Flüge ins Ungewisse

Mit dem Warnstreik beim Lufthansa-Bodenpersonal schießt Verdi weit über das Protestziel hinaus
Maschinen der Lufthansa auf dem Rollfeld eines Flughafens. (Symbolbild: b1-foto)
Maschinen der Lufthansa auf dem Rollfeld eines Flughafens. (Symbolbild: b1-foto)

 

Von Wolfgang Molitor

 

Als ob das Chaos an den deutschen Flughäfen in diesen heißen Sommermonaten nicht schon groß genug, für viele Fluggäste seit Wochen unerträglich und unzumutbar wäre. Lange Warteschlangen vor nahezu allen Zugangshürden, verspätete Kofferzustellungen und kurzfristig abgesagte Flüge – alles das sorgt bei zigtausenden Reisenden für Unmut und Unverständnis. Jetzt aber mischt auch Verdi im Tohuwabohu mit – gezielt bis in den ersten Tag der Sommerferien in Baden-Württemberg mit einem eintägigen, flächendeckenden Warnstreik beim Lufthansa-Bodenpersonal, der nicht zum ersten Mal mehr an gewerkschaftlichen Tarifexhibitionismus erinnert als an unvermeidlichen Protest. Über 1000 Flüge werden bis in den frühen Donnerstagmorgen in Frankfurt und München ausfallen, über 130.000 Passagiere werden am Boden bleiben, verärgert, ratlos, verzweifelt.

 

Kunden werden direkt getroffen

 

Ob bei der Bahn oder bei der Lufthansa: Immer treffen die Provokationen unmittelbar vor allem die Kunden. Rücksichtslos und im frühen Verhandlungsstadium unnötig. Bei der Lufthansa baut Verdi ein Bedrohungspotenzial auf, obwohl die nächste Verhandlungsrunde bereits auf den 3. und 4. August terminiert ist. Es trifft viele Fluggäste, die sich mit ihren Familien den Urlaub redlich verdient haben. Viele, die ihrer Anreise aus dem ländlichen Raum zu den Drehkreuzen bereits mit großer Sorge entgegensehen, weil ihnen die Unpünktlichkeit der Bahn eine zuverlässige Ankunftszeit am Airport zusätzlich erschwert. Ob die Hoffnung von Finanzminister Christian Lindner, bei Verdi und Lufthansa säßen Leute, die sich „ihrer besonderen Verantwortung für die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen bewusst“ seien, mehr ist als ein politisches Ausweichmanöver, muss sich dann zeigen.

 

Schlechtes Arbeitsumfeld

 

Dabei kann man nachvollziehen, dass Verdi hart verhandeln muss. Dass ein erstes Arbeitgeberangebot nie als zufriedenstellend gewertet werden kann und das Arbeitsumfeld vieler Beschäftigter mittlerweile so schlecht ist, dass es ohne spürbaren Gegendruck offenbar nicht zu echten Verbesserungen und entlastenden Umstrukturierungen kommen kann. Das Lufthansa-Management hat in den existenzbedrohenden Zeiten der Coronakrise zu viel Last auf immer weniger Schultern gepackt. Die wirtschaftliche Notlage hat eine vorausschauende Personalpolitik verhindert, Engpässe bei vielen Flughafendienstleistern kommen erschwerend hinzu.

 

Die Folgen tragen nun nicht nur die Beschäftigten, sondern auch die Kunden. Im Luftverkehr fehlt Personal an allen Ecken und Enden. Allein Lufthansa hat bisher rund 6.000 Flüge im Sommer gestrichen – neben dem wirtschaftlichen Verlust ein zunehmend irreparabler Imageschaden im harten internationalen Wettbewerb.

 

Möglich aber, dass Verdi mit dem voreiligen Protest tatsächlich die Stimmung vieler Mitglieder trifft – und in den nächsten Wochen noch so manchen Nachahmer finden könnte. Nach einer aktuellen Studie des renommierten Opaschowski-Instituts für Zukunftsforschung ist der Anteil der Deutschen, die eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich befürchten, von 60 Prozent im Jahr 2019 auf 87 Prozent in diesem Jahr gestiegen – bei Geringverdienern sogar auf über 90 Prozent. Dass alle Gewerkschaften vor diesem Hintergrund besonders darauf achten, den Niedriglohnsektor überdurchschnittlich zu stärken, klingt plausibel.

 

Lufthansa signalisiert Entgegenkommen

 

Das erkennt auch die Lufthansa, die bereits durchblicken lässt, den Verdi-Forderungen für die rund 20. 000 Beschäftigten am Boden signifikant entgegenzukommen. Dabei geht es am Ende für beide Seiten wieder einmal um gesichtswahrende prozentuale Umrechnungen und halbwegs perspektivsichere Laufzeiten.

 

Das erste Angebot der Lufthansa jedenfalls scheint eine tragfähige Grundlage für ein konstruktives Ringen zu sein. Auch deshalb ist dieser Warnstreik ein überzogenes Arbeitskampfinstrument auf dem Rücken der Reisenden. Auch bei ihnen können die Streikenden durchaus mit Sympathie für ihre nachvollziehbaren Forderungen rechnen. Nicht aber für die brutale Wahl ihrer Mittel.

natur+mensch – der Blog ist eine Initiative der Stiftung natur+mensch

Copyright © 2023 Stiftung natur+mensch - Havixbeck - Alle Rechte vorbehalten.