Eine zweifelhafte Doppelrolle voller Risiken

Die Kandidatur von Nancy Faeser für das Spitzenamt in Wiesbaden wirft Fragen auf, die letztlich der Kanzler beantworten muss

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) (Quelle: nancy-faeser.de Foto: © Peter Jülich)
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) (Quelle: nancy-faeser.de Foto: © Peter Jülich)

 

Von Jost Springensguth

 

Die deutsche Innenministerin hat sich für eine zweifelhafte Doppelrolle entschieden, in der sie mit breiten Angriffsflächen in einen Wahlkampf gehen und gleichzeitig das „Ministerium des Inneren“ im Teilzeitjob leiten will. Am Namen erkennt man, welche Ressorts in einer Regierung als „klassisch“ gelten. Wenn da auf dem Portalschild steht „Ministerium des oder der…“ Inneren, Finanzen, Justiz, Verteidigung sind das mit dem Auswärtigen Amt fünf „Klassiker“ und damit die wichtigsten Bestandteile in der deutschen Bundesregierung. Die anderen sind „nur“ Ministerien für…

 

Bei der Entscheidung der Bundesinnenministerin und ihrer Partei, der SPD, sollte man sich dieser klassischen Gewichtungen vergegenwärtigen, wenn es tatsächlich dabei bleiben soll, dass Nancy Faeser gleichzeitig neben ihrer Amtsführung in ihrer Heimat landespolitisch ins Rennen geht, um Ministerpräsidentin in Wiesbaden zu werden.

 

Das wird weder dem Land noch der Berliner Regierung und auch wahrscheinlich Nancy Faeser guttun. Wenn sie es als Kandidatin für das Amt der Regierungschefin mit der grünen Doppelspitze Angela Dorn und Tarek Al-Wazir sowie dem effektiv-geräuschlos regierenden amtierenden und noch frischen Ministerpräsidenten Boris Rhein von der CDU aufnimmt, wird das eine große Herausforderung. Sie wird im Wahlkampf vor Ort dicke Bretter bohren müssen und kann nur eingeschränkt in Berlin sein. Wenn sie Hessen gewinnen will, braucht sie nun einmal Überzeugungskraft bei weitgehender Präsenz im Lande. Wenn sie dabei bleibt, sich im Falle eines Misserfolgs nicht auf die Oppositionsbank zu setzen, beraubt sie sich mit dieser Ankündigung selbst einen Großteil ihrer Chance, dort Ministerpräsidentin zu werden.

 

Koch und Bouffier haben das in der Fläche weitgehend ländlich und im Rhein-Main-Dreieck industriell geprägte Hessen gerade vorbildlich vorangebracht. Der strukturelle Interessenausgleich zwischen Stadt und Land ist politisch gelungen. Dies zu bewahren und fortzuführen, bildet eine Hypothek, die in der jetzigen Regierung CDU und Grüne aufgenommen wurde und weiter einzulösen ist.

 

Interessenausgleich zwischen gegensätzlichen Strukturen

 

Hessen ist ein Land, das verschiedene Naturräume und unterschiedliche Lebensräume birgt. Da gibt es auf der einen Seite vom Naturpark Kellerwald-Edersee und den Mittelgebirgen bzw. großen Waldgebieten bis zu den großen Weinbauregionen im Westen die typischen ländlichen Regionen. Aufgabe der Landespolitik ist es dort von je her, Gegensätzlichkeiten zusammenzubringen; von Bereichen wie Land- und Forstwirtschaft, Jagd und Naturschutz bis zur Industrie- und Verkehrsentwicklung in der Metropolregion des Rhein-Main-Gebietes. Dazu gehört der Frankfurter Flughafen mit seiner Weiterentwicklung als eines der großen Drehkreuze im internationalen Luftverkehr und seinem sensiblen Umfeld von Land und Natur. Wir erinnern uns an die Auseinandersetzungen der Startbahnerweiterungen. Das veranschaulicht die Breite der Perspektiven, mit der hier Landes- und Strukturpolitik auch in Zukunft betrieben werden muss.  

