Warnstreik bei der Bahn und harte Zeiten für die Ampelkoalition

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche

 

Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,

 

in der kommenden Woche wird es für Pendler aus dem ländlichen Raum deutlich schwieriger, zu ihren Arbeitsplätzen in den Städten zu kommen. Die Ankündigung der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), 50 Stunden lang die Deutsche Bahn zu bestreiken, ist kaum nachvollziehbar. Die Auswirkungen auf die Reisenden sind beträchtlich, ebenso die wirtschaftlichen Folgen für viele Unternehmen sowie das Bemühen von Klimapolitikern, die Bahn als verlässliche Alternative zum Pkw zu proklamieren. 

 

Jürgen Wermser
Jürgen Wermser

Natürlich ist es das gute Recht einer Gewerkschaft, in ihrer Branche für angemessene Tarife zu kämpfen. Dazu kann auch ein Streik gehören. Beim jetzigen Bahn-Warnstreik fällt es jedoch schwer, an eine ganz normale Tarifauseinandersetzung zu denken. Immerhin umfasst die Offerte des Staatskonzerns rund zehn Prozent mehr Lohn für untere und mittlere Einkommen, acht Prozent mehr Geld für höhere Einkommen sowie zusätzlich 2850 Euro Inflationsausgleich für alle. Auch kam die Bahn der EVG zuletzt bei der Verankerung des Mindestlohns entgegen. Doch all dies reicht der EVG nicht. Augenscheinlich geht es ihr auch um eine stärkere Profilierung gegenüber der konkurrierenden Gewerkschaft der Lokführer (GdL), um neue Mitglieder zu gewinnen. Die Zeche für einen solchen Machtkampf zahlen die Reisenden. Man kann nur hoffen, dass die Situation nicht weiter eskaliert. 

 

Auch in der Flüchtlingsfrage droht den Bürgern weiter Ungemach. Der in dieser Woche angestrebte Durchbruch in der Finanzierung blieb aus. Völlig zu Recht kritisieren Kommunalpolitiker auch aus den Reihen der Grünen, dass sie bei der Runde der Ministerpräsidenten mit dem Kanzler nicht mit am Tisch gesessen haben. Natürlich, vom Protokoll her gehören sie nicht dazu. Doch politisch sind sie die Hauptbetroffenen von den Entscheidungen, die Bund und Länder in der Flüchtlingsfrage treffen. Deshalb muss ihre Stimme stärker gehört werden. Bislang ist dies auf Bundesebene nur unzureichend geschehen. Denn die „Einigung“, die erzielt wurde, verschafft bestenfalls eine kleine Atempause. Entsprechend groß ist die Enttäuschung bei den meisten Ministerpräsidenten nach Abschluss des Treffens.

 

Denn gelöst ist das dringende Problem in keiner Weise. Weder finanziell noch strukturell sind die Weichen verlässlich neu gestellt worden. Die Bürger dürfen sich deshalb schon auf eine Fortsetzung des unseligen Streits einstellen. Das ist fatal. Nicht nur für die betroffenen Flüchtlinge, die hier in Deutschland auf eine bessere Zukunft hoffen, sondern auch für die Bürger in teils stark überlasteten Dörfern und kleineren Städten. Hier wird ein gefährlicher Nährboden von Enttäuschung und Verdrossenheit mit den politischen Zuständen bereitet. Nur eine Partei darf sich leider uneingeschränkt über die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels freuen: die AfD. Die Rechtsradikalen profitieren im gleichen Maße, wie den demokratischen Parteien die Flüchtlingslage aus den Händen zu gleiten droht. Nicht nur für die Ampelkoalition, sondern für alle Bürger ist dies ein heikle Entwicklung. Denn sie untergräbt Vertrauen in die Leistungsfähigkeit unserer staatlichen Organe.

