Noch viel zu viele Funklöcher auf dem Lande

Die Mobilfunk-Anbieter schließen die Lücken langsamer als zugesagt
Ein Funkmast irgendwo im Nirgendwo. (Symbolbild: Helmut H. Kroiss)
Ein Funkmast irgendwo im Nirgendwo. (Symbolbild: Helmut H. Kroiss)

 

Von Jürgen Muhl

 

Kurz nach seiner Amtszeit als Bundeswirtschaftsminister setzte sich Sigmar Gabriel Ende 2018 in seiner Heimatstadt Goslar in den Zug. Der frühere Vizekanzler wollte nach Flensburg. Gabriel sollte beim Arbeitgeberverband einen Vortrag halten. Bevor der SPD-Politiker seine Worte zum eigentlichen Thema fand, unterhielt er das Publikum mit einem Reisebericht.

 

„Ab Hamburg ging nichts mehr“, schilderte Gabriel seine Erlebnisse. Was er meinte, waren abgebrochene Telefonate in seinem Zugabteil. „Funkloch auf Funkloch", schimpfte der aufgebrachte Ex-Minister. Die Bahnreise in den Norden avancierte zum kommunikativen Stillstand. Das war vor gut vier Jahren. Vier Jahre, in denen Schleswig-Holstein bei der digitalen Telekommunikation nur schleppend vorangekommen ist. In 50 zumeist kleineren Orten im ländlichen Raum machen Mobilfunklöcher zu schaffen.

 

Das nördlichste Bundesland steht mit diesem Desaster nicht allein. In fast allen Bundesländern gibt es ähnliche Probleme. Größere Ausmaße werden in Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Bayern, Sachsen-Anhalt, im Saarland und in Teilen von Niedersachsen beklagt.

 

Auflagen nicht erfüllt

 

Schuld sind nicht Länder oder Kommunen, sondern Deutschlands Mobilfunk-Netzbetreiber. Sie haben beim Schließen von sogenannten weißen Flecken - also 4G-Funklöchern - große Probleme. Wie aus einem Bericht der Bundesnetzagentur hervorgeht, wird voraussichtlich keiner der drei etablierten Betreiber die Ausbauauflagen erfüllen. Sie hatten sich in der Frequenzauktion von 2019 verpflichtet, bis Ende 2022 in rund 500 bisherigen „weißen Flecken" neue Funkstationen zu bauen. Dem Bericht zufolge ist Telefonica (O2) erst bei 45, die Telekom bei 28 und Vodafone erst bei 12.

 

Noch größer zeichnet sich das Versäumnis beim Neueinsteiger 1&1 ab. Das Internetunternehmen hat vor vier Jahren erstmals Mobilfunk-Frequenzen ersteigert - für die 5G-Technik. Jetzt muss es deutschlandweit ein eigenes Netz aufbauen. Doch von 1000 zugesagten 5G-Basisstationen wurden bis Ende 2022 gerade einmal fünf fertiggestellt. Allein in Schleswig-Holstein sollten es 44 sein - nicht eine wurde bis heute errichtet.

 

Es drohen hohe Bußgelder

 

Jetzt könnte es teuer für die Mobilfunkanbieter werden. Die Bundesnetzagentur will die säumigen Unternehmen zur Kasse bitten. Für jeden Standort, an dem die Zusage nicht erfüllt wurde, kann ein Bußgeld von bis zu 50.000 Euro verhängt werden. Ein Beispiel: Allein die Telekom hatte zum Jahreswechsel 129 von 167 Standorten noch nicht aufgerüstet. Auf rund drei Prozent der Fläche Deutschlands summieren sich die weißen Flecken auf. Hinzu kommt noch eine Fläche von 19 Prozent mit „grauen Flecken", wo nur einer oder zwei der drei Netzbetreiber funken. Echte Funklöcher gibt es auf 0,32 Prozent der Fläche - dort ist nicht einmal 2G zu empfangen. Nach den Auktionsauflagen von 2019 besteht die Verpflichtung, bis Ende 2022 in jedem Bundesland mindestens 98 Prozent der Haushalte mit einem Downloadspeed von mindestens 100 Megabit pro Sekunde abzudecken.

 

Davon sind die Anbieter ein gutes Stück entfernt. Telekom, Vodafone, Telefonica und 1&1 funken SOS. Und die Bundesnetzagentur macht ernst. Sie fordert die Netzbetreiber auf, für jeden verzögerten Standort eine detaillierte Dokumentation vorzulegen. Ob dies zu Konsequenzen führt, bleibt abzuwarten. Selbst bei den deutlichen Verfehlungen von O2 nach der Auktion von 2015 beließ es die Behörde bei Ermahnungen.

 


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