Der „Fall“ Schlesinger und die „Öffentlich-Rechtlichen“

Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk überleben will, dann nur mit einer wirklichen Reform

RBB-Gebäude in Berlin, Theodor-Heuss-Platz. (Foto: iStock/Piotr Orlowski)
RBB-Gebäude in Berlin, Theodor-Heuss-Platz. (Foto: iStock/Piotr Orlowski)

 

Von Henning Röhl

 

Der Ukrainekrieg und seine Folgen, die unsichere Weltlage und die gestiegene Inflation, der ausgebliebene Regen und die nach wie vor vorhandene Pandemie, bei der ein Gesundheitsminister vor lauter Aktionismus das Eigentliche aus den Augen verliert, sind einige der Sommerthemen dieses Jahres, die das frühere Klagen von Schreibern und Lesern über die „Saure-Gurken-Zeit“ in den heißen Monaten weit in die Geschichte weisen. Es ist viel los, in diesem Sommer und zu allem Überfluss beschäftigt die sommergestressten Leser, Schreiber und Zuschauer jetzt auch noch der Fall RBB, genauer gesagt der seiner bisherigen Intendantin mit dem schön klingenden Namen Patricia Schlesinger. Und zwar in diesem Fall im doppelten Sinne: ihr Sturz vom Intendanten-Thron im obersten Stockwerk des Berliner Rundfunkhochhauses und der ruhmlose Abgang vom Vorsitz der ARD. Sie fiel heftig. Zu Recht. Zugleich wird der Fall Schlesinger als Wegmarke in die Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland eingehen – zumal am Wochenende noch die Vorsitzende des Rundfunkrates des Berlin-Brandenburger Senders, Friederike von Kirchbach, zurückgetreten ist.   

 

Es lohnt sich nicht mehr, auf Einzelheiten dieser Geschichte einzugehen. Alle Medien waren in den vergangenen Tagen voll davon. Selbst Schlesingers Haussender hatte keine Furcht mehr vor kritischer Berichterstattung und Aufdeckung. Es ist schon erschreckend, was in den vergangenen Wochen über Intendantengehälter und Zusatzvergütungen, über Dienstwagenausstattungen und andere Luxusannehmlichkeiten an die Öffentlichkeit kam. Über Inkompetenz von Aufsichtsgremien und dem Auseinanderklaffen zwischen Leitungsebene und denen, die die eigentliche Arbeit machen. 

 

So krass wie im Fall Schlesinger war es noch nie, aber wie häufig, wenn es Skandale um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gab, wurde von den zuständigen Landespolitikern Besserung gelobt, einzelne Missstände wurden beseitigt, und ansonsten lief alles so weiter wie bisher. Bis zum nächsten Skandal.

 

Deshalb: Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der teuerste Rundfunk auf dieser Erde, der von allen Deutschen mit den Pflichtgebühren bezahlt wird, überleben will, dann nur mit einer wirklichen Reform.

 

Hierzu einige Eckpunkte:

 

Rundfunkrecht ist Landesrecht. Die Ministerpräsidenten sind für die Rechtsaufsicht ihrer Landessender zuständig. Es muss sich nicht mehr fast jeder Ministerpräsident mit „seinem“ Sender schmücken. Die Vielzahl der Sender bedeutet auch eine Vielzahl von gleichen Organisationseinheiten. Neun Landesrundfunkanstalten haben in der ARD das Sagen, also neun teuer bezahlte Intendanten oder Intendantinnen, dazu kommen mindestens fünf oder sechs auch nicht gerade schlecht bezahlte Direktorinnen oder Direktoren in jedem Haus. Alle verfügen natürlich über gut ausgestattete Büros. Doch damit ist die kostenträchtige Hierarchiepyramide noch längst nicht zu Ende. Es dauert dann noch etwas, bis wir endlich zu den Vielen kommen, die die eigentliche Programmgestaltung leisten.

 

Ich könnte noch lange über Programmmacher und -verantwortliche, über Wichtigtuer und Wichtigtuerinnen im ö. r. Rundfunk berichten. Viele Jahre war ich selbst einer davon. Aber mir ist längst klar geworden: so kann es nicht weitergehen. Ein Rundfunk in dieser Form ist den Bürgern dieses Landes, die ja dafür alle aufkommen müssen, nicht mehr zuzumuten. Also weniger Landesrundfunkanstalten, was nicht heißen muss, dass die Regionalberichterstattung, eine der Domänen dieser Rundfunkform, ausgedünnt werden muss.

