Faesers neues Demokratiekonzept: „One man, two votes“

Die doppelte Staatsbürgerschaft bedeutet auch doppeltes Wahlrecht – und das ist höchst undemokratisch

Zwei Hände, die zwei Ausweisdokumente mit der Aufschrift „Passport“ in die Höhe halten. (Symbolbild: iStock/valiantsin suprunovich)
Zwei Hände, die zwei Ausweisdokumente mit der Aufschrift „Passport“ in die Höhe halten. (Symbolbild: iStock/valiantsin suprunovich)

 

Von Hugo Müller-Vogg

 

In Deutschland lebende Ausländer, die sich partout nicht eindeutig durch Einbürgerung zu unserem Land bekennen wollen, soll nach dem Willen von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) die Qual der Wahl erspart werden. Sie sollen den deutschen Pass eben zusätzlich bekommen. Wer hier schon dreißig oder mehr Jahre in seiner Parallelwelt lebt und sich nie die Mühe gemacht hat, Deutsch zu lernen, darf ebenfalls auf seine Einbürgerung hoffen.

 

Die SPD wills möglich machen, und Kanzler Olaf Scholz ist – wieder einmal – berührt bei der Aussicht auf die vielen Neu-Deutschen. Die Grünen, die am liebsten jedem, der sich hier aufhält, die deutsche Staatsbürgerschaft verleihen würden, sind natürlich begeistert dabei. Immerhin gibt es beim kleinsten Ampel-Partner, der FDP, Bedenken gegen diesen Kurs. Ohnehin sollte man meinen, die Regierung täte gut daran, sich auf die derzeit drängendsten Herausforderungen zu konzentrieren – etwa auf den Kampf gegen die Inflation oder die Gaspreisbremse. Der Vorstoß für eine erleichterte Einbürgerung und den Doppelpass für nahezu jeden, der ihn haben will, folgt aus der krachend gescheiterten, rot-grünen Multikulti-Ideologie. Geblieben ist als nostalgischer Restposten die Forderung nach der doppelten Staatsbürgerschaft.

 

Wer sich nicht festlegen will, welches Land „sein Land“ ist, wer sich mit jedem seiner beiden Pässe die Rosinen herauspicken will, die jeder Staat zu bieten hat, der soll zwei Pässe haben dürfen. Der Ausweis als praktischer Gebrauchsgegenstand – Zweithandy, Zweitauto, Zweitpass. Angeblich soll der Doppelpass die Integration erleichtern, selbst derer, die sich gar nicht integrieren wollen. Eigentlich sagt einem der gesunde Menschenverstand, dass man zum Beispiel nicht Recep Erdogan und Frank-Walter Steinmeier zugleich als „seinen“ Präsidenten ansehen kann. Aber Logik und Ideologie sind halt nicht zwei Seiten derselben Medaille.

 

Ein nicht unwichtiger Aspekt der doppelten Staatsbürgerschaft wird von Sozialdemokraten und Grünen weitgehend ausgeklammert: Zwei Pässe bedeuten auch zwei Stimmen – jeweils eine bei Wahlen in der alten wie in der neuen Heimat. Das ist keine demokratietheoretische Fingerübung, sondern bereits Realität. EU-Bürger können in der Regel in ihrer alten wie in ihrer neuen Heimat abstimmen – ganz legal. Das urdemokratische Prinzip „One man, one vote“ wird für privilegierte Doppelstaatler ausgehebelt. Für sie gilt: One man, two votes.

 

Die neue privilegierte Wähler-Oberschicht

 

Dabei ist ein doppeltes Wahlrecht höchst undemokratisch. Warum darf ein hier lebender Deutsch-Italiener dank seiner zwei Pässe das italienische Parlament ebenso mitwählen wie den deutschen Bundestag? Dieser Wähler kann für diejenige italienische Partei stimmen, die am wenigsten sparen will, und bei uns für eine der Parteien, die südeuropäischen Schlendrian gerne mit Euro-Bonds finanzieren wollen. Was privilegiert diesen Deutsch-Italiener eigentlich, in Europa mehr politischen Einfluss zu haben als ein „einfacher“ Deutscher mit nur einem Pass und nur einer Stimme?

 

Das doppelte Wahlrecht für noch mehr Doppel-Staatsbürger hätte, wenn man es zu Ende denkt, einschneidende Folgen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes besaßen im Jahr 2011 mehr als vier Millionen Menschen neben der deutschen noch eine weitere Staatsangehörigkeit Inzwischen dürfte diese Zahl weiter angestiegen sein, da der Zugang zum deutschen Zweitpass in den vergangenen zehn Jahren bereits auf verschiedene Weise erleichtert worden ist.

