Der Wald, die Jagd und die Vorurteile

Ideologie statt Wissenschaft: Warum vermeintlich einfache Lösungen weder das Klima noch die Artenvielfalt retten

Ein Rehbock quert einen Waldweg. (Symbolbild: Artur Pawlak)
Ein Rehbock quert einen Waldweg. (Symbolbild: Artur Pawlak)

 

Von Michael Lehner

 

Um den Wald wird gestritten als gäbe es kein Morgen. Es gibt (sehr wenige) Forst-Experten, die sogar den Borkenkäfer für einen Segen halten. Und das Wild fürs wahre Übel, das gegen den Widerstand von Jägern und Tierfreunden entsprechend kurz zu halten sei. Sie wollen, dass wir den Wald in Ruhe lassen, auch im Sterben. Daneben gibt es aber namhafte Professoren, die den Nachweis führen, dass der gern gescholtene Wirtschaftswald sogar fürs Klima besser sei.

 

Selbst die Erderwärmung hat in solchem Zusammenhang zwei Seiten: Im Flachland beschleunigt sie das Schadgeschehen durch Dürreperioden und erhöhte Waldbrandgefahr. In alpinen Zonen wachsen aber zugleich die Bäume bei steigenden Temperaturen schneller und binden so mehr Kohlenstoff. Sogar der allseits erwünschte Waldumbau kommt so voran, weil Laubbäume nun auch in immer größeren Höhen gedeihen. Während die angestammten Nadelhölzer bei zunehmender Erwärmung schwächeln.

 

Professor Rupert Seidl, der diesen Wandel im bayerischen Nationalpark Berchtesgaden untersucht, ist ein Freund solcher Mischwälder. Aber seriös genug, um auch auf Schattenseiten hinzuweisen: Die Funktion des Bergwalds als Lawinenschutz könne womöglich leiden, wenn weniger Fichten und Kiefern wachsen, gibt der Forstökologe zu bedenken. Und weniger Kohlenstoff werde der vom Klimawandel veränderte Bergwald wohl auch speichern.

 

Positive Effekte durch intensive Waldnutzung

 

Seidl gehört zum Forscherteam der größten internationalen Untersuchung der Auswirkungen des Klimawandels auf die Wälder dieser Erde (A climate risk analysis of Earth`s forests in the 21st century). Die Erkenntnisse sind ernüchternd, zum Teil auch überraschend. So sind die positiven Wald-Effekte aufs Klima in den skandinavischen Ländern mit ihrer intensiven Waldnutzung deutlich positiver als in den weitgehend der Natur überlassenen Wäldern der borealen Zone Kanadas und Russlands. Der intensiv genützte Forst speichert unterm Strich mehr vom sonst klimaschädlichen Kohlenstoff als die subarktischen Urwälder. Auch deshalb, weil die Holzkonzerne und private Waldbesitzer deutlich mehr Aufwand treiben, um Waldbrände zu verhindern. Höchst aufschlussreiches Kartenmaterial zur Studie gibt es hier.

 

Wenn sich im grünen Holz längst nicht alle Experten grün sind, liegt das vielfach auch an den Erkenntnissen finnischer Hochschulen: Die haben zum Beispiel festgestellt, dass Nutzforst mit regelmäßigem Holzeinschlag mehr Kohlendioxid bindet als jahrhundertealte Wälder. Weil junge Bäume schneller wachsen als die alten. Zur finnischen Forst-Doktrin gehört auch der Hinweis, dass Bauholz den Schadstoff deutlich länger bindet als tote Bäume, die im Wald verfaulen. Wie es zum Beispiel der deutsche Fernseh-Förster Peter Wohlleben gerne hätte.

 

In den aktuellen Studien kommt auch das Aufreger-Thema der 1970er Jahre so gut wie überhaupt nicht vor: Gemessen am Schaden, den von steigenden Temperaturen begünstigte Käfer und Waldbrand anrichten, spielt der Verbiss durch Rehe und Hirsche nur noch eine allenfalls untergeordnete Rolle. Wenig Beachtung finden so leider auch bemerkenswerte Untersuchungen. Zum Beispiel jene des Forstdirektors Ulrich Maushake, der auf dem bayerischen Truppenübungsplatz Grafenwöhr nachgewiesen hat, dass ein standortgerechter Rotwildbestand und gesunde Bäume kein Gegensatz sein müssen. Sondern auch die Artenvielfalt gewinnt, wenn der Waldbau den Hirschen ausreichend Äsungsflächen freihält.

 

Hamburg plant Europa höchstes Holzhaus

 

Logisch leider auch, dass selbst interessierte Politiker und Verbandsexperten oft vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen. Zum Beispiel bei der Frage, wie das wachsende Interesse am nachwachsenden Baustoff Holz zu bewerten sei. Während Aktivisten im Harz alte Bäume besetzen, um deren Fällung zu verhindern, plant Berlins linksgrüne Stadtregierung Europas größte Holzhaussiedlung und Hamburgs Senat das höchste Holzhaus dieser Erde. Jeweils mit dem Argument, dass kein anderer Baustoff schon während der Produktion das Klima verbessert und dann über die gesamte Nutzungszeit klimaschädlichen Kohlenstoff bindet. Zutreffende Festellungen, die aber Parteifreunde der Holzbau-Fans andernorts nicht dran hindern, die Holzwirtschaft zu verteufeln. Mehr dazu hier.

 

Vorbehalte gegen jegliche Form der Holznutzung (inklusive Jagd) gelten ja auch dem Brennstoff Holz, selbst in der Form von Abfallverwertung über Hackschnitzel und Pellets. Auch dann, wenn moderne Öfen mit höchst effizienter Abgasreinigung zum Einsatz kommen. Und sogar dann, wenn Förster nach den Waldbrand-Katastrophen des letzten Sommers feststellten, dass sich Schadfeuer auf Waldböden mit dicken Totholz-Schichten schneller ausbreiten und nur sehr schwer löschen lassen. Dabei kommt zwar jede Menge klimaschädlicher Kohlenstoff in die Atmosphäre, aber ganz natürlich.

 


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