Schweden-SPD muss das Landvolk fürchten

Vor den Parlamentswahlen sind die rechtspopulistischen Schwedendemokraten zunehmend salonfähig geworden

Wahl in Schweden - Abstimmung an der Wahlurne (Symbolbild: iStock/andriano_cz)
Wahl in Schweden - Abstimmung an der Wahlurne (Symbolbild: iStock/andriano_cz)

 

Von Michael Lehner 

 

Am Sonntag wählen die Schweden. Rückenwind für rechtskonservative Bündnisse kommt vor allem aus dem ländlichen Raum. Dort ähnelt die Unzufriedenheit sehr den Verhältnissen in Deutschland: Konflikte zwischen Landwirtschaft und Maximalforderungen der Öko-Verbände, Klinik-Sterben und Kostenexplosion für Berufspendler. Obendrauf rapide wachsende Bandenkriminalität in den Metropolen.

 

Der Angstgegner der über Jahrzehnte herrschenden Sozialdemokraten hat einen Namen: Schwedendemokraten. Die Rechtspopulisten haben ihr Schmuddel-Image vergangener Zeiten geschickt abgelegt. An der Spitze stehen freundlich und verbindlich wirkende Männer und Frauen wie Partei-Chef Jimmie Åkesson. Der smart wirkende Träger eines Drei-Tage-Barts vermeidet schrill-nationale Töne. Sein Wahlkampf konzentriert sich eher auf reale Aufreger-Themen, vor allem solche auf dem flachen Lande.

 

Aufschlussreiches Beispiel: Im Ringen um die Wiederansiedlung der Wölfe genügte die Angst vor der Rechtspartei, um die politische Konkurrenz förmlich zum Jagen zu tragen. Plötzlich erinnerte sich eine Mehrheit im Reichstag wieder an den bis heute gültigen (und lange nicht mehr eingehaltenen) Beschluss, die Zahl der Raubtiere im Königreich auf 220 erwachsene Exemplare zu beschränken. Bis das Parlament kürzlich diese Mehrheitsentscheidung bekräftigte, war die Wolfspopulation unter dem Druck der Tierrechtsszene massiv übers vereinbarte Ziel hinaus angestiegen. Weidetierhalter mussten aufgeben, in den Dörfern wuchs die Angst um Haustiere und Kinder.

 

Proteste freundlich ignoriert

 

Irgendwie typisch Schwedendemokraten: Während Sozialdemokraten und Miljöpartei (Grüne) die Proteste des Landvolks freundlich ignorierten, schnappten sich die Rechtskonservativen den ideologisch unverdächtigen Grund zur Aufregung, um die Bürgerlichen Parlamentskollegen zum Schwur zu zwingen. Ergebnis: Schwedens Wölfe leben wohl wieder etwas gefährlicher.

 

Noch interessanter: Mit dem Vordringen der Wölfe in die Stockholmer Vororte und den ersten Angriffen auf Schoßhunde, rückten auch die Rechtspopulisten ins urbane Milieu vor. Die dort zur gleichen Zeit sprunghaft steigende Bandenkriminalität, spielte den Hardcore-Konservativen zusätzlich in die Karten. Sie trafen auf ein sensibilisiertes Publikum und konnten auf Hetzparolen und Zuwanderer-Bashing verzichten.

 

Klar scheint: Während die übrigen Parlamentsparteien noch vor der letzten Reichstagswahl unisono Bündnisse mit den Schwedendemokraten ausgeschlossen hatten, fallen die Absagen an rechtskonservative Koalitionen nun eher weichgespült aus. Im Schnitt der Umfragen liegt die Åkesson-Partei bei 20 Prozent. Was eine Fortsetzung der sozialdemokratisch-grünen Minderheitsregierung der amtierenden Staatsministerin Magdalena Andersson ziemlich unwahrscheinlich macht.

 

Den auf Regierungsmacht bisher scheinbar abonnierten Sozialdemokraten wird vor allem auch die permanente Sparpolitik im Gesundheitswesen angelastet. Die Wege zur nächsten Klinik sind im ländlichen Raum immer weiter geworden. Für Arzttermine gibt es lange Wartelisten. Und die Proteste werden zunehmend lauter. Bis hin zum Freitod von Patienten mit seltenen Krankheiten unter Schlagzeilen-Begleitung durch die Boulevard-Presse.

 

Auch Grüne Opfer des Unbehagens

 

Neben den Sozialdemokraten gehören die Grünen zu den Opfern des verbreiteten Unbehagens. Sie müssen (allerdings eher unrealistisch) sogar ein Scheitern an der schwedischen 4-Prozent-Hürde fürchten. Trotz breiter Zustimmung für die ambitionierte Klimapolitik der Regierung. Und vergleichsweise guten Daten der Wirtschaftsentwicklung, die durchaus auch im ländlichen Raum stattfindet, etwa mit einer Giga-Fabrik für Elektroauto-Akkus im Provinz-Städtchen Skellefteå. Selbst die mit solchem Wandel verbundene Veränderung – etwa durch horrend ansteigende Immobilienpreise – sorgt für Unruhe in der Provinz.

 

Dabei vermeiden die Schwedendemokraten im Gegensatz zu anderen Rechtspopulisten in der EU geschickt wohlfeile Fettnäpfchen. Putin-Versteher oder Impfgegner zum Beispiel muss man in ihren Reihen mit der Lupe suchen. Auch der über Jahrzehnte ausgeschlossen erscheinende NATO-Beitritt ist im nun endenden Wahlkampf zum Verdruss von Linkspartei und Kommunisten kein ernstes Streitthema.

 

Vor allem: Die lange gehegte Volksheim-Mentalität als Grundlage eines breiten Konsens im guten Bürgertum scheint nicht mehr in Erbpacht der Sozialdemokraten. Und Wählerwanderung spricht dafür, dass sie diese Kernkompetenz zuerst auf dem flachen Land verspielten. Das gilt auch für die Moderaten-Partei, einst Sammelbecken der bürgerlich-konservativen Wählerschaft im Volksheim.

 


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