 

Wenn wir den Zweitpass nach rot-grünen Vorstellungen mehr oder weniger allen Menschen mit „Migrationshintergrund“ anbieten, können daraus schnell zehn oder 15 Millionen Doppelstaatler werden. Ganz gleich, ob diese sich dann als Griechen oder Türken „in Deutschland“ oder als griechisch- oder türkischstämmige Deutsche fühlen, wären sie die neue privilegierte Wähler-Oberschicht: mit zwei Stimmen statt nur der einen für „Nur-Deutsche.

 

Zwei Pässe und zwei Stimmen ist unter dem Aspekt der Demokratie schon problematisch genug. Es lässt sich leicht ausmalen, was es bedeuten könnte, wenn zehn oder fünfzehn Millionen Pass-Deutsche stets in zwei Staaten die Politik mitbestimmen. Besonders problematisch würde das bei der größten hier lebenden Bevölkerungsgruppe mit ausländischen Wurzeln: den Türken. Jeder türkische Fahnen schwingende, „Erdogan, Erdogan“ skandierende Türke ist der lebende Beweis für die zerplatzenden Hoffnungen auf eine multikulturelle Idylle. Aber nach Faesers Willen sollen diese Türken auch mitbestimmen, wer in Deutschland regiert.

 

Möglich, dass SPD und Grüne ganz nüchtern auf neue Wähler spekulieren.

 

Niemand kann beziffern, wie viele Milliarden in den letzten drei, vier Jahrzehnten in die Integration von türkischstämmigen Bürgern geflossen sind, wie viele Lehrerinnen und Lehrer sich abgemüht haben, den Kindern von Zuwanderern die deutsche Sprache und Grundkenntnisse über die Werte einer freien, demokratischen Gesellschaft beizubringen, wie viele Deutsche sich ehrenamtlich und in bester Absicht darum bemüht haben, den Zuwanderern hier das Eingewöhnen zu erleichtern.

 

Wer ein ehrliches Fazit zieht, muss ernüchternd zugeben: Sehr viele Türken sind formal integriert, leben und arbeiten hier und halten sich an die Gesetze. Doch von ihrer Mentalität her sind sie Türken und Muslime geblieben. Sie schätzen unsere wirtschaftlichen Chancen und die Großzügigkeit unseres Sozialsystems. Doch die offene, freiheitliche Gesellschaft ist ihnen ebenso fremd geblieben wie gleichgültig.

 

Dass in Deutschland lebende Türken zahlreicher für Erdogan stimmen als ihre am Bosporus lebenden Landleute sagt alles über ihre Einstellung gegenüber dem freiheitlichen Rechtsstaat. Und sie sollen jetzt auch hier wählen dürfen, falls sie einen auf dem Silbertablett servierten Pass mit dem Bundesadler annehmen?

 

Gut möglich, dass SPD und Grüne ganz nüchtern darauf spekulieren, dass diese neuen 50-Prozent-Deutschen eines Tages bei ihnen das Kreuz machen - als Dankeschön für ihre Vorzugsbehandlung. Die Freien Demokraten hingegen scheinen davon auszugehen, dass die Vorstellung, wer Deutscher werden wolle, solle sich auch unmissverständlich zu Deutschland bekennen, beim Wahlvolk weit verbreitet ist.

 

Das preußische Drei-Klassen-Wahlrecht wurde 1918 zu Recht als zutiefst undemokratisch abgeschafft, weil es der Oberschicht mit viel Geld einen ungebührlich großen politischen Einfluss garantierte. Die rot-grünen Vorkämpfer für den Doppelpass halten es für den Inbegriff des Fortschritts, all denen zu überproportional politischem Einfluss zu verhelfen, die dank ihrer Abstammung über zwei Pässe verfügen, sich aber nicht hundertprozentig zu Deutschland bekennen wollen. Der einfache „Bio-Deutsche“ mit nur einer Stimme hälts da wohl mit Friedrich Schiller - und „wendet sich mit Grausen. Nur: „forteilen“ kann er halt nicht.

 


Unser Gastautor

 

Dr. Hugo Müller-Vogg, ehemaliger F.A.Z.-Herausgeber, zählt zu den erfahrenen Beobachtern des Berliner Politikbetriebes. Als Publizist und Autor zahlreicher Bücher analysiert und kommentiert er Politik und Gesellschaft. www.hugo-mueller-vogg.de und www.facebook.com/mueller-vogg


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