Landkreise vermissen die Unterstützung

Unterstützung aus Berlin und nicht Bevormundung und Besserwisserei wurde auf dem Landkreistag gefordert

Die Schinkel-Kirche im brandenburgischen Neuhardenberg war in diesem Jahr Austragungsort der Jahrestagung des Deutschen Landkreistages. (Foto: iStock/Hermsdorf)
Die Schinkel-Kirche im brandenburgischen Neuhardenberg war in diesem Jahr Austragungsort der Jahrestagung des Deutschen Landkreistages. (Foto: iStock/Hermsdorf)

 

Von Wolfgang Kleideiter

 

Bundesminister Cem Özdemir zieht gelegentlich alle Register, um die Rolle eines Fürsprechers für den ländlichen Raum auszufüllen. In der klassizistischen Schinkel-Kirche in Neuhardenberg läutete er vor wenigen Tagen als Gast des Deutschen Landkreistages eine „Ära des ländlichen Raums“ ein. Die nächsten Jahrzehnte, so der Minister für Ernährung und Landwirtschaft, würden als solche gesehen, wenn man es „gemeinsam richtig anpackt“.

 

Der ländliche Raum, so Özdemir, sei kein Heimatmuseum und auch kein Entlastungsraum für die Ballungsgebiete, es habe seine eigenen, für das ganze Land elementaren Schätze und es habe Menschen mit Ideen, Gestaltungswillen, Verantwortungsbewusstsein und Innovationsgeist. Schöne Worte, schöne Aussichten.

 

Doch die Realität weicht leider in vielen Punkten vom prunkvollen Zukunftsgemälde des Grünen ab, wie die Landräte und Kreistagsmitglieder ein weiteres Mal deutlich machten. Sie stehen für immerhin drei Viertel der kommunalen Aufgabenträger, rund 96 Prozent der Fläche und 56 Millionen Einwohner Deutschlands. In der Bundeshauptstadt hat sich dies aber noch nicht überall herumgesprochen.

 

„Bevormundung und Besserwisserei“

 

Landrat Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistages, legte in Neuhardenberg den Finger in die Wunde: „Eine verantwortungsbewusste und gestaltungswillige kommunale Selbstverwaltung muss auch von Berlin aus unterstützt werden“, forderte er. „Das beginnt … mit Respekt. Was wir hingegen nicht brauchen: Bevormundung und Besserwisserei.“

 

Sager, seit über 20 Jahren Landrat im Kreis Ostholstein, sieht wie seine Kolleginnen und Kollegen noch immer keinen „wirklichen Ruck“ für eine auskömmliche Steuerausstattung der Landkreise, Städte und Gemeinden. Der Bund setze im Gegenteil immer mehr auf Förderprogramme und Modellprojekte, statt die Kommunen an der Basis – „und zwar bei der eigenen Finanzausstattung“ – zu kräftigen. Immer wieder würden in Berlin Strukturdiskussionen geführt, bei denen es im Kern stets um eine Schwächung der kommunalen Ebene gehe.

 

Absicherung des öffentlichen Nahverkehrs statt 9-Euro-Ticket

 

So ließ Sager am 9-Euro-Ticket – „einem leuchtenden Vorhaben als Ausweis politischer Gestaltungsfähigkeit“ - kein gutes Haar. „Die 2,5 Milliarden Euro, die in diesen drei Monaten dafür ausgegeben worden sind, hätten besser in Taktung, Ausstattung und Modernisierung gesteckt werden sollen“, kritisierte er zu Recht.

 

Längst machen Energiepreise und coronabedingte Personalausfälle dem Öffentlichen Personennahverkehr im ländlichen Raum das Leben schwer. Erste Linien mussten bereits aus dem Angebot genommen werden. Der Landkreistag forderte zur Absicherung des Nahverkehrs auf dem Land eine rasche Erhöhung der Regionalisierungsmittel. Ansonsten werde das Angebot nicht wachsen, sondern schrumpfen.

 

„Der Staat lebt von unten“

 

Hilfe zur Selbsthilfe ist kaum möglich, denn die Finanzlage der Kommunen ist mies. Für das laufende Jahr rechnen die kommunalen Spitzenverbände mit einem Defizit von 5,8 Milliarden Euro. Besserung ist nicht in Sicht. Schon gar nicht, wenn – wie Reinhard Sager kritisiert – den Kreisen und Kommunen, sprich: der Fläche, bundespolitische Vorstellungen übergestülpt werden. Es mangele in Berlin an Selbstdisziplin. Projekte wie die Ganztagsbetreuung oder auch das neue Bürgergeld führten vor Ort zu finanziellen Mehrbelastungen.

 

Der Landkreistag pocht darauf, dass endlich mehr an den x-mal politisch versprochenen, aber bis heute nicht geschaffenen gleichwertigen Lebens-, Arbeits- und Entwicklungsbedingungen für die Menschen auf dem Land gearbeitet werde. Reinhard Sager brachte auf den Punkt: „Der Staat – gerade unserer – lebt ‚von unten‘ und darf nicht ‚von oben‘ gedacht werden.“

 


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