Ohne Landwirtschaft funktioniert der ländliche Raum nicht

Agravis-Chef sieht mit Sorge, dass die Politik bei Fragen der Ernährungssicherung und Nachhaltigkeit zu wenig in marktwirtschaftlichen Kategorien denkt

Ein Mähdrescher im Einsatz. (Foto: Erich Keppler / pixelio.de)
Ein Mähdrescher im Einsatz. (Foto: Erich Keppler / pixelio.de)

 

Von Wolfgang Kleideiter

 

Dirk Köckler kommt vom Hof, hat Landwirtschaft gelernt und Agrarwissenschaften studiert. Auch heute noch lebt der Vorstandsvorsitzende der Agravis Raiffeisen AG mit seiner Familie dort, wo das große deutsche Agrarhandelsunternehmen seine vielen Wurzeln hat. „Landwirtschaft und Agrarhandel sind Stützen des ländlichen Raumes“, sagt Köckler. 

 

Der Steuermann des Konzerns ist davon überzeugt, dass der ländliche Raum ohne eine nachhaltige Landwirtschaft im ehrlichen Sinne nicht funktionieren wird. „Ich kann und ich möchte mir den ländlichen Raum in Deutschland nicht ohne Landwirtschaft vorstellen.“ Ein klares Bekenntnis, das Köckler kürzlich nicht nur beim Treffen mit Fachmedien, sondern auch auf der Hauptversammlung des Unternehmens vor rund 600 Aktionären und Gästen ablegte. 

 

Auch wenn der genossenschaftliche Agrarhändler mit über 6600 Beschäftigten im Jahr 2022 rund 9,4 Mrd. Euro umgesetzt hat, steht Gewinnmaximierung nicht auf der Agenda. Im weit verzweigten Konzern mit Hauptsitz in Münster betont man vielmehr eine Mitverantwortung für die Weiterentwicklung und Attraktivitätssteigerung des ländlichen Raums und den Erhalt genossenschaftlicher Strukturen.

 

In der Gesellschaft ist auf diesem Gebiet mehr denn je Vermittlungs- und Aufklärungsarbeit gefragt. „Ohne Konfrontationen, ohne Parallelwelten zwischen urban und ländlich, aber mit dem klaren Fokus auf unsere Kinder und Enkel in der Landwirtschaft und im vor- und nachgelagerten Bereich“, sagt Dirk Köckler.

 

Dr. Dirk Köckler (Foto: AGRAVIS Raiffeisen AG)
Dr. Dirk Köckler (Foto: AGRAVIS Raiffeisen AG)

Einfach ist dies angesichts politisch und auch ideologisch geprägter Bedingungen nicht. Kritisch sieht der Agravis-Chef zum Beispiel die in der EU erdachte Kombination von Green Deal und Taxonomie. Das EU-weit gültige System zur Klassifizierung von nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten wird in der breiten Öffentlichkeit kaum richtig wahrgenommen. Doch schon länger stellt sich in vielen Branchen die Frage, ob Banken nach den strengen Regeln der Taxonomie schon bald nur noch das finanzieren werden, was ökologisch und nachhaltig ist. Die Einordnung der Agrarbranche als grüner und damit von Zinsaufschlägen bzw. Finanzierungsabsagen betroffener Bereich ist laut Köckler noch offen. Eine Regulatorik mit entsprechendem Mehraufwand sei aber zu erwarten. „Die Taxonomie darf nicht zu Wettbewerbsverzerrung und Benachteiligung führen“, fordert der Agravis-Chef.

 

Blick nach Berlin und Brüssel

 

Im Fokus hat man bei der Agravis ebenso die politische Arbeit zur Klimaneutralität in Brüssel und Berlin. Die Klimaneutralität sei richtig für eine lebenswerte Zukunft unserer Kinder und Enkel, sagt auch Köckler. „Mit dem Ausrufen und Postulieren einer 30-Prozent-Öko-Landwirtschaft, einem 80-Prozent-Abbauziel von Pflanzenschutz, einem Ende von Biodiesel und Bioethanol können Landwirtschaft und Agrarhandel allerdings nichts anfangen.“ Eine pauschale Verbotspolitik und Reglementierung, eine ideologisch geprägte Klientelpolitik helfe nicht weiter. „Statt Verbotspolitik bieten wir Marktwirtschaft mit innovativ-nachhaltigen Lösungen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft.“

 

Deutlich kritisiert der Vorstandsvorsitzende die Bundesregierung für die Tierhaltungspolitik, die vor allem von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir verantwortet wird. „Beim Aussitzen von Rahmenbedingungen zur Nutztierhaltung bei Schweinen blutet die Veredlung in Deutschland aus“, beschreibt Köckler die fatalen Folgen des Stillstands. Dabei könnten Wirtschaftlichkeit, Tierwohl und an der Kasse bezahlte Verbraucherwünsche nachhaltig umgesetzt werden. 

 

„Fehlende Sachorientierung für unsere Branche“

 

„Kampagnen gegen Nutztierhaltung in Gänze, bei grober Missachtung von Persönlichkeitsrechten Einzelner, die Außerachtlassung internationaler Rohstoffkreisläufe wie bei Sojaschrot und zusätzliche Kosten und Aufwendungen durch nicht sachorientierte, sondern ideologische Handlungsvorgaben zeugen von der Taxonomie bis zur Einschränkung der Flächennutzung von fehlender Sachorientierung für unsere Branche und unsere wirtschaftliche Bedeutung für dieses Land“, bilanziert der Agravis-Chef. Er appelliert an die Politik, an ihre Verantwortung für die vielen familiären Existenzen, für den ländlichen Raum und für die heimische Nahrungsmittelproduktion zu denken. Köckler: „Abhängigkeiten wie bei der Wärmeversorgung sollten wir uns bei der Ernährung nicht leisten.“

 


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