Im Südwesten nichts Neues

In Baden-Württemberg setzt die grün-schwarze Landesregierung auf kontrollierte Unauffälligkeit

Haus des Landtags von Beden-Württemberg - Vorderansicht mit Beflaggung (Quelle: Landtag von Baden-Württemberg)
Haus des Landtags von Beden-Württemberg - Vorderansicht mit Beflaggung (Quelle: Landtag von Baden-Württemberg)

 

Von Wolfgang Molitor

 

Still ruht der See. Denn in Baden-Württemberg regiert eine Koalition, die es sich in ihrer grün-schwarzen Welt bequem gemacht hat. Von Anfang an und ohne ein erkennbares Ende.

 

Das liegt vor allem an einem Ministerpräsidenten, der sich von seiner Partei bis hin zur Persiflage gelöst hat. Winfried Kretschmann lässt seine dritte Amtszeit, die Mitte März 2021 erneut mit einem grünen Triumph begonnen hat, offensichtlich in unauffälliger Harmonie ausklingen. Demonstrativ unerschütterlich, demonstrativ präsidial, demonstrativ selbstgefällig.

 

Und so muss schon eine wenig inspirierende PR-Kampagne für eine belächelte Aufmerksamkeit sorgen, um im Gespräch zu bleiben. „The Länd“ heißt die millionenschwere Agentur-Offensive, die Baden-Württemberg vor allem international bekannter und attraktiver machen soll. Dass sie nicht so recht zündelt und vor allem im Südwesten selbst für ziemlich gewollt und nicht gekonnt eingestuft wird, schert im grün-schwarzen Umfeld niemanden.

 

Grün-Schwarz will routiniert über die Runden kommen

 

Überhaupt setzt die Koalition von Grünen und CDU alles daran, routiniert über die Runden zu kommen. Mit satter Mehrheit und einer lätschigen Harmonie, die vor allem fest auf dem guten persönlichen Verhältnis von Kretschmann und CDU-Chef Thomas Strobl fußt. Denn eigentlich standen die Zeichen nach der letzten Wahl schon auf Grün-Rot-Gelb.

 

Die Union war in ihrem einstigen Stammland wieder mal mit rund 24 Prozent in der politischen Versenkung verschwunden, mit einer wenig überzeugenden Spitzenkandidatin auch beim Kampf um die Direktmandate nach unten durchgereicht. Womit für Strobl feststand: Die CDU musste wieder in die Regierung, um halbwegs heil aus der Schlappe herauszukommen. Auf Teufel komm raus. Kretschmann griff da gerne zu, nicht zuletzt aus enger Verbundenheit, die in der vorausgegangenen Legislaturperiode aus Sicht der Grünen gut funktioniert hatte. Und weil sich eine Koalition mit einer angeschlagenen SPD und einer auch rhetorisch provokant auftretenden FDP aus konservativer Landesvater-Sicht viel herausfordernder und mit neuen Anpassungsproblemen präsentiert hätte.

 

CDU-Chef Strobl in der Defensive

 

Jetzt aber ist Strobl nicht nur in seiner CDU in der Defensive. Viele politischen Beobachter wundern sich noch heute, dass der 62-Jährige das Wahlfiasko ohne allzu große Blessuren überstehen konnte. Immerhin: An der Fraktionsspitze ist mit dem 34-jährigen Manuel Hagel der Generationenwechsel, wenn auch mit Murren mancher Altgedienter, geschafft. Doch auch das gilt als sicher: Strobls Zeit an der Parteispitze läuft ab. Am 23. September soll der Innenminister vor dem von SPD und FDP initiierten Untersuchungsausschuss des Landtags Rede und Antwort stehen. Er soll ein Schreiben des wegen des Vorwurfs sexueller Belästigung suspendierten Polizei-Inspekteurs an einen Journalisten weitergereicht haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt deshalb auch gegen ihn. Strobl mag mit einem blauen Auge aus der Sache herauskommen. Aber die CDU hat sich aufgemacht, zur nächsten Landtagswahl mit einem neuen Personalangebot verlorenen Boden zurückzugewinnen.

 

Kretschmann ohne Strobl: Das wäre wohl auch das Aus für Grün-Schwarz. Noch steht (neben Kretschmanns traurigen Erinnerungen an eine gemeinsame grün-rote Regierungszeit) vor allem die FDP einer Neuausrichtung der Grünen im Wege, wie in Berlin auch in Stuttgart eine Ampel zu installieren. Ihr Fraktionschef Ulrich Rülke hat maßlos zu viel Porzellan zerschlagen, um von Kretschmann als zuverlässiger Partner akzeptiert werden zu können. Auch bei den Liberalen wird man sich daher Gedanken machen müssen, mit welcher Spitze man 2026 antreten will.

 

Tritt Kretschmann 2026 nochmal an?

 

Noch aber ist es bis dahin lange hin. Um die Frage, ob Kretschmann 2026 mit dann fast 78 Jahren noch einmal antreten wird, wird im Staatsministerium wie in der grünen Parteizentrale selbst hinter vorgehaltener Hand ein großer Bogen gemacht. Denn ohne Kretschmann und seiner mittlerweile tiefen Verwurzelung im bürgerlichen Milieu wäre die mit ihm gewohnte 30-Prozent-Marke wohl weit verfehlt. Ohnehin: Die Koalition von CDU und Grünen in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein haben das öko-christliche Modell in Stuttgart in dem politischen Alltag der Republik verankert. Da ist Kretschmann kein mutiger Vorreiter oder unverzichtbarer Bewahrer mehr. Mehr noch: Nicht nur Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat seine Grünen so weit in die politische und ökonomische Mitte gerückt, hat ökologische Grundfesten geschleift, dass Kretschmann auch hier der Ruf des visionären grünen Neupositionierers abhandenkommt. Anders gesagt: Kretschmanns Zeit ist abgelaufen. Mit außergewöhnlich erfolgreicher Bilanz.

 

Es wird spannend sein, wer es sich bei den Grünen zutraut, in die nicht zu füllenden Fußstapfen zu treten. Anders gesagt: Wem die Partei diese gefährliche Reise zutrauen wird, an deren Ende keineswegs ein vierter Triumph in Folge stehen könnte. Viel spricht dafür, dass zurzeit Andreas Schwarz, der immer mehr Kontur gewinnende 42-jährige Fraktionschef, seine Hausmacht absichern kann. Immer wieder wird auch der Name von Bundesagrarminister Cem Özdemir, einem gebürtigen Schwaben, als bundesweit bekannterer Kopf ins Spiel gebracht, obwohl Özdemirs Bundesambitionen einer Kandidatur in Baden-Württemberg entgegenstehen dürften.

 

An Kretschmanns Kabinettstisch hat sich viel Mittelmaß versammelt, nicht wenige in Corona- und Inflationszeiten erkennbar überfordert. Aber Grün-Schwarz verträgt (noch) keinen hausgemachten Konflikt. Dafür stehen Kretschmann und Strobl so lange, wie man sie walten lässt. Was wohl noch länger bedeutet: Im Südwesten nichts Neues.

 


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