Sogar im Hinterland geht‘s aufwärts

Von der neuen Lust aufs Land profitieren nicht nur Kommunen im sogenannten Speckgürtel der großen Zentren

Gelsdorf, ein Ortsbezirk der Gemeinde Grafschaft im rheinland-pfälzischen Landkreis Ahrweiler. Der Ort hat etwas über 1500 Einwohner. (Foto: PolitUnion)
Gelsdorf, ein Ortsbezirk der Gemeinde Grafschaft im rheinland-pfälzischen Landkreis Ahrweiler. Der Ort hat etwas über 1500 Einwohner. (Foto: PolitUnion)

 

Von Wolfgang Kleideiter

 

Die Entwicklung wird schon seit geraumer Zeit beobachtet. Während viele große Städte und Ballungsgebiete längst nicht mehr den Zuzug vergangener Jahre spüren, sind zwei Drittel der Landgemeinden mit bis zu 5.000 Einwohnern und der Kleinstädte mit bis zu 20.000 Einwohnern wieder auf Wachstumskurs. Und von der neuen Lust aufs Land profitieren nicht nur Kommunen im sogenannten Speckgürtel der großen Zentren. Auch Orte, die abseits liegen und einst mit der Landflucht und einem massiven Schrumpfkurs zu kämpfen mussten, gehören zurzeit zu den Gewinnern.

 

Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat mit Unterstützung der Wüstenrot-Stiftung für ihre Studie „Landlust neu vermessen“ die Wanderungsstatistiken der statistischen Ämter von 2008 bis 2020 auf Gemeindeebene analysiert. Lagen zwischen 2008 und 2010 die großen Städte bei den Wanderungsgewinnen deutlich vorne, so hat sich zwischen 2018 und 2020 die Situation enorm gewandelt.

 

Die Corona-Pandemie war hierbei nicht Auslöser, sondern seit 2017 gab es dem damals schon festzustellenden Trend in Richtung Land noch einmal deutlich Rückenwind. Corona habe dann noch einmal die Sehnsucht nach dem Land verstärkt, heißt es in der Studie. Das Wanderungsgeschehen sei nun deutlich ausgeglichener.

 

Ost und West gleichen sich an

 

Auch abgelegene Regionen gewinnen heute neue Bewohner durch Umzüge hinzu. Die neue Landlust zeigt sich nach Angaben der Wissenschaftler zudem nicht nur in der Flucht aus den Städten, sondern auch im Dableiben der Landbewohner. Tendenziell zögen weniger Menschen aus kleinen Gemeinden fort oder entschieden sich für ein Leben in der Großstadt. Ein interessanter Aspekt kommt hinzu: Beim Wanderungsverhalten gleichen sich die Gemeinden im Osten und Westen immer mehr an. 

 

Ein knappes Wohnungsangebot und steigende Immobilienpreise machen die Großstädte gerade für junge Familien oder Berufseinsteiger inzwischen unbezahlbar. Sie orientieren sich in Richtung Land. Die Digitalisierung macht wiederum viele Berufe laut Studie inzwischen „landkompatibel“. Im Klartext: Beschäftigte können einen Teil ihrer Arbeit auch von daheim aus erledigen, genießen dort mehr Freiraum und die Nähe zur Natur.

 

Jüngere drängen ins Ländliche

 

Die 18- bis 24-Jährigen, die als „Bildungswanderer“ bezeichnet werden, treibt es weiterhin wegen der Hochschulen und der Ausbildungsmöglichkeiten in die größeren Städte. Die 25- bis 29-Jährigen („Berufswanderer“) verspüren anders als vor zehn Jahren bereits einen Drang ins Ländliche. Noch stärker ist dieser bei den 30- bis 49-Jährigen ausgeprägt, die statt der kleinen Stadtwohnung lieber das Häuschen mit Garten im Dorf suchen. Und von den über 50-Jährigen ziehen nur noch vergleichsweise wenige um in die Stadt.

 

Die Wanderungsgewinne helfen kleineren Gemeinden und Städten dabei, die demografische Entwicklung etwas zu dämpfen. Wenn sie es clever anstellen, können sie die neue Lust aufs Land für sich nutzen. Sie müssen allerdings politisch dafür kämpfen, dass man ihnen beim weiteren Ausbau der Infrastruktur hilft. Junge Familien brauchen ein stabiles digitales und soziales Netz – sprich: hier den Glasfaseranschluss, dort den Kitaplatz. Jeder weiß, dass junge Menschen neue Ideen und Initiativen mitbringen, die das Dorfleben bereichern können.

 

Die Studie „Landlust neu vermessen“ ist unter www.berlin-institut.org/studien-analysen/detail/landlust-neu-vermessen kostenlos im Netz erhältlich. Zudem haben die Studienmacher ein interessantes interaktives Webangebot erstellt. Unter https://neuelandlust.de kann man die wichtigsten Daten zu allen Gemeinden in Deutschland abrufen. Auch zu Biesenthal, Lathen oder Pilsting.


 

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