 

Nun wird eine Arbeitsgruppe gebildet, die bis zur nächsten Ministerpräsidentenkonferenz im November Vorschläge entwickeln soll. Ziel ist die langfristige Entlastung von Ländern und Kommunen. All dies zeigt, wie groß die Ratlosigkeit ist. Die politischen Fronten sind festgefahren, während gleichzeitig der Druck auf die Kommunen steigt. Gewiss, Geld allein ist keine Lösung, zumal hier in den kommenden Jahren die Spielräume enger werden. So geht der Arbeitskreis Steuerschätzung in seinem neuesten Bericht davon aus, dass der Bund bis 2027 mit mehr als 70 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen rechnen muss. Dieses Minus wird sich zwangsläufig auch in den Finanzbeziehungen mit Ländern und Kommunen auswirken. Umso wichtiger, dass es dort fair und verlässlich zugeht.

 

Innenminister Nancy Faeser sagte kürzlich, sie sehe ein „historisches Momentum“ für die EU-Flüchtlingspolitik. So habe sich die Ampelkoalition darauf verständigt, Asylverfahren an der europäischen Außengrenze anzustreben. Die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb Europas müsse besser werden. Wer wollte ihr da widersprechen? Das Problem ist nur: Derartige Ankündigung hat es in der Vergangenheit regelmäßig und dutzendweise gegeben, ohne dass greifbare Ergebnisse erzielt wurden. Auch Faeser hat bislang in der EU-Politik außer neuerdings schönen Worten nichts konkret vorangebracht. Für eine Politikerin, die nach der nächsten Hessenwahl Ministerpräsidentin werden möchte, ist dies keine gute Empfehlung.

 

Niemand sollte angesichts der Fülle und Komplexität an Themen auf politische Wunder hoffen. Aber den ernsthaften Willen, die Probleme vor Ort dauerhaft und verlässlich zu lösen, dürfen die Bürger von ihrer Bundesregierung schon erwarten. Doch die wirkt zunehmend intern zerstritten und nur noch beschränkt handlungsfähig, allen selbstzufriedenen Erklärungen des Kanzlers zum Trotz.

 

Auch für Robert Habeck war es keine gute Woche. Auf einer gemeinsamen Sitzung der Bundestagsausschüsse für Wirtschaft sowie Klimaschutz und Energie musste sich der Grünen-Minister in der sogenannten Trauzeugen-Affäre den kritischen Fragen der Abgeordneten stellen. Das Ergebnis ist inhaltlich dürftig gewesen. Neue Erkenntnisse konnte Habeck nicht liefern. Stattdessen hielt der Minister in Nibelungentreue an seinem umstrittenen Staatssekretär Patrick Graichen fest. 

 

Habeck scheint den Ernst der Lage noch nicht erkannt zu haben. Er nennt die Beteiligung Graichens am Auswahlverfahren für die Besetzung eines lukrativen Postens einen Fehler, weil sich auch ein guter Freund des Staatssekretärs beworben hatte. Doch mit dem Wort „Fehler“ wird der Vorgang letztlich nur verharmlost. Hier steht der Eindruck von Vetternwirtschaft im Raum. Das ist kein Kavaliersdelikt. Politisch ist der Schaden beträchtlich – nicht nur für Habeck als Person und für die Grünen als Partei, sondern für die politische Klasse insgesamt. Gerade ein Minister, der gern mit hohen moralischen Ansprüchen Politik betreibt, sollte dies wissen. Viele Bürger werden sich insgeheim fragen, wie es denn in anderen Bereichen zugeht, wenn selbst Habeck eine derartige Mauschelei nicht hart sanktioniert. Insofern ist der Vorgang noch längst nicht abgeschlossen. Die Opposition wird den Vorgang weiter in der Öffentlichkeit halten. Und sie tut gut daran: im eigenen Interesse, aber auch der politischen Kultur insgesamt. 

 

Inwieweit sich all dies auf die kommenden Wahlen auswirkt, wird man sehen. Einen ersten Hinweis könnte bereits der Urnengang in Bremen geben, auf den wir alle an diesem Wochenende mit Spannung warten. Sie können bald mehr dazu in unserem Politblog lesen.

 

Mit den besten Grüßen und Wünschen für eine gute, positiv verlaufende Woche verbleibe ich

Ihr

Jürgen Wermser

Redaktionsleitung/Koordination

 

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