 

Inhalte sind austauschbar geworden

 

Zugleich aber Trennung von manchen Programmfeldern, die die Öffentlich-Rechtlichen sich angeeignet haben, obwohl sie im strengen Sinne nicht zu ihrem Auftrag der Grundversorgung gehören. Die unermesslich hohe Zahl der ö.r. Radio – und Fernsehprogramme ist längst nicht mehr überschaubar. Bei vielen Programmen gibt es allenfalls noch die Exklusivität des jeweiligen Kanals, die Inhalte sind längst austauschbar geworden. Und sie werden ja auch permanent ausgetauscht und wiederholt. Im Zeitalter der Mediatheken, in denen jedes Programm zu jeder Zeit abrufbar ist, sind derart viele Kanäle, die alle mit beträchtlichen Kosten verbunden sind, nicht mehr notwendig und vertretbar.

 

Der ö. r. Rundfunk ist ein wesentlicher Kulturträger in diesem Land. Dennoch fragt sich, ob die Vielzahl von teuren Orchestern noch notwendig ist. Die Musik, die sie spielen, gibt es längst auf Tonträgern oder in Streamingangeboten. Im Programm spielen die vielen Klangkörper, wie sie genannt werden, eine untergeordnete Rolle. Und bei ihren öffentlichen Auftritten macht es Mühe noch die Besucherplätze zu besetzen. Zur Erfüllung des Rundfunkauftrages sind diese Klangkörper gewiss nicht mehr notwendig. Aber sie kosten viel.

 

… und die Bigband spielt bis heute

 

Ich erinnere mich: vor vielen Jahren, als im NDR wieder einmal eine Sparrunde angesagt war, kam der Vorschlag, die Bigband aufzulösen. Das bringe nichts, die Musiker müssten doch ohnehin weiterbezahlt werden, kam als Einwand. Diese Diskussionen wurden dann – wie so häufig - von Interessierten in die Öffentlichkeit getragen, und ein Ministerpräsident outete sich als Bigband-Fan und warnte den NDR vor dieser Sparmaßnahme. Die Betriebsleitung knickte ein und die Bigband spielt bis heute.

 

Auch dieses Beispiel zeigt, jede der Sparmaßnahmen im öffentlichen Rundfunk ist schwierig umzusetzen, weil eine Vielzahl von Lobbyisten, die häufig auch an diesem Tropf hängen, immer wieder lautstark protestiert.

 

Und wenn schon eine Reformdiskussion, dann muss man sich natürlich auch die Frage stellen, wieso wir uns in Deutschland als öffentlich-rechtliche Anstalten nicht nur die ARD in ihrer Vielfalt, sondern darüber hinaus auch noch das ZDF mit vielen Kanälen und den Deutschlandfunk mit seinen diversen Programmen leisten.

 

Mehr als kosmetische Korrekturen hat es nicht gegeben

 

Schon oft sind diese Probleme, die der öffentliche Rundfunk mittlerweile mit sich bringt, angesprochen und beklagt worden. Mehr als kosmetische Korrekturen hat es bislang nicht gegeben. Vielleicht fassen die zuständigen Landespolitiker diesmal den Mut zu den notwendigen Reformen. Druck wird es zur Genüge geben, denn bliebe alles so, wie es ist, wäre in einiger Zeit wiederum eine Gebührenerhöhung fällig. Sie wäre jedoch angesichts der Vorfälle beim RBB politisch nicht durchsetzbar. Zumindest nicht in den neuen Bundesländern, die eine andere Medientradition haben und auch sparsameres Wirtschaften gewohnt sind. Schon die letzte Erhöhung wurde gegen das Votum aus Sachsen-Anhalt durchgesetzt. Die Magdeburger wären beim nächsten Mal mit Sicherheit nicht mehr alleine.

 

So besehen hat das maßlose Gebaren der Intendantin aus Berlin hoffentlich auch einige positive Folgen: Denn ohne das Luxusleben im Berliner Fernsehhochhaus wäre es nicht so schnell zu diesem Diskussions- und Reformdruck gekommen. 


Der Autor war in den 80er Jahren Direktor des Landesfunkhauses Schleswig-Holstein des NDR, Chefredakteur von ARD-aktuell (Tagesschau und Tagesthemen) sowie nach der Wende Fernsehdirektor des Mitteldeutschen Rundfunks, bevor er ab 2001 den Fernsehsender Bibel TV aufbaute.


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