrum können sich über die Entlastung freuen

Das Neun-Euro-Ticket – eine gemischte Bilanz: Bei aller Begeisterung geraten die Schattenseiten leicht aus dem Blick

natur+mensch – der Blog ist eine Initiative der Stiftung natur+mensch

Copyright © 2023 Stiftung natur+mensch - Havixbeck - Alle Rechte vorbehalten.