Wohnen und Bauen: Weg von der Silo-Ideologie

„Tiny Houses“ – eine neue Form der Lebensphilosophie zur Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks

„Tiny House“ im Bau in Beekbergen, Niederlande. (Foto: iStock/HildaWeges)
„Tiny House“ im Bau in Beekbergen, Niederlande. (Foto: iStock/HildaWeges)

 

Von Michael Lehner

 

Allmählich spricht sich herum, dass „verdichtete“ Bebauung den Menschen und dem Klima schadet. Weil ohne ausreichende Grünflächen die Temperaturen sprunghaft steigen. Die Sehnsucht nach einem Haus mit Garten ist den Menschen ohnehin nicht auszutreiben. Und wenn es nur eines der winzigen Häuschen ist, die gerade Hochkonjunktur haben.

 

„Tiny houses“ heißen die kleinen Häuser. Sie sind längst Gegenstand einer Bewegung. Nicht nur in Amerika, sondern auch in Deutschland. Wohnen reduziert aufs Notwendige, aber mit Garten vor der Tür. Zugleich eine Renaissance der Dorfgemeinschaft. Und letztlich auch eine Kampfansage an Stadtplaner und klassische Wohnungsbaupolitik. Weil immer mehr Menschen vorleben, was ihnen wirklich wichtig ist an den (möglichst) eigenen vier Wänden.

 

Wichtig ist – ganz offensichtlich – ein überschaubarer Lebensraum, irgendwie das Gegenteil von urbanen Strukturen. Dazu die Unabhängigkeit von Mietpreis-Überraschungen. Halt „was Eigenes“. Meist um dreißig Quadratmeter groß, eher selten auch mal fünfzig. Aber durchdacht bis in den letzten Winkel. Pflegeleicht und kostengünstig zu heizen. Nicht protzig, aber in einschlägigen Bürger-Kreisen schon ein Statussymbol.

 

Banken spielen häufig nicht mit

 

Die Pacht fürs Grundstück mitgerechnet, lässt sich „Klein, aber mein“ zu den Mietkosten eines WG-Zimmers in München oder Berlin realisieren. Zumindest, wenn die Bank mitspielt. Was häufig nicht der Fall ist, weil die Mini-Häuser dort oft als etwas bessere Wohnwagen gelten. Aber das dürfte sich ändern, weil auch eine betuchte Seniorengeneration den Charme der Bescheidenheit entdeckt.

 

Da senkt sich die Doppelbettmatratze auf Knopfdruck zwischen die Sofas der Wohnzimmer-Sitzgruppe. Da hecheln vom Solarpanel gespeiste Klimaanlagen kühle Luft in den Wohnraum. Wer mag, bekommt riesige Fensterfronten für den Blick auf die Nah-Natur. Und mit der kann es der nobelste Hochhaus-Balkon nicht aufnehmen.

 

Die gängige Vorstellung, dass so ein Häuschen auf Rädern stehen und mobil sein muss, kommt aus Amerika. Dort brauchen überdimensionierte Wohnwagen meist keine Baugenehmigung. In Deutschland schon, wenn sie Dauer-Wohnsitz sein sollen. Dann sind in aller Regel auch Anschluss ans Kanalnetz und die Einhaltung diverser Bauvorschriften wie der Wärmeschutzverordnung Pflicht.

 

Wer den Markt studiert, wird Goldgräberstimmung bei großen Anbietern von kleinen Häusern zu saftigen Preisen entdecken. Aber auch Handwerksbetriebe, zumal Zimmerer und Schreiner, die den regionalen Markt – und auch Kunden mit kleinerem Geldbeutel – bedienen. Bis hin zum alpenländischen Jodler-Look ist da fast alles möglich.

 

Der Schlüssel sind passende Grundstücke

 

Schlüssel zum Geschäft sind Grundstücke für die neue Wohnform. Und kommunale Gremien, die sich auf Experimente einlassen. Von der Küste bis ins Alpenland gibt es Gemeinden, denen Mini-Haus-Siedlungen willkommen sind. Auch wegen der neuen Steuerzahler auf relativ wenig Grundstücksfläche. Aber auch, weil neues Leben in die Dörfer und Kleinstädte kommt. Sogar mit Büro-Gemeinschaftshäusern für High-Tech-Branchen.

 

Der Trend, das Tiny House durch zentrale Anlagen wie Räume zum Feiern nebst Großküche zu ergänzen, kommt nicht aus Amerika. Sondern ist – im guten Sinne – irgendwie auch typisch Deutsch. Vielleicht auch eine Antwort auf zunehmende Vereinsamung in großen Städten.

 

Noch spannender: Auch für die vermeintlichen Nachteile des zentrumsfernen Wohnens findet die Szene Lösungen. Fahrgemeinschaften zum nächsten Bahnhof zum Beispiel. Nachbarschaftshilfe auch beim Lebensmittel-Einkauf. Und sogar Kinderbetreuung lässt sich in dieser neuen Staats- und Großstadtferne organisieren.

 

Überall im Lande entstehen Vereine. Nicht nur, um das Grundstücksproblem zu lösen und Bürgermeister zu überzeugen. Sondern auch, um ein gutes Beispiel zu geben für das neu entdeckte Miteinander. Sie sanieren seit Jahrzehnten leerstehende Resthöfe zu Zentralgebäuden. Sie suchen nach städtischen Baulücken – zu klein fürs klassische Einfamilienhaus, aber groß genug für ein, zwei Tiny Houses. Und sie vermitteln das Probewohnen in einer wachsenden Zahl von Feriensiedlungen mit sehr kleinen Häusern der neuen Bauart.

 

Trennung von Unnötigem als Kult

 

Während im Bundesbauministerium das hoch verdichtete Bauen Urständ feiert, entwickelt sich im Markt offensichtlich ein Kundenkreis, der nicht im 17. Stockwerk leben möchte. Sondern versucht, den Eigenheim-Wunsch den Realitäten horrender Grundstücks- und Baupreise anzupassen. Sogar der Zwang, sich beim Umzug von Unnötigem und auch von Liebgewonnenem zu trennen, entwickelt sich zum Kult.

 

Ein Blick in die Häuschen zeigt allerdings meist Minimalismus auf gehobenem Niveau. Man gönnt sich wenig, aber das möglichst vom Feinsten. Auch Kinder, die ein zweites Häuschen nebenan bewohnen, bis sie flügge sind. Und man amüsiert sich über Wohnungsgesellschaften, die immer noch glauben, dass Senioren unabdingbar eine Badewanne brauchen. Obwohl Duschen weit bequemer sind. Und obwohl die Skandinavier seit über einem halben Jahrhundert vorführen, dass Seniorenheime gern wie Feriendörfer aussehen dürfen.

 

Neugierig geworden? Einen guten Überblick zum Thema gibt’s auf

https://wohnglueck.de/artikel/geplante-tiny-house-siedlungen-grundstuecke-32049

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