 

Nancy Faeser beruft sich auf ihre landespolitischen Erfahrungen. Sie ist SPD-Landesvorsitzende, kennt den Landtag als Fraktionsvorsitzende und folgte auf Thorsten Schäfer-Gümbel. Sie ist als seinerzeitige Unterstützerin der glücklosen Andrea Ypsilanti dem linken Parteiflügel zuzuordnen und unterscheidet sich so von den legendären Ministerpräsidenten, die einst das sprichwörtlich als „Rotes Hessen“ geprägte Land führten. Georg August Zinn, Albert Osswald und Holger Börner und mit Unterbrechung danach Hans Eichel haben als profilierte Sozialdemokraten mit ihrer Bodenhaftung und überzeugte Hessen das Land politisch geprägt. Ob es ausgerechnet Nancy Faeser gelingen wird, an diese frühere sozialdemokratische Tradition wieder anzuknüpfen, weckt berechtigte Zweifel. Dazu müsste sie mit voller Kraft auf Dauer in die Landespolitik zurückkehren.

 

Führung des Innenministeriums als Teilzeitjob?

 

Sie hat sich anders entschieden. Hessen ist für sie zunächst als landespolitischer Ausflug mit Rückfahrkarte nach Berlin geplant. Das Innenministerium dort bleibt eine Großbaustelle mit den anspruchsvollen Aufgabenpaketen wie Innere Sicherheit, Terrorismusbekämpfung, Cyberkriminalität und Migration. Gleichzeitig fordern die großen Sicherheitsapparate Verfassungsschutz und Polizei ständige Präsenz – auch von der politischen Führung. Eine Zwischenbilanz fällt für sie zu dieser Zeit nicht gerade glänzend aus – auch wenn der Bundeskanzler das anders sieht. Olaf Scholz gibt seiner Parteifreundin volle Rückendeckung. Er äußert sich sicher, dass Nancy Faeser ihr Ministeramt trotz ihrer Entscheidung für die Spitzenkandidatur mit voller Kraft ausfüllen werde. Aus den Reihen der Koalition kommen fragende und kritische Reaktionen. Konstantin von Notz etwa bemerkt, dass die Führung des Bundesinnenministeriums kein Teilzeitjob sei – schon gar nicht in diesen Zeiten.

 

Norbert Röttgen ist dieses Risiko schon mal eingegangen, als er eine vergleichbare Entscheidung traf. Er war 2012 Umweltminister in Berlin und versuchte gleichzeitig in Nordrhein-Westfalen Ministerpräsident zu werden. Dabei ist er gegen Hannelore Kraft krachend gescheitert. Die Amtsinhaberin blieb mit über 39 Prozent für die SPD und mit den Grünen mit über elf Prozent im Amt. Die Niederlage schmerzt der CDU dort wie auch ihrem Spitzenkandidaten von damals noch heute. Sowohl aus der eigenen Partei heraus als auch in der Wählerreaktion wurde in den Ergebnisanalysen als Hauptgrund für die Niederlage die vorher angekündigte Entscheidung Röttgens festgehalten, nicht auf die Oppositionsbank wechseln zu wollen. Er hatte sich für die Rückkehr in sein Ministeramt in Berlin entschieden. Es folgte die Demütigung durch die Kanzlerin und Parteivorsitzende Angela Merkel, ihm drei Tage nach der Schlappe in Düsseldorf den Kabinettsstuhl vor die Tür zu setzen.

 

Von Scholz wäre das im Falle einer Niederlage Faesers in Wiesbaden nicht zu erwarten. Gleichwohl würde sie Spuren einer Schwächung hinterlassen. Faeser muss also gewinnen und wird dementsprechend engagiert ihren Wahlkampf führen. Da bleibt für diese Zeit wirklich nur Teil ihrer Kraft und Zeit für Berlin übrig.   

 


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