Der Kanzler ohne Plan für den Krisenherbst

Selbst beim besten Willen aller Beteiligten sind von der „Konzertierten Aktion“ keine Wunder zu erwarten

Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag (Foto: Bundesregierung/Kugler)
Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag (Foto: Bundesregierung/Kugler)

 

Von Hugo Müller-Vogg

 

Natürlich kann es nicht schaden, wenn der Bundeskanzler die Vertreter von Wirtschaft, Gewerkschaften, Bundesbank und Sachverständigenrat ins Kanzleramt einlädt. Der Kampf gegen die Inflation und die drohende Energieverknappung machen durchaus notwendig, sich „unterzuhaken und zusammenzuhalten“, wie Olaf Scholz es formulierte.

 

Selbst beim besten Willen aller Beteiligten sind von der „Konzertierten Aktion“ jedoch keine Wunder zu erwarten. Zu unterschiedlich sind die Interessen der Beteiligten, zu verschieden ihre Verantwortung. Lohnerhöhungen helfen den Arbeitnehmern, schlagen sich bei den Unternehmen aber in höheren Kosten und Preisen nieder. Neue Entlastungspakete belasten den Staatshaushalt und führen zum Ruf nach Steuererhöhungen, die wiederum die Wirtschaft schwächen würden.

 

Dazu kommt die Ungewissheit, in welchem Umfang und zu welchen Preisen Erdgas uns von Herbst an zur Verfügung stehen wird. Und wie lange die Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Materialen und Vorprodukten noch anhalten werden. Angesichts dieser komplexen Herausforderung war die Runde am vergangenen Montag gut beraten, sich erst gar nicht auf irgendwelche Beschlüsse zu einigen.

 

In vielen Branchen spielen Tarifverträge keine Rolle

 

Mit dem „Unterhaken“ kommt man noch aus einem anderen Grund nicht weiter. Nicht alle Branchen leiden unter der Teuerung und den unterbrochenen Lieferketten gleichermaßen. Zudem nutzen bessere Tarifabschlüsse vielen Beziehern kleiner Einkommen, die unter der Teuerungswelle besonders zu leiden haben, überhaupt nicht. In vielen Branchen, in denen kaum mehr als der Mindestlohn gezahlt wird, spielen Tarifverträge nämlich so gut wie keine Rolle. Diese Arbeitgeber gehören keinem Verband an und müssen sich nicht an Tarifverträge halten. Die Gewerkschaften wiederum vertreten in erster Linie die gut bezahlten Facharbeiter – und nicht das „Prekariat“.

 

Sollten sich Arbeitgeber und Gewerkschaften auf Tarifabschlüsse einigen, die die Inflation nicht noch zusätzlich anheizen, wäre das zweifellos hilfreich. Die größte Herausforderung, vor der dieses Land steht, können die Tarifvertragsparteien aber gar nicht lösen. Es geht darum, in welchem Umfang der Staat die rasant steigenden Energiekosten für Familien mit geringem Einkommen, für Ruheständler mit niedrigen Renten, für Studenten und nicht zuletzt für die Bezieher von Hartz-IV und andere Formen der Grundsicherung übernimmt.

 

Da kommt noch einiges auf uns zu, weil die gestiegenen Gaspreise erst von Herbst an ihre volle Wucht entfalten werden. Viele Haushalte am unteren Ende werden dann ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können. Und manches Unternehmen wird die verdreifachten oder vervierfachten Energiekosten nicht an seine Kunden weitergeben können und deshalb aufgeben müssen.

 

Ablenkungsmanöver des Kanzlers

 

Es geht also schlicht und ergreifend um die Frage, in welchem Umfang der Staat sich an den Energiekosten von privaten Haushalten und energieintensiven Unternehmen beteiligt. Diese Antwort kann kein „konzertiertes Kränzchen“ geben. Da sind allein Bundesregierung und Bundestag gefragt. Die Ampel-Koalition muss sich entscheiden, ob sie den Energieunternehmen unter die Arme greift, damit diese ihre höheren Bezugspreise nicht an die Kunden weitergeben, oder ob sie die staatlichen Unterstützungsleistungen massiv ausweitet. Das werden keine einfachen und keine sehr populären Entscheidungen sein. Eines ist nämlich auch sicher: Der Staat kann nicht für alles und jeden die Rechnung übernehmen.

 

Insofern ging es dem Bundeskanzler beim Auftakt zu diesen Gesprächsrunden keineswegs nur ums „Unterhaken und Zusammenhalten“. Indem Olaf Scholz viele Verbände und Institutionen zum Gespräch bittet, startet er zugleich ein geschicktes Ablenkungsmanöver. Er versucht, die Tarifvertragsparteien in die Pflicht zu nehmen, um davon abzulenken, dass letztlich er und seine Regierung entscheiden müssen, wie Deutschland diese gewaltigen Herausforderungen meistern will. Darüber lässt sich durchaus „konzertiert“ plaudern – aber nicht entscheiden. 


Unser Gastautor:

Dr. Hugo Müller-Vogg, ehemaliger F.A.Z.-Herausgeber, zählt zu den erfahrenen Beobachtern des Berliner Politikbetriebs. Als Publizist und Autor zahlreicher Bücher analysiert und kommentiert er Politik und Gesellschaft. www.hugo-mueller-vogg.de und www.facebook.com/mueller-vogg

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