Brüsseler Keule bedroht Bauern

EU will Pflanzenschutzmittel auch in Landschaftsschutzgebieten gänzlich verbieten

Landwirt beim Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln mit dem Traktor. (Symbolbild: Franz W.)
Landwirt beim Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln mit dem Traktor. (Symbolbild: Franz W.)

 

Von Ludwig Hintjens

 

Um das Artensterben zu stoppen, will der für den Green Deal zuständige Kommissar Frans Timmermans drastische Maßnahmen beim Pflanzenschutz durchsetzen. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln soll EU-weit bis 2030 halbiert werden. In „sensiblen Bereichen“, so hieß es Ende Juni bei der Vorstellung der Pläne, soll der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ganz verboten werden. Von Parks, Spielplätzen und Naturschutzgebieten war die Rede.

 

Um zu verstehen, was die Brüsseler Pläne für die Bauern bedeuten, muss man wissen, wie die Kommission „Naturschutzgebiet“ definiert. Der Chef des Landwirtschaftsausschusses im Europa-Parlament, der Pfullendorfer Europa-Abgeordnete Norbert Lins (CDU), hat nachgefragt. Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides hat dieser Tage schriftlich geantwortet.

 

Der Inhalt ihres Schreiben hat das Zeug, für größte Unruhe unter den deutschen Landwirten zu sorgen. Demnach will die Kommission nämlich eine Verordnung erlassen, die Pflanzenschutz auch in Landschaftsschutzgebieten grundsätzlich verbieten würde. Die Keule des Verbots würde damit nicht nur über allen Natura-2000-Flächen schweben, die nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie geschützt sind, sondern auch in sämtlichen Landschafts- und Vogelschutzgebieten gelten.

 

Die Folgen für die deutschen Landwirte wären massiv. Landschaftsschutzgebiete gibt es EU-weit nur in Deutschland, Österreich und Südtirol. Viele Betriebe haben ihre kompletten Anbauflächen in Landschaftsschutzgebieten. Wenn diese Bauern nicht mehr zum Pflanzenschutz greifen dürften, käme diese Maßnahme einem Berufsverbot gleich. Denn auch Ökolandwirte können auf den Einsatz von Pflanzenschutz nicht verzichten.

 

Wie gravierend die Brüsseler Pläne sind, das zeigen diese Zahlen: Deutschland verfügt über rund 16,7 Millionen Hektar Acker- und Grünland, 4,3 Millionen Hektar davon liegen in den Schutzgebieten, wo Brüssel den Pflanzenschutz komplett verbieten will. Damit wäre etwa ein Viertel der landwirtschaftlichen Fläche Deutschlands betroffen.

 

Auch Bauern, die Sonderkulturen anbauen, wären betroffen

 

Ein Beispiel: Das größte Vogelschutzgebiet Europas ist die Hellwegbörde im westfälischen Kreis Soest, wo 48.000 Hektar unter Schutz stehen. Es geht um fruchtbarste Ackerböden, wo Landwirte mit Getreide hohe Erträge erzielen. Noch dürfen die Bauern in der Soester Börde spritzen. Nur: Was bliebe von ihrem Geschäftsmodell bei einem totalen Pflanzenschutz-Bann übrig?

 

Auch viele Bauern, die Sonderkulturen anbauen, wären betroffen. Viele von ihnen haben Anbauflächen für Gemüse, Äpfel, Hopfen oder Wein, die in Schutzgebieten liegen. Bei einem Pflanzenschutz-Verbot würde sich für viele die Existenzfrage stellen. Der Verbraucher erwartet makellose Produkte. Braune Stellen bei Früchten werden nicht akzeptiert. Auch bei Winzern läuft ohne Pflanzenschutz so gut wie nichts.

 

Das Totalverbot in den Schutzgebieten wäre fatal

 

Dass die EU-Kommission den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln deutlich senken will, ist richtig. Eine Reduzierung der Mengen um 50 Prozent ist ehrgeizig, aber als Maßnahme für den Artenschutz vertretbar. Fatal wäre das Totalverbot in den Schutzgebieten. Dem Vernehmen nach hat das Umfeld von Timmermans, das von ehemaligen Umweltlobbyisten kontrolliert wird, das Totalverbot auf den letzten Drücker in den Gesetzgebungsvorschlag hineingeschrieben. Schon bei seinem Feldzug gegen den Verbrennungsmotor sind Timmermans und Co. als Ideologen in Erscheinung getreten. Parlament und Mitgliedstaaten haben seinen Furor nicht gestoppt. Nun geht er genauso rigoros bei der Landwirtschaft vor.

 

EU-Gesetzgebung kommt nicht willkürlich über die Mitgliedstaaten, sondern folgt transparenten und demokratischen Regeln. Jeder Vorschlag, der aus der Kommission kommt, kann vom Parlament und den Mitgliedstaaten im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens verändert werden. Man muss es nur wollen. Beim Verbrenner-Verbot war der politische Wille in Berlin nicht vorhanden, sich schützend vor die industrielle deutsche Schlüsselbranche zu stellen. Ob die Interessen der Bauern bei der Ampel mehr Rückhalt haben, das müssen die nächsten Monate zeigen. 

 


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