Heiße Zeiten – auch im Konflikt Stadt-Land

Der Klimawandel ist zur bitteren Realität geworden: So warm wie aktuell zwischen Januar und Oktober war es seit 1881 noch nie

Ein Thermometer, das 39°C anzeigt. (Symbolbild: Gerd Altmann)
Ein Thermometer, das 39°C anzeigt. (Symbolbild: Gerd Altmann)

 

Von Jürgen Wermser

 

Seit über 140 Jahren werden in Deutschland Wetteraufzeichnungen gemacht. Doch so warm wie aktuell zwischen Januar und Oktober war es seit 1881 noch nie - so jedenfalls der Deutsche Wetterdienst (DWD). Die einen mag es freuen, allen voran Urlauber und fern der Natur lebende Großstädter. Sie können ihre Freizeit voller Sonne noch länger genießen. Doch auch bei ihnen dürften viele mittlerweile ein eher mulmiges Gefühl bekommen. Zu offensichtlich sind die Veränderungen der letzten Jahre, zu bedrohlich die sich immer stärker abzeichnenden Klimabelastungen.

 

Dass sich unsere Lebensbedingungen gerade tiefgreifend zu verändern beginnen, kann nicht mehr ernsthaft bezweifelt werden. Der Klimawandel ist zur bitteren Realität geworden und kein bloßes Palaverthema für aufgeregte Talkshows oder Mammutkonferenzen wie jetzt in Ägypten. Gewiss, noch sind die meteorologischen Einschläge in den südlichen Gefilden der Erde größer als bei uns in Mitteleuropa. Doch auch hier wird sich jeder auf bislang unbekannte und tiefgreifende Veränderungen einstellen müssen. Diverse Unwetter und Hochwasser mit verheerenden Folgen zeigen, wo auch in Deutschland und Mitteleuropa die Reise hingeht.

 

Energiewende führt zur gesellschaftlichen Belastungsprobe

 

Die jetzt von der Politik eingeleitete Energiewende trägt dem Rechnung. Für den Wohlstand und den Zusammenhalt in Deutschland wird dieser überfällige Kurswechsel jedoch zur Belastungsprobe. So manches Produkt des täglichen Bedarfs droht für ärmere Bürger nahezu unerschwinglich zu werden, und auch das Verhältnis zwischen Stadt und ländlichen Räumen wird noch heikler. Denn viele staatliche Hilfen im Kampf gegen Emissionen kommen momentan vor allem Menschen in Ballungsräumen zugute - Stichworte 49-Euro Ticket und Förderung des ÖPNV. In dünner besiedelten Gebieten sind die Menschen dagegen weiterhin stark auf das Auto angewiesen, dessen Nutzung kaum noch politischen Rückhalt genießt. Entsprechend steigen die Kosten, was viele Pendler und Familien mit Kindern an die finanzielle Schmerzgrenze führt.

 

Doch damit nicht genug: Während Großstädter preiswertere Busse und Bahnen erhalten und zunehmend grüne Energie ins Haus bekommen, müssen Landbewohner die ökologische Kehrseite der Energiewende erdulden: Eine oft durch gigantische Windräder, Stromtrassen und Solarparks verschandelte Landschaft, vom möglichen Bau neuer Bahntrassen wie etwa zwischen Hamburg und Hannover ganz zu schweigen. Dies geht einher mit strengeren Vorschriften für Landwirte etwa bei Düngung und in der Tierhaltung. Da braut sich Unmut und Widerstand in der ländlichen Bevölkerung zusammen, wenn die Lastenverteilung nicht in jedem Einzelfall plausibel begründet und fair geregelt wird.

 

Umfrage bestätigt Konflikte

 

Ein Indiz für diese Gefahr ist eine aktuelle Umfrage von infratest dimap im Auftrag der ARD. Ihr zufolge sehen 37 Prozent der Befragten große oder sehr große Konflikte zwischen Stadt und Land. Hinzu die Einschätzung oder Erwartung großer Konflikte etwa zwischen Arm und Reich (76 Prozent) zwischen Befürwortern und Gegnern von Corona-Maßnahmen (72 Prozent) sowie zwischen Einheimischen und Zugewanderten (62 Prozent). All dies sind Konfliktfelder, die sich gelegentlich überlagern und damit noch durch Kumulation zusätzlich verschärfen können.

 

Fazit: Der ländliche Raum steht angesichts des Klimawandels unter massivem Druck. Gleichzeitig soll er nach Meinung vieler großstädtisch geprägter Entscheider und Experten politisch „brav“ im Dienste von Ballungsräumen einseitig ökologische Lasten tragen. Landwirte, Tourismusexperten und Normalbürger kann diese Arroganz an den Rand der Verzweiflung treiben. Daher sollten sich die Regierungen in Bund und Ländern hier mit viel Augenmaß und Fingerspitzengefühl um für alle Seiten faire Lösungen bemühen. Denn klar ist: Nur gemeinsam können Stadt und Land effektiv den Klimawandel bekämpfen - eine Aufgabe von herausragender Bedeutung für alle, egal ob sie in der Stadt oder auf dem Land leben.

 


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