Großstädte stoßen an ihre Grenzen

Der Wohnungsbau in Deutschland kommt nicht wie gewünscht voran. Ein Teil der Lösung könnte die Stärkung des ländlichen Raums sein
Wohnsilos im Rohbau. (Symbolbild: Sergey Egorov)
Wohnsilos im Rohbau. (Symbolbild: Sergey Egorov)

 

Von Jürgen Wermser

 

Warnen und dramatisieren gehört für Interessenverbände zum politischen Geschäft. So auch beim Deutschen Mieterbund. Der Verband warnt seit vielen Jahren immer wieder vor steigenden Kosten und zu wenigen bezahlbaren Angeboten für Menschen, die ein Dach über dem Kopf suchen. Viele hören deshalb schon weg, wenn sie wieder mal mit einem solchen Szenario konfrontiert werden. Doch das dürfte riskant sein. Denn augenscheinlich kommt jetzt vieles für eine gefährliche Mischung zusammen: Steigende Mieten, höhere Zinsen für Baukredite, sinkende Realeinkommen, hohe Energiekosten, allgemeine Inflation, zusätzlicher Bedarf an Wohnraum durch viele Flüchtlinge aus der Ukraine sowie anderen Krisen- und Kriegsgebieten. Diese Liste könnte leider fast beliebig verlängert werden.

 

Laut Mieterbund ist der Mangel an Wohnungen so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr. Bundesweit habe das Wohnungsdefizit zum Jahresende 2022 die Größe von rund 700.000 Wohnungen erreicht, erklärte der Verband und verwies auf eine Studie des Hannoveraner Pestel-Instituts sowie des schleswig-holsteinischen Instituts Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen Kiel (Arge). Dies sei "mehr als die doppelte Jahresproduktion an Wohnungen“.

 

50 Milliarden Euro gefordert

 

Vor diesem Hintergrund fordert ein Bündnis aus Mieterbund und Baugewerkschaft sowie Sozial- und Branchenverbänden Bund und Länder auf, 50 Milliarden Euro bis zum Jahr 2025 für den sozialen Wohnungsbau aufzubringen. Bundesweit gebe es derzeit noch rund 1,1 Millionen Sozialwohnungen, berichtete das Bündnis. Ende der 1980er Jahre seien es noch rund vier Millionen gewesen. Mehr als elf Millionen Mieterhaushalte hätten in Deutschland Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein und damit auf eine Sozialwohnung. Zudem fallen jedes Jahr 43.000 Wohnungen aus der Sozialbindung, während nur ein Bruchteil durch neue Sozialwohnungen ersetzt wird. Das Bündnis forderte auch Kostensenkungen und Planungsbeschleunigung. So sollte die Mehrwertsteuer für den sozialen Wohnungsbau von 19 auf sieben Prozent verringert werden.

 

Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ist das reale Bauvolumen 2022 erstmals seit Jahren gesunken, um rund zwei Prozent. Die Zahl der neu gebauten Wohnungen dürfte auf rund 280.000 gefallen sein, schätzt der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes.

 

Auch hier gilt: die derzeitige Koalition aus SPD, Grünen und FDP ist für die aktuelle Lage nicht allein verantwortlich. Dafür ist sie erst zu kurz im Amt. Doch der Hinweis auf Fehler und Versäumnisse früherer Bundesregierungen nützt den betroffenen Menschen wenig. Sie blicken zu Recht auf die Politiker und Akteure, die es nun richten sollen. Und die scheinen momentan mehr zu versprechen als sie halten können. Insgesamt 400.000 neue Wohnungen pro Jahr sollen es nach dem Willen der Koalition werden - ein Ziel, das Kanzler Scholz erst im Herbst noch einmal bekräftigt hatte, als er 187 Maßnahmen als Ergebnis eines von der Regierung initiierten „Bündnis bezahlbarer Wohnraum" präsentiert hatte, an dem sich Bauwirtschaft, Gewerkschaften, Länder, Kommunen und weitere Verbände beteiligen.

 

Ministerin: Geld allein reicht nicht

 

Bauministerin Klara Geywitz setzt dabei auf weitere Förderung - aber nicht allein durch zusätzliche Gelder. Die Bautätigkeit sei schon in den vergangenen Jahren an ihre Grenzen gekommen: Deshalb könne man nicht immer nur mehr Geld in das System geben, weil dies bei begrenzten Kapazitäten nur die Preise weiter anheizen würde, sagte sie in der ARD. Man müsse vielmehr die Produktivität steigern, um die Kapazitäten im Bausektor auszubauen. Chancen sieht Geywitz in der weiteren Digitalisierung der Branche. Außerdem arbeite die Bundesregierung daran, Genehmigungs- und Planungsverfahren zu vereinfachen.

 

Ob all dies hilft? Man mag es hoffen aber kaum glauben. Vor allem in den Großstädten stößt der Wohnungsbau immer mehr an natürliche Grenzen: Zu wenig Platz und zu hohe Kosten. Für den ländlichen Raum könnte dies eine Chance sein, sein vorhandenes Raumangebot als Teil der Lösung einzubringen - sofern die Politik jenseits der Metropolen endlich stärker ihre Hausaufgaben macht. Konkret geht es dabei um den forcierten Ausbau der zentralen Säulen einer guten öffentlichen Infrastruktur: zeitgerechte Verkehrsanbindung, schnelles Internet sowie passende soziale, medizinische und bildungsmäßige Angebote. Hier müssen Barrieren überwunden werden - nicht zuletzt in den Köpfen vieler Entscheider, deren Vorstellungskraft vom guten Wohnen und Leben an den Großstadtgrenzen endet. Gelingt dies, hätten alle Seiten davon die Vorteile: Der soziale Druck in den städtischen Wohnungsmärkten würde sinken, und der ländliche Raum könnte seine Stärken in Sachen Lebensqualität noch besser zur Geltung bringen.

 


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